»Stellar Axis: Antarctica«, © Lita Albuquerque
Gelegentlich kann man in der zeitgenössischen Kunst den Gebrauch von kartographischen Methoden wiederfinden. Dann bedienen sich die Künstler der mathematischen Präzision, um die Elemente ihres Werkes in einem definierten Raum neu zu verorten und zu arrangieren und somit neue Beziehungen herzustellen. Beispiele hierfür sind meines Wissens rar gesät, jedoch erfreut es mich stets, neue Kunst kennenzulernen, die sich dem Medium »Landkarte« verschrieben hat.
So geschehen als ich kürzlich über Lita Albuequerques Großprojekt »Stellar Axis: Antarctica« stolperte: Die Künstlerin erschuf hierzu auf dem antarktischen Kontinent, inmitten schneeüberzogener Berge und Eiswüsten aus 99 blauen Kugeln ein originalgetreues Abbild des Sternenhimmels über dem Südpol und erinnert uns ganz nebenbei an unsere Bedeutungslosigkeit im kosmischen Gefüge.
»Stellar Axis: Antarctica«, © Lita Albuquerque
Die Idee ist schnell erklärt: Lita Albuquerque ordnete für »Stellar Axis: Antarctica« 99 blaue Kugeln unterschiedlicher Größe genau so unter dem antarktischen Himmel an, dass sie ein Abbild des dortigen Sternenhimmels zur Sommersonnenwende der südlichen Hemisphäre ergaben. Hellere Sterne fanden durch größere Kugeln, weniger heller scheinende Sterne durch kleinere Kugeln ihr Äquivalent auf dem kalten Boden des Ross-Schelfeises. Die Eigenrotation der Erde sowie der Umlauf um die Sonne zeichneten im Verlauf eine unsichtbare Spur durch den Schnee, die spiralförmig von den Sternenäquivalenten ausging und im Jahresrhythmus wieder zur ursprünglichen Konstellation zurückfand.
Zum Ende der auf zwei Jahre ausgelegten ephemeren Installation versammelte Albuquerque Wissenschaftler und Mitarbeiter der nahe gelegenen McMurdo-Station zu einer Performance, bei der jener spiralförmige Verlauf gemeinsam abgeschritten und so durch unzählige Fußspuren im Schnee sichtbar gemacht werden sollte.
»Stellar Axis: Antarctica«, © Lita Albuquerque
Ein Jahr später, 2007, entstand analog zur Performance im Südpolarmeer am Nordpol eine ähnliche spiralförmige Kartierung per pedes, die unter ähnlichem Aufwand durchgeführt wurde. Allein für den den antarktischen Teil ihres Diptychons wendete Albuquerque beeindruckende logistische Ressourcen auf. Nach einer langen Periode der Forschung und Planung, etwa wie man die Installation vor den starken Winden und strengen Temperaturen schützt, konnte das Team um die Künstlerin mithilfe der US Airforce die Kugeln zum Bestimmungsort transportieren und dort mit dem Aufbau beginnen.
Was so nach nur fünf Tagen entstand, war ein perfektes Abbild des südlichen Sternenhimmels. Lita Albuquerque holte mit »Stellar Axis: Antarctica« buchstäblich die Sterne vom Himmel, transferierte sie in einen Maßstab menschlichen Ausmaßes und gab ihnen eine greifbare Gestalt. Wenigstens eine potentiell greifbare Gestalt, hatten doch nur sehr wenige Personen die Gelegenheit, die Installation während ihres zweijährigen Bestehens aus nächster Nähe zu sehen.
»Stellar Axis: Antarctica«, © Lita Albuquerque
Das Gros derjenigen, die von »Stellar Axis: Antarctica« erfuhren und erfahren, sind auf Fotos angewiesen, die wiederum nur eine Kartierung jener im Ross-Schelfeis Gestalt gewordenen Karte darstellen. Dennoch bleibt Albuquerques Großinstallation greifbarer als jede papierne Sternenkarte, sind hier doch Sterne in einem erfahrbaren Maßstab materialisiert. Die Weite des Sternenfeldes dürfte auch Betrachter der Fotografien beeindrucken, die standpunktferne Sterne als unerreichbar erscheinen lässt. Man kann die Anlage förmlich abschreiten und dabei erahnen, welche galaktischen Dimensionen hier verborgen sind.
Dabei bleibt der Bezug zwischen Abbild und Original am Firmament stets erhalten. Selbst wenn tagsüber am Himmel keine Sterne zu sehen sind, erinnern die blauen Sphären, die nicht zufällig das Himmesblau widerspiegeln, an die ständige Anwesenheit ihrer Korrelaten am Himmelszelt. Wir, die städtische Bevölkerung, die dank Straßen- und sonstiger Nachtbeleuchtung ein nächtliches Hintergrundrauschen an unzähligen Lichtquellen erzeugt, haben uns den Blick auf die Sterne selbst verbaut und auch dadurch diesen Blick verlernt. Obgleich einst der nächtliche Sternenhimmel eine große Bedeutung für uns hatte, ist er doch mittlerweile in Vergessenheit geraten und kann nur noch für romantische Sommernächte und ambitionierten (Amateur-)Forschergeist herhalten.
Lita Albuquerque erinnert an die Sterne über unserem Himmel, die tags wie nachts da sind und immer da waren, indem sie sie einfach auf die Erde holt, dorthin wo der gemeine Städter für gewöhnlich seinen Blick hinwendet. Albuquerques »Stellar Axis: Antarctica« ist also ein Verweis auf jene Konstanten des irdischen Lebens, die es in seinen kosmischen Zusammenhang einordnet, welche es so winzig klein erscheinen lassen, wie es in unserer heutigen Zeit nur noch Star Trek und Konsorten vermögen.
Teil der Performance zu »Stellar Axis: Antarctica«, © Lita Albuquerque
Dieser Umstand wird noch durch die abschließende Performance betont. Die scheinbare Rotation der Konstellationen am Himmel wird ausschließlich durch die Eigenbewegung der Erde bedingt, denn eigentlich stehen die Sterne still. Durch Sichtbarmachung dieser Rotationsbewegung in der Performance zum Schluss des zweijährigen Bestehens der Installation wird die Winzigkeit der Erde gemessen an interstellaren Maßstäben noch einmal hervorgehoben.
Hier setzt auch »Stellar Axis: Northpole« an, wofür ebenfalls eine Spirale in den Schnee gezeichnet wurde. Die beiden Teile des Werks bezeichnen die Durchtrittspunkte der Erdachse auf der Oberfläche und unterstreichen damit nochmals die Rolle des Planeten Erde im Weltraum.
Und doch bleibt »Stellar Axis« ebenso fern wie die Sterne, auf die es sich bezieht, und zeichnet so einen Abriss von der Bedeutungslosigkeit unserer Erde im kosmischen Gefüge: So unbedeutend, weil irrelevant für unseren Alltag, »Stellar Axis« für uns ist, so gering sind auch wir in kosmischen Größenordnungen. »Stellar Axis« macht Maßstäbe sichtbar, ist ein Spiegel der interstellaren Ordnung.