»Anderson Family Portraits: Widowed Father«, © Greg Sand
In letzter Zeit kann ich mich mehr und mehr für Fotografie begeistern, habe mir sogar eine alte Polaroid gekauft um damit ein wenig zu experimentieren. In dieser neu gewonnen Begeisterung stolpere ich dann über die Bilder eines gewissen Greg Sand und bin sofort hin und weg. Sie sprachen in einer Metaphorik, für die ich schon immer etwas übrig hatte. Greg Sands Porträts sind buchstäblich gesichtslos, entbehren selten einer gewissen Tragik und tragen zu alledem den Charme vergangener Zeiten.
Da ist etwa die Reihe »Anderson Family Portraits«: Vier Teile für vier Familienmitglieder — zwei Söhne, eine Tochter, der verwitwete Vater. Er hält einen Spiegel vor seinem Gesicht, ein typisches Vanitassymbol, das die Vergänglichkeit der leeren Hülle physischen Seins wiedergibt. Leer und hohl ist er in der Tat, ganz ohne Gesicht, überhaupt ohne Kopf. Unwirklich und fern, gar entrückt mutet er an, doch wenn er sich umdreht und man ihn durch seinen eigenen Spiegel betracht, wirkt er doch sehr traurig, dieser hohle Mann.
»Family Reunion«, © Greg Sand
Ein anderes Bild, »Family Reunion«, zeigt dem Namen nach ein großes Familientreffen, 26 Personen, die sich vor der Kamera versammelt haben um diesen Moment festzuhalten. Ein junger Mann in der ersten Reihe, er mag in die Kamera lächeln, während er Mühe hat, seinen zapplig-verspielten Sohn einen Moment lang zu bändigen. Wieder sind die Gesichter leer, verraten nichts über sich und die anderen und schauen doch alle brav in die Kamera, als würden sie von diesem Familientreffen Zeugnis ablegen wollen.
»Only child«, © Greg Sand
Greg Sand spielt mit dieser Metapher der Gesichtslosigkeit und des Identitätsverlusts in vielen seiner fotografischen Werken, insbesondere in der Reihe »Snapshots«. Mal sitzen kopflose Figuren in ordentlicher Aufreihung, ein anderes Mal zeugen nur noch Schatten oder schummrige Reflektionen im Wasser von der Answesenheit der Porträtierten. Und wieder ein anderes Mal verblasst das »reale« Bild eines lachenden Kleinkindes während sein Rücken im zugewandten Spiegel weiterhin »echt« bleibt.
Sand wählte dazu alte Familienfotos — ob die seiner eigenen Familie, ist nicht bekannt -; angegilbte Fotos, die von längst vergangenen Zeiten erzählen, Andenken an längst verblichene Menschen, deren Erinnerung durch Sands Nachbearbeitung ausbleichen. Greg Sand nennt dies »mystruggle to reconcile reality, perception, time, and death ». Dorian Gray en ordinaire.
Seine Arbeiten, besonders die aus der Reihe »Anderson Family Portraits«, erinnerten mich jedoch zunächst an einige der Gemälde René Magrittes. Ich verstehe mich zwar nicht besonders auf seine Form- und Bildsprache, doch die motivischen Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Wenn bei Magritte Vögel, Äpfel oder Blumensträuße die Gesichter seiner Porträtierten verdecken, greift Greg Sand auf Uhren, Balgenkameras oder gar ihre eigenen Porträts zurück. Und ähnlich wie Magritte seine »Liebenden« verhüllt, voneinander trennt und wieder eint, so tut dies Sand doch auch in der Reihe »Likeness« (runterscrollen…) mit seinen Familienporträts — wenn auch nicht so behutsam wie Magritte, sondern eher brachial und mit Nachdruck.
Greg Sands Fotografien sprechen, wie ich finde, eine sehr eindrückliche und intensive Sprache. Bisher war die Fotografie nicht gerade mein liebstes Genre, aber ich bin wieder einmal überrascht, was ein talentierter Künstler mit diesem Medium erreichen kann. Die Metaphorik ist zwar nicht neu, hat aber an ihrem Reiz und ihrer Kraft nichts verloren, vielleicht sogar dazu gewonnen. Da wäre es interessant, wie sie bei Magritte und anderen Meistern ausgelegt wird.
Das Beste kommt aber zum Schluss: Sands Fotografien sind online erwerbbar und wie ich finde preislich doch ein ganzes Stück unter dem Wert angesetzt, den sie durchaus erzielen könnten. Also wer mir zu meinem baldigen Geburtstag eine Freude bereiten möchte, zu viel Geld hat oder sich sonst meine Gunst erheischen will, der kann gern zugreifen. (»Only child« für nur $295 ist doch ein Schnäppchen, oder?)