Ceci est mon corps

24. Januar 2010 von Matthias Planitzer
"Self-Portrait, Pre-Mastectomy 11.2005", © Kerry Mansfield Kerry Mansfield, ihres Zeichen Fotografin aus San Francisco, erfuhr im Alter von 31 Jahren ein Schicksal, das in Deutschland jede achte bis zehnte Frau einmal in ihrem Leben durchmacht: Diagnose Brustkrebs. Der Schock durchbrach ihre bis dahin so heil und unverletzbar scheinende Welt, doch Mansfield hatte in dieser bedrückenden Phase ihres Lebens das Bedürfnis, ihren Krankheitsprozess mit der Kamera zu dokumentieren. Dabei entstand die zehnteilige Bildstrecke "Aftermath", die durch eine hohe emotionale Spannung ins Auge sticht und auf ihrer Website zu finden ist. Brustentfernung, Chemotherapie und Brustrekonstruktion hinterließen nicht nur körperlich, sondern augenscheinlich auch psychisch ihre Spuren. Was beim Betrachten von "Aftermath" jedoch klar wird, ist dass Identität und Körper zwar sehr eng verknüpft sind, dennoch weit davon entfernt sind, identisch sein zu können.

Kerry Mansfield: Self-Portrait, Pre-Mastectomy 11.2005»Self-Por­trait, Pre-Mas­tec­to­my 11.2005«, © Ker­ry Mansfield

Ker­ry Mans­field, ihres Zei­chen Foto­gra­fin aus San Fran­cis­co, wider­fuhr im Alter von 31 Jah­ren ein Schick­sal, das in Deutsch­land jede ach­te bis zehn­te Frau ein­mal in ihrem Leben durch­macht: Dia­gno­se Brust­krebs. Der Schock durch­brach ihre bis dahin so heil und unver­letz­bar schei­nen­de Welt, doch Mans­field hat­te in die­ser bedrü­cken­den Pha­se ihres Lebens das Bedürf­nis, ihren Krank­heits­pro­zess mit der Kame­ra zu dokumentieren.

Dabei ent­stand die zehn­tei­li­ge Bild­stre­cke »After­math«, die durch eine hohe emo­tio­na­le Span­nung ins Auge sticht und auf ihrer Web­site zu fin­den ist. Brust­ent­fer­nung, Che­mo­the­ra­pie und Brust­re­kon­struk­ti­on hin­ter­lie­ßen nicht nur kör­per­lich, son­dern augen­schein­lich auch psy­chisch ihre Spuren.

Die Fra­ge, die sich beim Betrach­ten von »After­math« jedoch stellt, ist:
Wie eng hän­gen Iden­ti­tät und Kör­per zusammen?

Kerry Mansfield: Self-Portrait, Chemo 4th Cycle, 03.2006»Self-Por­trait, Che­mo 4th Cycle, 03.2006«, © Ker­ry Mansfield

Ker­ry Mans­field steht vor einer ste­ril wir­ken­den blau­en Kachel­wand, ins­ge­samt zehn Mal. Das ers­te Foto der Rei­he lässt nur durch die bereits ein­ge­zeich­ne­ten Schnit­te erah­nen, was gesche­hen und die kom­men­den Bil­der domi­nie­ren wird. Das vol­le Haar trägt sie offen. Mans­field ist offen­sicht­lich ängst­lich der Din­ge, die ihr vor­be­stehen, betrof­fen, ver­zwei­felt. Das kom­men­de Foto zeigt sie nach der OP: Die rech­te Brust ent­fernt, an ihrer statt eine lan­ge Nar­be, ein Ver­band und eine Wund­drai­na­ge. Mans­field trägt die Haa­re hoch­ge­bun­den, ihr Blick wirkt noch verzweifelter.

So kann man in »After­math« die gan­ze Behand­lungs­ge­schich­te ver­fol­gen. Es fol­gen meh­re­re Fotos von der Che­mo­the­ra­pie, Mans­field ver­liert erst ihre Kopf­be­haa­rung, spä­ter auch die Augen­brau­en, ihr Gesicht wird sicht­lich schma­ler. Als dann jedoch das Gröbs­te über­stan­den zu sein scheint, die Haa­re wie­der wach­sen und spä­ter auch die rech­te Brust rekon­stru­iert wird, neh­men die Fotos an Zuver­sicht, Hoff­nung, Selbst­be­wusst­sein zu. Sie posiert nun vor der Kame­ra, rückt ihre fast unver­sehr­te lin­ke Brust in den Vor­der­grund und scheint wie­der an Selbst­ver­trau­en zu gewin­nen. Ja, eines der Fotos erlangt sogar eine gewis­se Erotik.

Unter nüch­ter­ner Betrach­tung könn­te der Ratio­na­list mei­nen: »Was ist schon ein Kör­per­teil? Es ist Teil mei­nes Besit­zes und wie ich mein Habe weg­ge­ben kann, kann ich auch mei­nen Kör­per geben.« Der Sen­sua­list könn­te dage­gen mei­nen: »Wie jam­mer­voll muss es sein, einen Teil sei­nes Kör­pers hin­ge­ben zu müs­sen! Wie ein Teil dahin ist, geht alles unwie­der­bring­bar ver­lo­ren — Kör­per, Per­sön­lich­keit, Sein — alles auf immer und ewig verloren.«

Nur wer hat die Situa­ti­on bes­ser erfasst?

Kerry Mansfield: Self-Portrait, Post-Reconstruction, 12.2006»Self-Por­trait, Post-Recon­s­truc­tion, 12.2006«, © Ker­ry Mansfield

Der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph Gabri­el Hono­ré Mar­cel wuss­te das eng ver­floch­te­ne Ver­hält­nis zwi­schen Iden­ti­tät und Kör­per­lich­keit tref­fend zusammenzufassen:

Mein Kör­per ist etwas, das ich habe und gleich­zei­tig etwas, das ich bin.

Zu die­ser The­se heißt es erläu­ternd:

My body, inso­far as it is my body, is both some­thing that I have and some­thing that I am, and can­not be ade­qua­te­ly accoun­ted for using eit­her of the­se descrip­ti­ons alo­ne. I can look at my body in a dis­as­so­cia­ted man­ner and see it instru­men­tal­ly. Howe­ver, in doing so, in distancing mys­elf from it in order to grasp it qua object, qua some­thing I have, it cea­ses to be »my« body. I can have »a« body, but not »my« body. As soon as I make the con­nec­tion that the body in ques­ti­on is my body, not a body, it can no lon­ger be some­thing that I have pure and simp­le — this body also is me, it is what I am. On the other hand, it can­not be said that I sim­ply am my body eit­her. I can dis­po­se of my body in cer­tain cir­cum­s­tances by trea­ting it instru­men­tal­ly. A per­son who loses a limb in an acci­dent is not less of a per­son and, the­r­e­fo­re, the­re is a sen­se in which our bodies are objects that we have.

Instru­men­ta­li­sier­bar­keit und Ein­zig­ar­tig­keit sind also die wesent­li­chen Ele­men­te, die das Zusam­men­spiel zwi­schen Kör­per und Iden­ti­tät kenn­zeich­nen. Wie ver­hält es sich aber, wenn der Mensch sei­nen Kör­per nicht mehr nur als Instru­ment, son­dern als Objekt sei­nes Schaf­fens nutzt?

Orlan: Operation omniprésence»Ope­ra­ti­on omni­pré­sence«, © Orlan

Die fran­zö­si­sche Künst­le­rin Orlan zählt zu den radi­kals­ten Ver­tre­tern der Body Art, eines Kunst­gen­res, das den Kör­per des Künst­lers v.a. in Per­fo­man­ces zum Kunst­me­di­um oder ‑objekt macht. Radi­kal inso­fern, als dass Orlan zu Beginn der Neun­zi­ger in ihrem Werk­zy­klus »La réin­car­na­ti­on de Sain­te Orlan« sie­ben plas­ti­sche Ope­ra­tio­nen auf sich genom­men hat, um ihr Äuße­res nach unpo­pu­lä­ren Schön­heits­vor­stel­lun­gen zu ver­än­dern. Sie selbst nennt ihre Kunst auch »Art Charnel« — Fleischeskunst.

In einem Teil des Zyklus, »Ope­ra­ti­on omni­pré­sence«, zele­briert sie gera­de­zu eine Ope­ra­ti­on, bei der ihr an den Wan­gen, Schlä­fen und am Kinn Implan­ta­te ein­ge­setzt wer­den, die die Gesichts­kon­tu­ren anpas­sen soll­ten. Zuvor wur­den mit­tels eines Com­pu­ter­pro­gram­mes für je ein Teil des Gesichts ein Foto von Orlan mit Bot­ti­cel­lis »Venus«, More­aus »Euro­pa«, Gérards Psy­che aus »Amor und Psy­che«, die »Mona Lisa« sowie die Dia­na aus der Schu­le Fon­taine­bleaus zusam­men­ge­mor­pht, qua­si hybri­di­siert. Somit ent­stand ein kunst­his­to­ri­sches Vor­bild, dem sich Orlan wäh­rend »Ope­ra­ti­on omni­pré­sence« annä­hern wollte.

Die Ope­ra­ti­on fand bei vol­lem Bewusst­sein, jedoch unter Ein­satz poten­ter Schmerz­mit­tel statt. So konn­te sie wäh­rend der Live­über­tra­gung der OP ins Cent­re Pom­pi­dou sowie nach Toron­to mit ihren Zuschau­ern agie­ren, qua­si omni­pre­sent sein. Der anschlie­ße­ne Hei­lungs­pro­zess wur­de zudem in täg­li­chen Fotos fest­ge­hal­ten, die jedes für sich mit dem com­pu­ter­ge­nerier­ten Vor­bild abgeglichen

Orlan: Operation omniprésence»Ope­ra­ti­on omni­pré­sence«, © Orlan

Orlan durch­läuft in »Ope­ra­ti­on omni­pré­sence« eine dia­lek­ti­sche Meta­mor­pho­se vom Vor­bild in Form der Com­pu­ter­be­rech­nung und des Schnitt­bil­des auf ihrer Haut, über die Ent­stel­lung ihres alten Kör­pers wäh­rend und nach der OP bis­hin zur Syn­the­se, dem nach vier­zig Tagen aus­ge­heil­ten End­ergeb­nis. Orlan spricht selbst vom »Ver­gleich zwi­schen dem von der Com­pu­ter­ma­schi­ne und der Kör­per­ma­schi­ne geschaf­fe­nen Selbstbildnis«.

Orlans Art Charnel sorg­te für viel Auf­se­hen und war bis­her ein­zig­ar­tig in der Kunst­welt. Man kann sich ihren Wer­ken auf vie­ler­lei Ebe­nen nähern, doch hier geht es um Iden­ti­tät und Kör­per­lich­keit. Die Künst­le­rin sagt selbst:

Ceci est mon corps, ceci est mon logiciel.
(Dies ist mein Kör­per, dies ist mei­ne Software.)

Sie spricht also von ihrem Kör­per, nicht von ihrem Selbst. Die­se Ein­stel­lung wider­spie­geln auch ihre vie­len plas­ti­schen Ope­ra­tio­nen: Orlan passt ihren Kör­per an ihre eige­nen Vor­stel­lun­gen an. Ob die­se künst­le­ri­schen oder ästhe­ti­schen Inter­es­ses ent­sprin­gen, sei ein­mal egal, bemer­kens­wert ist jedoch, dass Orlan ihren Kör­per einem real fass­ba­ren Vor­bild angleicht — ihrem Hybrid mit Venus, Euro­pa, Psy­che, Dia­na und der Mona Lisa. Mar­kus Busch­haus bringt es auf den Punkt:

Es ist nicht mehr der Bild­kör­per, wel­cher sich dem Kör­per­bild angleicht, son­dern der Kör­per schält sich durch den Hei­lungs­pro­zeß aus sei­nem prä­fi­gu­rier­ten Bild her­aus, um ihm zu entsprechen.

Hin­ter­grund ist also, dass die­ses Kör­per­ver­ständ­nis dahin geführt hat, dass der Kör­per nicht mehr Instru­ment, son­dern die Lein­wand einer Per­son dar­stellt, auf wel­che ihre eige­nen Iden­ti­täts­vor­stel­lun­gen pro­je­ziert wer­den. Gegen­über all den For­men von Kör­per­mo­di­fi­ka­ti­on, die vor­her betrie­ben wur­den, — Täto­wie­rung, Pier­cing, ritu­el­le Nar­ben etc. — besteht das Novum in Orlans Art Charnel dar­in, dass es nicht län­ger mög­lich ist, den ursprüng­li­chen Kör­per zu erah­nen: Die Ver­än­de­run­gen am Äuße­ren der Künst­le­rin sind ohne Kennt­nis­se des alten Kör­pers nicht als sol­che zu erkennen.

 

Orlans Art Charnel lern­te ich in der Uni, in einer Semi­nar­rei­he ken­nen, die die Gren­zen des medi­zi­ni­schen Auf­ga­ben­fel­des explo­rie­ren soll­te und dabei auch auf die Rol­le der Medi­zin in der Body Art ein­ging. Damals war ich allein mit der Auf­fas­sung, dass Orlans Ope­ra­tio­nen tat­säch­lich Kunst dar­stell­ten. Nicht über­ra­schend, schließ­lich kann man ihre Wer­ke auch auf blo­ße ästhe­ti­sche Chir­ur­gie her­un­ter­bre­chen und ihr von die­sem Stand­punkt aus eine frag­wür­di­ge ästhe­ti­sche Vor­stel­lung attestieren.

In die­ser Ver­an­stal­tung ging es jedoch auch um die Fra­ge, inwie­fern Iden­ti­tät und Kör­per zusam­men­hän­gen. Fakt ist, dass Ampu­tier­te v.a. psy­chisch unter ihrem Schick­sal zu lei­den haben. Fakt ist aber auch, dass in unse­rer Gesell­schaft Kör­per­mo­di­fi­ze­run­gen in Form von Täto­wie­run­gen und Pier­cings als Aus­druck der Per­sön­lich­keit aner­kannt sind.

Dies führt zu der Fra­ge, wo die Schnitt­stel­le zwi­schen die­sen bei­den Dimen­sio­nen liegt. Viel­leicht dort, wo der Wil­le zum Selbst­er­halt auf den Wil­len zur Kohä­renz zwi­schen Kör­per und Iden­ti­tät trifft? — Hier wie­der­um tut sich ein gro­ßes Feld psy­cho­lo­gi­scher und sozio­lo­gi­sche For­schung auf, wel­ches die zugrun­de­lie­gen­den Gesetz­mä­ßig­kei­ten zu explo­rie­ren ver­sucht — zu groß jeden­falls, um hier noch in wür­di­gen­dem Maße ange­spro­chen wer­den zu können.

Kommentare

  1. nicht die­se ver­rück­te Orlan schon wieder 😀