»Self-Portrait, Pre-Mastectomy 11.2005«, © Kerry Mansfield
Kerry Mansfield, ihres Zeichen Fotografin aus San Francisco, widerfuhr im Alter von 31 Jahren ein Schicksal, das in Deutschland jede achte bis zehnte Frau einmal in ihrem Leben durchmacht: Diagnose Brustkrebs. Der Schock durchbrach ihre bis dahin so heil und unverletzbar scheinende Welt, doch Mansfield hatte in dieser bedrückenden Phase ihres Lebens das Bedürfnis, ihren Krankheitsprozess mit der Kamera zu dokumentieren.
Dabei entstand die zehnteilige Bildstrecke »Aftermath«, die durch eine hohe emotionale Spannung ins Auge sticht und auf ihrer Website zu finden ist. Brustentfernung, Chemotherapie und Brustrekonstruktion hinterließen nicht nur körperlich, sondern augenscheinlich auch psychisch ihre Spuren.
Die Frage, die sich beim Betrachten von »Aftermath« jedoch stellt, ist:
Wie eng hängen Identität und Körper zusammen?
»Self-Portrait, Chemo 4th Cycle, 03.2006«, © Kerry Mansfield
Kerry Mansfield steht vor einer steril wirkenden blauen Kachelwand, insgesamt zehn Mal. Das erste Foto der Reihe lässt nur durch die bereits eingezeichneten Schnitte erahnen, was geschehen und die kommenden Bilder dominieren wird. Das volle Haar trägt sie offen. Mansfield ist offensichtlich ängstlich der Dinge, die ihr vorbestehen, betroffen, verzweifelt. Das kommende Foto zeigt sie nach der OP: Die rechte Brust entfernt, an ihrer statt eine lange Narbe, ein Verband und eine Wunddrainage. Mansfield trägt die Haare hochgebunden, ihr Blick wirkt noch verzweifelter.
So kann man in »Aftermath« die ganze Behandlungsgeschichte verfolgen. Es folgen mehrere Fotos von der Chemotherapie, Mansfield verliert erst ihre Kopfbehaarung, später auch die Augenbrauen, ihr Gesicht wird sichtlich schmaler. Als dann jedoch das Gröbste überstanden zu sein scheint, die Haare wieder wachsen und später auch die rechte Brust rekonstruiert wird, nehmen die Fotos an Zuversicht, Hoffnung, Selbstbewusstsein zu. Sie posiert nun vor der Kamera, rückt ihre fast unversehrte linke Brust in den Vordergrund und scheint wieder an Selbstvertrauen zu gewinnen. Ja, eines der Fotos erlangt sogar eine gewisse Erotik.
Unter nüchterner Betrachtung könnte der Rationalist meinen: »Was ist schon ein Körperteil? Es ist Teil meines Besitzes und wie ich mein Habe weggeben kann, kann ich auch meinen Körper geben.« Der Sensualist könnte dagegen meinen: »Wie jammervoll muss es sein, einen Teil seines Körpers hingeben zu müssen! Wie ein Teil dahin ist, geht alles unwiederbringbar verloren — Körper, Persönlichkeit, Sein — alles auf immer und ewig verloren.«
Nur wer hat die Situation besser erfasst?
»Self-Portrait, Post-Reconstruction, 12.2006«, © Kerry Mansfield
Der französische Philosoph Gabriel Honoré Marcel wusste das eng verflochtene Verhältnis zwischen Identität und Körperlichkeit treffend zusammenzufassen:
Mein Körper ist etwas, das ich habe und gleichzeitig etwas, das ich bin.
Zu dieser These heißt es erläuternd:
My body, insofar as it is my body, is both something that I have and something that I am, and cannot be adequately accounted for using either of these descriptions alone. I can look at my body in a disassociated manner and see it instrumentally. However, in doing so, in distancing myself from it in order to grasp it qua object, qua something I have, it ceases to be »my« body. I can have »a« body, but not »my« body. As soon as I make the connection that the body in question is my body, not a body, it can no longer be something that I have pure and simple — this body also is me, it is what I am. On the other hand, it cannot be said that I simply am my body either. I can dispose of my body in certain circumstances by treating it instrumentally. A person who loses a limb in an accident is not less of a person and, therefore, there is a sense in which our bodies are objects that we have.
Instrumentalisierbarkeit und Einzigartigkeit sind also die wesentlichen Elemente, die das Zusammenspiel zwischen Körper und Identität kennzeichnen. Wie verhält es sich aber, wenn der Mensch seinen Körper nicht mehr nur als Instrument, sondern als Objekt seines Schaffens nutzt?
»Operation omniprésence«, © Orlan
Die französische Künstlerin Orlan zählt zu den radikalsten Vertretern der Body Art, eines Kunstgenres, das den Körper des Künstlers v.a. in Perfomances zum Kunstmedium oder ‑objekt macht. Radikal insofern, als dass Orlan zu Beginn der Neunziger in ihrem Werkzyklus »La réincarnation de Sainte Orlan« sieben plastische Operationen auf sich genommen hat, um ihr Äußeres nach unpopulären Schönheitsvorstellungen zu verändern. Sie selbst nennt ihre Kunst auch »Art Charnel« — Fleischeskunst.
In einem Teil des Zyklus, »Operation omniprésence«, zelebriert sie geradezu eine Operation, bei der ihr an den Wangen, Schläfen und am Kinn Implantate eingesetzt werden, die die Gesichtskonturen anpassen sollten. Zuvor wurden mittels eines Computerprogrammes für je ein Teil des Gesichts ein Foto von Orlan mit Botticellis »Venus«, Moreaus »Europa«, Gérards Psyche aus »Amor und Psyche«, die »Mona Lisa« sowie die Diana aus der Schule Fontainebleaus zusammengemorpht, quasi hybridisiert. Somit entstand ein kunsthistorisches Vorbild, dem sich Orlan während »Operation omniprésence« annähern wollte.
Die Operation fand bei vollem Bewusstsein, jedoch unter Einsatz potenter Schmerzmittel statt. So konnte sie während der Liveübertragung der OP ins Centre Pompidou sowie nach Toronto mit ihren Zuschauern agieren, quasi omnipresent sein. Der anschließene Heilungsprozess wurde zudem in täglichen Fotos festgehalten, die jedes für sich mit dem computergenerierten Vorbild abgeglichen
»Operation omniprésence«, © Orlan
Orlan durchläuft in »Operation omniprésence« eine dialektische Metamorphose vom Vorbild in Form der Computerberechnung und des Schnittbildes auf ihrer Haut, über die Entstellung ihres alten Körpers während und nach der OP bishin zur Synthese, dem nach vierzig Tagen ausgeheilten Endergebnis. Orlan spricht selbst vom »Vergleich zwischen dem von der Computermaschine und der Körpermaschine geschaffenen Selbstbildnis«.
Orlans Art Charnel sorgte für viel Aufsehen und war bisher einzigartig in der Kunstwelt. Man kann sich ihren Werken auf vielerlei Ebenen nähern, doch hier geht es um Identität und Körperlichkeit. Die Künstlerin sagt selbst:
Ceci est mon corps, ceci est mon logiciel.
(Dies ist mein Körper, dies ist meine Software.)
Sie spricht also von ihrem Körper, nicht von ihrem Selbst. Diese Einstellung widerspiegeln auch ihre vielen plastischen Operationen: Orlan passt ihren Körper an ihre eigenen Vorstellungen an. Ob diese künstlerischen oder ästhetischen Interesses entspringen, sei einmal egal, bemerkenswert ist jedoch, dass Orlan ihren Körper einem real fassbaren Vorbild angleicht — ihrem Hybrid mit Venus, Europa, Psyche, Diana und der Mona Lisa. Markus Buschhaus bringt es auf den Punkt:
Es ist nicht mehr der Bildkörper, welcher sich dem Körperbild angleicht, sondern der Körper schält sich durch den Heilungsprozeß aus seinem präfigurierten Bild heraus, um ihm zu entsprechen.
Hintergrund ist also, dass dieses Körperverständnis dahin geführt hat, dass der Körper nicht mehr Instrument, sondern die Leinwand einer Person darstellt, auf welche ihre eigenen Identitätsvorstellungen projeziert werden. Gegenüber all den Formen von Körpermodifikation, die vorher betrieben wurden, — Tätowierung, Piercing, rituelle Narben etc. — besteht das Novum in Orlans Art Charnel darin, dass es nicht länger möglich ist, den ursprünglichen Körper zu erahnen: Die Veränderungen am Äußeren der Künstlerin sind ohne Kenntnisse des alten Körpers nicht als solche zu erkennen.
Orlans Art Charnel lernte ich in der Uni, in einer Seminarreihe kennen, die die Grenzen des medizinischen Aufgabenfeldes explorieren sollte und dabei auch auf die Rolle der Medizin in der Body Art einging. Damals war ich allein mit der Auffassung, dass Orlans Operationen tatsächlich Kunst darstellten. Nicht überraschend, schließlich kann man ihre Werke auch auf bloße ästhetische Chirurgie herunterbrechen und ihr von diesem Standpunkt aus eine fragwürdige ästhetische Vorstellung attestieren.
In dieser Veranstaltung ging es jedoch auch um die Frage, inwiefern Identität und Körper zusammenhängen. Fakt ist, dass Amputierte v.a. psychisch unter ihrem Schicksal zu leiden haben. Fakt ist aber auch, dass in unserer Gesellschaft Körpermodifizerungen in Form von Tätowierungen und Piercings als Ausdruck der Persönlichkeit anerkannt sind.
Dies führt zu der Frage, wo die Schnittstelle zwischen diesen beiden Dimensionen liegt. Vielleicht dort, wo der Wille zum Selbsterhalt auf den Willen zur Kohärenz zwischen Körper und Identität trifft? — Hier wiederum tut sich ein großes Feld psychologischer und soziologische Forschung auf, welches die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten zu explorieren versucht — zu groß jedenfalls, um hier noch in würdigendem Maße angesprochen werden zu können.
nicht diese verrückte Orlan schon wieder 😀
Ich find’s grandios — auch wenn ihr anderer Meinung wart… 😉
Der oben verlinkte Artikel von Markus Buschhaus arbeitet recht gut den Kern ihrer Körperkunst heraus. Weitere Infos: Protokoll der Performance sowie zwei weitere Meinungen zu ihrer Arbeit.