"Microcosm yourself", © Maia Lyon-Daw Wenn man die aktuellen Tendenzen in der Kunst aufmerksam beobachtet, spürt man eine gärende Aufbruchstimmung. Die Kunst legt langsam den Ernst des Konzeptionellen ab, wird offener und begeistert nicht nur öfter, sondern auch mehr Menschen. Diese Entwicklung mag zunächst nichtig und zufällig scheinen, ist doch aber tiefer verankert, als man vermuten mag. Denn dahinter steht ein Wandel in den ästhetischen Maximen, der erst seit wenigen Jahren auch in der Kunsttheorie proklamiert wird. Von der Theorie zur Praxis (und eigentlich zunächst von der Praxis zur Theorie) ist es jedoch ein großer Schritt. Dieser scheint jedoch immer mehr Künstlern zu gelingen. Ob bewusst oder unbewusst, ist nachrangig, denn was in beiden Fällen beobachtbar wird, ist eine Hinwendung zur Leichtigkeit und unbefangenen, bewunderungswürdigen Schönheit. Zwar ist diese Entwicklung noch jung, doch schon jetzt spricht man ihr großes Zukunftspotential zu.

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Vanitas heute

03. Januar 2011

"Ávextir", © Ragnhildur Stefánsdóttir Während meiner Reise nach Island besuchte ich auch das staatliche Museum für zeitgenössische Kunst, Listasafn Reykjavíkur – Hafnarhúsið, wo in einem unscheinbarem Teil des Gebäudes eine kleine, doch sehr gut kuratierte Ausstellung dem altbekannten Vanitas-Motiv nachging. Jedoch widmete sich die Schau entgegen möglicher Befürchtungen nicht Malerei aus längst vergangenen Zeiten, sondern suchte im Hier und Heute, d.h. in der zeitgenössischen isländischen Kunst nach Vanitas-Darstellungen, die eigentlich gar keine sein wollen. Denn Kurator Hafþór Yngvason trug dazu Arbeiten zusammen, die im Ausstellungskontext als solche angesehen werden können, außerhalb dessen jedoch eher anderen Genres zugerechnet würden. In diesem Sinne zeigte die Ausstellung "Vanitas – Still-life in Contemporary Icelandic Art" auf, wie diese heute nur noch in historischer Rückschau betrachtete Kunstgattung auch heute noch in zeitgenössischen Werken anzutreffen ist, wenn auch in gänzlich anderer Form. Dadurch wird die zeitliche Einordnung des Vanitas-Motives hinterfragt und der Vergleich zwischen der Lebensart der heutigen Zeit und der Memento-Mori-Attitüde des Barock gewagt. Ob dieser Brückenschlag gerechtfertigt ist - mehr dazu nach der detaillierteren Betrachtung.

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Old News

24. Dezember 2010

Old News Die Welt um uns herum wird immer unübersichtlicher. Man mag dies auf die allseits phantomhaft beschworene Globalisierung oder die wachsenden Verflechtungen im internationalen Politzirkus zurückführen, doch wird man damit kaum der Lage gerecht, macht zudem einen recht ohnmächtigen Eindruck. Die Komplexität des öffentlichen Geschehens zu entwirren ist eine wichtige Aufgabe der Medien, insbesondere der Tagespresse, welche unter hohem Zeitdruck nur das Wichtigste aus dem Tagesgeschehen ziehen und sinnvoll gekürzt vermitteln muss. Daß die Redakteure der Lokal- wie auch der überregionalen Presse bisweilen an diesem Auftrag scheitern, zeigt sich dann, wenn der Leser in der Informationsflut untergeht. Knappe Nachrichten über den jüngsten Verkehrsunfall werden nicht selten mit derselben Zeilenzahl gewürdigt wie beiläufige Berichte aus den Parlamenten und Ministerien. Letztlich ist es die Aufgabe des Lesers, aus dem auf ihn abgewälzten Datenchaos das für ihn Relevante herauszufiltern. Dies erfordert ein scharfes und kritisches Denken, das eigentlich von den Redakteuren aufgebracht werden sollte. Daß hierbei dennoch Manipulation und Propaganda leicht ihren Weg zum vertrauensseligen Leser finden, ist leicht zu ersehen. Ob bewusst oder unbewusst: Das Medium wächst durch die Auswahl der Themen und Berichte, aber auch durch die Ausgestaltung dieser zu einem Apparat, der einerseits die Interessen der Schreibenden inkorporiert, auf der anderen Seite aber auch die Interessen der Leserschaft abbildet. Der dänische Künstler Jacob Fabricius geht in seinem Projekt "Old News" dieser und anderen medienwissenschaftlichen Fragen nach. Im Editorial dieser Zeitung, die ausschließlich aus alten Artikeln und sogar Kontaktanzeigen besteht, geht sein Künstlerkollege Joachim Koester auf eben dieses Problem ein und fragt: Welches sind die Kriterien, nach denen entschieden wird, was veröffentlichungswürdige Nachrichten sind? Und warum geben die Zeitungen über diesen Prozess keine Auskunft? Die Antworten liefern 24 Künstler, die eingeladen wurden, jeweils vier Artikel einer bestimmten Zeitspanne aus den Zeitungen auszuschneiden, die sie täglich lesen, diese einzureichen und somit selbst zu entscheiden: Was ist relevant? Was ist typisch? Was blieb ungehört?

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Sigurðurs Fratzen

04. Oktober 2010

"Undir jörð" (Unter der Erde), © Sigurður Atli Sigurðsson Während meiner Recherchen in Reykjavík besuchte ich auch die Crymo Gallerí, einen kleinen artist-run space im Herzen der Stadt. Wie ich die einladenden Räume betrat, wurde meine Aufmerksamkeit - ich weiß es noch ganz genau - sofort gänzlich von einem Bild eingenommen, das auf einer vollgehangenen Wand nur wenige Zentimeter über dem Boden angebracht war. Wer denn der Künstler sei, fragte ich die junge Dame im Büro nebenan, das mehr einem Wohnzimmer denn einem Arbeitsplatz gleichte. "Das ist Sigurður Atli Sigurðsson. Er ist gerade da, warte, ich stell ihn dir vor." Ein junger Bursche, der, wie sich herausstellte, sogar jünger war als ich, stand dann vor mir und so kam ich nicht aus dem Staunen heraus, dass jemand aus dem Jahrgang 1988 solch energetische Arbeiten wie "Undir jörð" (Unter der Erde) anfertigen konnte. Wir kamen kurz ins Gespräch und wie ich erfuhr, existierten noch mehr Werke dieser Art in der Reihe "Handfylli af jörð" (Eine Handvoll Erde), die allesamt diese eigenartige Stimmung zu eigen hatten.

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The mob against the prosecution

04. September 2010

The mob against the prosecution Die Isländer führen ein beschauliches Leben dort oben im Norden, so weit entfernt vom Festland. Selten dringen Nachrichten aus der kleinen Republik in die restliche Welt, und wenn, dann geht es um gestörten Flugverkehr oder das neuste Sigur-Rós-Album. Eine Angelegenheit, die zwar auch in Deutschland publik wurde, doch gemessen an ihrer Brisanz, kaum Beachtung fand, war der große Bankencrash 2008, der bis heute die isländische Gesellschaft prägt. Stand die isländische Krone im Oktober 2007 noch bei einem Wechselkurs von 85 für einen Euro, ist sie heute nur noch halb so viel wert. Die Arbeitslosigkeitsrate betrug im 2. Quartal 2010 neun gegenüber zwei Prozent im Dezember 2007, entsprechend sank auch die Stimmung über die Jahre in den Keller. Am 8. Dezember 2008 kam es nach langen, von der ganzen Gesellschaft getragenen, öffentlichen Protesten schließlich zur gewaltlosen Stürmung des isländischen Parlaments durch dreißig Demonstranten, woraufhin neun von ihnen festgenommen und von den Abgeordneten angezeigt wurden. Die wahllos herausgepickten Angeklagten warten bis heute auf ihr Urteil, das harte Freiheitsstrafen wegen Störung der Parlamentsbetriebs beinhalten könnte. Unter ihnen befinden sich auch zwei Künstler, die die großen Namen in der isländischen Kunstszene um sich versammelt haben, um eine Soli-Ausstellung für die "Reykjavík 9" auf die Beine zu stellen: "The mob against the prosecution".

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Der Kunsthotspot am Polarkreis

03. September 2010

Kunst zwischen Tradition und Gegenwart: Ohne Titel, © Ólafur Ólafsson und Libia Castro Eigentlich fuhr ich diesen Sommer für eine Trekkingtour nach Island, doch natürlich kam alles anders als geplant, und so verbrachte ich wegen einer Verletzung am Knie die letzten acht Tage in der Hauptstadt Reykjavík. Wie sich schnell herausstellte, war das kein Grund zur Traurigkeit, denn die nördlichste Hauptstadt der Welt bot, anders als ihre beschauliche Größe vermuten lässt (gerade einmal 120.000 Einwohner leben dort), eine große Auswahl an Galerien, Museen und Kunst im Allgemeinen. Schnell fiel mir auf, dass es gar nichts gab, was ich über zeitgenössische Kunst aus diesem Land wusste, und wenn man einmal Ólafur Elíasson außen vor lässt, dürfte das auch für das restliche Kontinentaleuropa der Fall sein. Wie sich allerdings bald zeigte, ist die mangelnde Beachtung für die Kunst vom Polarkreis alles andere als gerechtfertigt und so fasste ich den Entschluss, dieses Land von seiner künstlerischen Seite kennenzulernen und hier im Blog zu dokumentieren. Mithilfe von Doro, Direktorin des Center for Icelandic Art und Kuratorin Birta vom Living Art Museum gewann ich schnell einen Einblick in die isländische Gegenwartskunst und konnte mir in den folgenden Tagen ein Bild von den thematischen Eigenheiten und Tendenzen machen. Ich besuchte alle Galerien und Kunstmuseen in Reykjavík, lernte dabei viele Kuratoren und Künstler kennen und kehrte bald mit dem Gefühl heim, dass in der isländischen Kunstszene eine lebendige Aufbruchstimmung herrscht und Raum für neue Ideen und Experimente besteht, wie ich es zuvor auch aus Berlin kannte.

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