»Tantalum Memorial — Reconstruction«, © G. Harwood, R. Wright, M. Yokokoji (via)
Gestern Abend ging die transmediale.09, die 21. Ausgabe des Berliner Festivals für Kunst und digitale Kultur, zu Ende und bereits am Samstagabend wurde der Gewinner des begehrten Transmediale-Awards bekanntgegeben. Aus den etwa 900 vorgeschlagenen Werken aus insgesamt fünfzig Ländern wurden vorab acht Nominierungen getroffen, doch letztlich setzte sich die Installation »Tantalum Memorial« des britisch-japanischen Künstlertrios, bestehend aus Graham Harwood, Richard Wright und Matsuko Yokokoji, im Rennen um den renommierten Preis durch. »Tantalum Memorial« — oder zu Deutsch: Tantal-Mahnmal — erinnert an die vier Millionen kongolosischen Opfer der Coltan-Kriege, der schmutzigen Konflikte um den tantalhaltigen Rohstoff Coltan, welcher für die Mobiltelefonindustrie von großer Bedeutung ist.
Das Künstlerkollektiv baute aus sog. Strowger-Schaltern, mehr als siebzig Jahre alten technischen Artefakten aus den Anfängen des Telefons, und einem handelsüblichen Computer eine »Telefonzentrale«, über die ein interaktives Programm namens »Telephone Trottoire« für kongolesisch-stämmige Londoner veranstaltet wird — in Anlehnung an das im Kongo populäre »Radio trottoire«, einer scherzhaften Bezeichnung für die florierende Mund-zu-Mund-Propaganda oftmals regierungskritischer Nachrichten, die von den Passanten von einer Straße zur anderen getragen werden. In Zusammenarbeit mit einem Londoner Radiosender ruft »Telephone Trottoire« seine kongolesisch-stämmigen Hörer an, spielt eine Nachricht ab und ruft sie auf, diese mit einen Kommentar versehen unter ihren Freunden und Bekannten weiter zu verbreiten.
Der Clou: Die urtümlichen halbmechanischen Schalteinheiten von »Tantalum Memorial« geben ein wildes, ungeordnetes Klicken von sich — jedes davon steht für einen weiteren Anruf, den das Gerät tätigt, und somit auch für die Verbreitung der Nachricht von den Coltan-Kriegen, in denen um die Rohstoffe für handelsübliche Mobiltelefone gefochten wurde.
»Tantalum Memorial — Residue«, © G. Harwood, R. Wright, M. Yokokoji (via)
Colombo-Tantalit — oder kurz: Coltan — ist ein seltenes Tantal-Erz, das für die Hightechindustrie u.a. beim Bau von Handys und Spielekonsolen, aber auch für die Pharmaindustrie unersetzbar ist und daher auf den Weltmärkten teurer gehandelt wird als Gold. Seine Hauptlagerstätten befinden sich rund um den Kiwusee in der zentralafrikanischen Demokratischen Republik Kongo, in einer Krisenregion, die seit 1998 den traurigen Schauplatz des »Ersten afrikanischen Weltkriegs« darstellt.
Hauptparteien sind die Regierung im Süd-Westen, sowie zwei Rebellengruppen im Norden und Osten; daneben unterstützen sechs angrenzende Nationen die jeweiligen Kriegsparteien. Es gibt aber noch eine weitere wichtige Partei: die westliche Industrie. Sie beutete schon vor Kriegsausbruch das Land aus und finanziert nun die Rebellenarmeen. Die Front des Krieges verläuft nicht zufällig entlang der Lagerstätten des begehrten Erzes. Folge des Szenarios sind hart umkämpfte Minen und grauenvolle Massaker an der Zivilbevölkerung. Bereits über vier Millionen Kongolesen fielen den schmutzigen Kriegen zum Opfer.
Harwood, Wright und Yokokoji setzen den in der westlichen Welt kaum beachteten Coltan-Kriegen und seinen vielen Opfern mit »Tantalum Memorial« ein wohl längst überfälliges Denkmal und erhalten damit zurecht die renommierte Ehrung der transmediale.09. Zwar ist bisher kein Video aufgetaucht, das die Installation in Aktion zeigt, aber wenn es Neuigkeiten gibt, werde ich selbstverständlich darüber berichten — bei Interesse abonniere am besten den Newsfeed via RSS oder E‑Mail!
siehe auch: www.tantalumexploration.net sowie das überaus lesenswerte »Neue Schwarzbuch Markenfirmen« von Klaus Werner und Hans Weiss.
leider war ich ja im urlaub. ich wollte unbedingt hingehen. hab es letztes jahr schon nicht geschafft
Ich hab auch erst viel zu spät davon gehört. Schon blöd, da gibt’s ja immer ein paar nette Sachen. Es müsste irgendwo im Internet einen Newsletter für sowas geben. Wohnort eingeben und entspannt zurücklehnen.
Ich hab das oben empfohlene Buch übrigens gerade vor mir liegen, werde mal die Tage wieder reinschauen, da stehen jede Menge unerhörte Sachen drin, was die internationalen Größen der Industrie so alles anstellen.