Aug in Aug mit Mao Tse-tung

07. April 2010 von Matthias Planitzer
Untitled, © Wang Yi Fei Politische Missstände sind oftmals ein guter Nährboden für Künstler aller Disziplinen. Monumentale Werke wie Picassos Guernica oder Heines Wintermärchen entstanden in Zeiten politischer Unterdrückung und sind auch ganz abgesehen von ihren Motiven Meisterwerke ihrer Zeit. Wenn wir hier in Europa an politische Verfolgung in unserer Zeit denken, kommen uns wohl nur Fernsehbilder aus fernen Gegenden wie dem Nahen Osten oder Nordkorea in den Sinn. Viel wissen wir nicht über diese Orte, auch zeitgenössische Kunst aus den genannten Regionen ist wohl den wenigsten bekannt. Umso überraschender ist es dann, wenn man einmal regierungskritische Werke aus solchen Ländern zu Gesicht bekommt. So stolperte ich kürzlich über eine ausdrucksstarke Fotografie des Chinesen Wang Yi Fei.

Wang Yi Fei: UntitledUntit­led, © Wang Yi Fei

Poli­ti­sche Miss­stän­de sind oft­mals ein guter Nähr­bo­den für Künst­ler aller Dis­zi­pli­nen. Monu­men­ta­le Wer­ke wie Picas­sos Guer­ni­ca oder Hei­nes Win­ter­mär­chen ent­stan­den in Zei­ten poli­ti­scher Unter­drü­ckung und sind auch ganz abge­se­hen von ihren Moti­ven Meis­ter­wer­ke ihrer Zeit.
Wenn wir hier in Euro­pa an poli­ti­sche Ver­fol­gung in unse­rer Zeit den­ken, kom­men uns wohl nur Fern­seh­bil­der aus fer­nen Gegen­den wie dem Nahen Osten oder Nord­ko­rea in den Sinn. Viel wis­sen wir nicht über die­se Orte, auch zeit­ge­nös­si­sche Kunst aus den genann­ten Regio­nen ist wohl den wenigs­ten bekannt. Umso über­ra­schen­der ist es dann, wenn man ein­mal regie­rungs­kri­ti­sche Wer­ke aus sol­chen Län­dern zu Gesicht bekommt.

So stol­per­te ich kürz­lich über eine aus­drucks­star­ke Foto­gra­fie des Chi­ne­sen Wang Yi Fei.

Viel ließ sich über die­sen Wang Yi Fei nicht her­aus­fin­den. Ver­mut­lich auch, weil der Chi­ne­se so gut wie nicht im Aus­land bekannt ist und chi­ne­sisch goog­len auch nicht mehr funk­tio­niert. Mehr als die­ses eine Foto aus dem Buch New Pho­to­gra­phy in Chi­na kann ich also nicht bie­ten. Doch auch ohne über­haupt etwas dar­über zu wis­sen, erzählt das Bild genug, um sich ein­ge­hend damit aus­ein­an­der zu setzen.

Wang Yi Fei ist Foto­graf. Und Fil­me­ma­cher. Er hat damit also einen schwie­ri­gen Stand in Chi­nas Zen­sur­po­li­tik, die unlieb­sa­me Kri­ti­ker auch mal ein­fach so ver­schwin­den lässt. Die, die nicht in Gefäng­nis­sen oder Straf­ge­fan­ge­nen­la­gern ihr Dasein fris­ten, müs­sen, wenn sie in poli­ti­sche Miss­gunst fal­len, stets gewalt­sa­me Über­grif­fe durch die chi­ne­si­sche Poli­zei oder Volks­be­frei­ungs­ar­mee fürchten.

Ein schwie­ri­ges Los also, wenn man in Chi­na frei und daher auch regie­rungs­kri­tisch als Foto­graf arbei­ten will. Wang Yi Feis unbe­ti­tel­tes Selbst­por­trait zeigt ihn mit einem blau­en Auge. Eine ein­deu­ti­ge Aus­sa­ge, stellt sich Wang doch so als Opfer der chi­ne­si­schen Zen­sur­po­li­tik dar. Die gro­ße Klas­se der Arbeit wird aber erst klar, wenn man es mit dem wohl meistre­pro­du­zier­tem Bild des 20. Jahr­hun­derts vergleicht.

Im Vergleich mit dem Mai-Portrait vom Tiananmen-PlatzVer­gleich mit dem Mao-Por­trait vom Tian­an­men-Platz (Ge Xiao­guang, via)

Wang Yi Fei spielt offen­sicht­lich mit der Iko­ne, die in jeder chi­ne­si­schen Amts­stu­be hängt, die nicht nur im Inland jeder kennt, son­dern auch im Wes­ten den aller­meis­ten geläu­fig sein dürf­te. Das Ölge­mäl­de, das jedes Jahr aufs Neue für sei­nen Platz über dem Tor zur ver­bo­te­nen Stadt ange­fer­tigt wird, strahlt die Ruhe eines väter­li­chen Vor­sit­zen­den aus, der ganz im Gegen­satz zu den Herr­scher­por­traits vor und nach ihm auf jedes Sym­bol sei­ner Macht ver­zich­tet. Man sieht ihn in zivi­ler Klei­dung, mit einem hoch­ge­schlos­se­nen Kra­gen, gesun­der Gesichts­far­be und einem har­mo­nisch-seich­ten Farb­ver­lauf im Hintergrund.

Die­ses Por­trait soll weder Angst ein­flö­ßen, noch durch Stär­ke oder Macht beein­dru­cken. Der Gro­ße Vor­sit­zen­de schaut hier kla­ren und bestimm­ten Bli­ckes auf sein Volk und erscheint mehr wie ein Vater denn als ein Dik­ta­tor. Das war nicht immer so, bis 1977 zeig­ten die Gemäl­de einen Herr­scher, des­sen Bli­cke zum Hori­zont streif­ten und ihn so ein wenig abwe­send, ja hoch­nä­sig dar­stell­ten. Erst spä­ter wand­te er sich zum Volk und bis heu­te blieb die­se Ver­si­on des Mao-Por­traits erhalten.

Wang Yi Fei bricht nun mit die­sem Herr­scher-Por­trait, das mehr von Maos Regime ver­steckt als preis­gibt. Wang ist eben­falls in der Fron­tal­an­sicht abge­bil­det, er schaut dem Betrach­ter eben­falls ent­schlos­sen ins Gesicht und hat sei­ne Haa­re eben­falls zu einer stren­gen Fri­sur gekämmt (anders als er sie sonst trägt). Auch Wang posiert vor einem unspek­ta­ku­lä­ren Hin­ter­grund und erzielt damit die­sel­be Ruhe wie in Maos Por­trait. Die Far­be des Hin­ter­grun­des erin­nert an das Hemd im Mao-Por­trait, viel mehr jedoch an das Petro­le­um jener Ver­si­on, die 1989 Opfer eines Farb­an­schlags wur­de.

Wang Yi Fei erscheint aber nicht als väter­li­che Figur wie der Mao vom Tian­an­men. Weder ist sein Selbst­por­trait in Unter­sicht gezeigt, noch ist sein Ober­kör­per leicht gedreht. Auch sei­ne Gesichts­zü­ge haben nichts von Maos stoi­scher Ruhe, Wang Yi Fei hat auch kei­ne Paus­ba­cken und kann sei­nen wut­ver­krampf­ten Mund auch nicht so ent­span­nen wie der Gro­ße Vor­sit­zen­de. Sein lin­kes Auge mag zuge­schwol­len sein, doch das macht sein rech­tes, zorn­ver­knif­fe­nes wie­der wett. Wang schaut den Betrach­ter nicht nur auf die Wei­se an, wie wir es von unzäh­li­gen Gemäl­den her ken­nen, es beob­ach­tet ihn regel­recht, behält ihn im Auge.

Die­ses Foto erzählt mit so viel Aus­drucks­kraft und lei­sem Groll von Chi­nas Zen­sur­po­li­tik, wie ich es noch nie zuvor in einer künst­le­ri­schen Arbeit oder in irgend­ei­ner Repor­ta­ge gese­hen habe. Gera­de die Stil­le und die offe­ne Anspie­lung auf das iko­nen­haf­te Gemäl­de des gehei­lig­ten Gro­ßen Vor­sit­zen­den Mao machen doch aus die­sem Bild ein gelun­ge­nes Stück regie­rungs­kri­ti­scher Gegenwartskunst.

Mehr über das berühm­te Mao-Por­trait hat Ger­hard Paul zu erzäh­len, der aus­führ­lich über sei­ne Geschich­te und sei­ne Rezep­ti­on in der Kunst schreibt. Gro­ße Leseempfehlung!