»Bad in der Menge«, © Frank Kunert
Realität und Imagination stehen sich näher, als man beim Lesen dieses platten Satzes vermuten mag. Dies zeigt sich immer wieder beim Betrachten eines Bildes, eines Fotos oder beim Lesen eines Textes: Der Konsument vertraut sich einem Medium an, misst ihm (zumeist) eine gewisse Autorität zu und verliert keinen weiteren Gedanken darüber, dass es sich doch nur bestenfalls um eine Projektion der Wirklichkeit handelt, mit der er sich gerade beschäftigt. Ein wichtiges Urteil wird dabei häufig viel zu leichtfertig gefällt; nämlich, inwiefern dieses Abbild Verzerrungen und subjektiven Einflüssen, perspektivischer Betonung und Übergehens, aber auch inhaltlicher Beschneidung unterworfen ist.
Immer dann, wenn dies gewahr wird, sprechen wir von Zensur, Schwindel oder bestenfalls von Informationsverlust. Was dabei aber meist vergessen wird: Die vermeintliche Realität, die uns entgegenspricht, ist nicht etwa dem Medium einverleibt, d.h. sie selbst wird nicht von ihm getragen. Was wir für Realität halten, ist doch stets eine Extrapolation der Wahrnehmung, im günstigen Fall eine Näherung der Wirklichkeit. Erst das Bewusstsein, dass jedes uns zur Verfügung stehende Medium dieses Mapping nur modulieren kann, führt doch zu dem folgerichtigen Verhalten, eigene und fremde Wahrnehmung in einen sinnvollen Kontext zu stellen. Kant’sche Basiscs also.
Hard cut.
Aus dieser Beobachtung begründet ist es doch immer wieder erfrischend, sich diesen Sachverhalts beim Kunstgenuss klar zu werden. Dafür steht, wie ich finde, beispielhaft der Frankfurter Fotograf Frank Kunert. Kunert ist einer der Künstler der Gegenwart, deren Werke dank ihres Charmes längst zu beliebten Postkartenmotiven avancierten und vielleicht sogar einen kleinen Teil von Popkultur ausmachen. Wenn Michael Sowa seine hübschen Gemälde in französischen Kultfilmen unterbringt, dann nimmt Kunerts Idolrolle zunächst in Form von Kalendern Gestalt an.
Frank Kunerts Kunst lässt sich im Wesentlichen dadurch auf den Punkt bringen, dass er zunächst in akribischer Detailarbeit Modellbauwelten mit überraschenden städteplanerischen und architektonischen Wendungen entwirft, um diese dann mit den Kniffen eines Fotografen derart in Szene zu setzen, dass der Rezipient später zumindest einen Moment lang der Meinung ist, es handle sich um den neusten Schildbürgerstreich.
Da wäre zunächst das »Bad in der Menge« (s.o.), dargestellt ist der verdichtete Begriff des Schwimmstadions, nur ohne das Becken. Der Zuschauer befindet sich so nah am Geschehen wie sonst nirgendwo, stürzen sich doch die Sportler direkt vor seine Füße. Absurd und gegenstandslos würde man diese Szenerie nennen, wenn man sich ihr noch im selben Moment verschließe. Man könnte aber ebenso gut darüber sinnieren, wie es sich dabei mit Realität, Wirklichkeit und Imagination verhalten mag. Wenn man dann noch im Hinterkopf behält, dass bei Kunert Sprungbretter immer so etwas wie den Sturz in die harte Realität mit sich bringen, kann so manch interessantes Gedankenspiel entstehen.
»Sonnenseite«, © Frank Kunert
Diese harten Konfrontationen mit den zwingenden Umständen der Wirklichkeit tauchen bei Kunert notwendigerweise immer wieder auf, machen sogar einen großen Teil des Geistes aus, den seine Wunderwelten atmen. Da ist etwa sein vielleicht bekanntestes Werk, »Sonnenseite«: Ein schlichter Balkon, der knapp über dem Boden ein Eisenbahngleis überragt. Ob ständige Lebensgefahr oder skurrile Fußnote architektonischen Übereifers kann nur erahnt werden. Ein wenig trostlos schaut dieses Arrangement aus, die Pflanzen tot, die Fenster ungeputzt. Doch wieder ist da die Frage, was echt und was nicht. Freilich, mit dem Wissen, wie Kunert zu seinen Fotos kommt, wird dies wieder relativiert, doch gänzlich obsolet wird diese Fragestellung dadurch nicht.
Eines wird man sich aber schnell bewusst: Realität ist eben doch nur das, was man daraus macht.
Frank Kunerts wundersame Entwürfe verfolgen zwar eigentlich die Pointierung alltäglicher Eigentümlichkeiten, eignen sich aber auch hervorragend für Gedankenspiele wie das obige. Bezeichnend ist hierbei, dass die vermeintliche Authentizität dieser inszenierten Welten eigentlich erst durch das Fotografieren derselben zustande kommt. Als trage das Foto selbst die unterschwellige Botschaft mit sich, sein Motiv trage eine gewisse Bedeutung, überhaupt erst in einer Abbildung gewürdigt zu werden.
Was mich auch wieder zu einer bald hier in Berlin anlaufenden Ausstellung mit ähnlichem Thema bringt. Mehr Infos gibt’s, wenn erste Bilder der ausgestellten Werke verfügbar sind.
PS: Beim zweiten Lesen erscheint das ganze Geplänkel zu Beginn doch viel banaler als es klingt. Egal, ich lass es stehen und freue mich über jeden Hinweis, wie doch gleich die philosophische Lehre heißt, die schon vor langer Zeit jene Theorie postulierte.