Zur Lage der Menschheit

15. September 2015 von Matthias Planitzer
Die Welt im Umbruch: Klima-, Finanz- und nun auch noch die Flüchtlingskrise zwingen Staat und Gesellschaft zum Umdenken, wohingegen der Bürger unbeirrt, ja eigentlich schockerstarrt darauf vertraut, daß es sich schon irgendwie ausgehen wird. Keep calm and carry on. Wenn es denn so einfach wäre. Eine Berliner Ausstellung sucht nach des Pudels Kern.

Ausstellungsansicht "State of mankind": Ken Sortais, Andrew Gilbert (v.l.n.r.); Foto: Stefan Hähnel

Auch wenn die Welt aus den Fugen zu gera­ten, auch wenn die alte Ord­nung des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts ver­ges­sen scheint, reagie­ren wir nicht etwa mit Ner­vo­si­tät und Angst. Selbst die Jahr um Jahr gra­vie­ren­de­ren Sze­na­ri­en einer bald dem Hit­ze­kol­laps anheim fal­len­den Erde, die immer häu­fi­ger und hef­ti­ger über die Bör­sen, Kon­zer­ne und Bürger her­fal­len­den Finanz­kri­sen und die schein­bar aller­orts schwe­len­den reli­giö­sen und poli­ti­schen Kon­flik­te kön­nen uns nicht soweit beun­ru­hi­gen, daß wir aus unse­rem All­tag aus­brä­chen und die­se Her­aus­for­de­run­gen angin­gen. Aber auch die ver­hei­ßungs­vol­len Uto­pien der digi­ta­len Revo­lu­tio­nen Zwei Punkt Null, Drei Punkt Null und Vier Punkt Null, die ver­spro­che­ne Zukunfts­vi­si­on einer Mas­sen­pro­duk­ti­on aus dem hei­mi­schen 3D-­Dru­cker, noch die umfas­sen­de Arbeits­markt­um­struk­tu­rie­rung durch Künstliche Intel­li­genz­for­men kön­nen uns aus­rei­chend überzeugen, um die­sen Ent­wick­lun­gen freu­dig ent­ge­gen­zu­se­hen. Statt­des­sen har­ren wir, die Gesell­schaft, die sich die­sen Her­aus­for­de­run­gen gegenüber sieht und nichts von all die­sen kom­ple­xen Vor­gän­gen ver­ste­hen kann, wie schreck­erstarrt aus, scheu­en die Kon­fron­ta­ti­on, wo sie aus­weich­lich scheint, und eini­gen uns auf Min­dest­maß­nah­men, die schon bald Maku­la­tur werden.

Als ein Zei­chen der Ver­zweif­lung ist die­ses eigentümliche Ver­mei­dungs­ver­hal­ten jedoch nicht zu lesen. Im Gegen­teil, ange­sichts der vie­len Her­aus­for­de­run­gen, wel­che jede für sich allein genom­men einer gan­zen Gene­ra­ti­on genügen würden, bli­cken wir erstaun­lich hoff­nungs­voll in die Zukunft. Unser fast schon spi­ri­tu­el­ler Glau­be an die unbe­greif­li­chen Mäch­te, die alles zum Guten keh­ren, ent­springt nicht etwa den meta­phy­si­schen Hol­ly­wood-­Ge­set­zen vom unver­meid­li­chen Hap­py End. Die­se Gelas­sen­heit gründet sich allein auf die tie­fe Über­zeu­gung, daß der Mensch­heit alles zum Guten gereicht, solan­ge wir uns dar­auf ver­stän­di­gen, daß die­se Her­aus­for­de­run­gen zumin­dest im Grund­satz gemeis­tert wer­den kön­nen. Doch wo der Pes­si­mist das fata­lis­ti­sche Grundübel zu erken­nen meint und selbst sich ihm am sehn­lichs­ten hin­gibt, um sich mit der täu­schen­den Gewiss­heit von der Unab­wend­bar­keit der jeden Tag auf den Titel­blät­tern aufs Neue pro­jek­tier­ten Zukunft zu betäu­ben, schei­den sich die Geis­ter und es tritt ein neu­er Mensch auf den Plan.

Andrew Gilbert: "Hauka Fetish of the Colonial Governor"; Foto: Stefan Hähnel

Andrew Gil­bert: »Hau­ka Fetish of the Colo­ni­al Gover­nor«; Foto: Ste­fan Hähnel

Ihn als Akti­vis­ten zu ver­klä­ren, würde ihm nicht gerecht. Er sehnt sich eben­so nach einem guten Aus­gang, er ist Skep­ti­ker und Hof­fen­der zugleich, fin­det eben­falls kei­ne umfas­sen­de Ant­wort auf die Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit, aber ist überzeugt, daß sich nur etwas ändern kann, wenn ein ers­ter Schritt, sei er auch noch so klein, getan wird. Er ist Prag­ma­ti­ker; er packt selbst an, ohne sich gewiss sein zu kön­nen, daß sein klei­ner Bei­trag am nächs­ten Tag noch Bestand hat. Denn er scheut nicht die Sisy­phus­ar­beit, wenn sie doch nur für einen Augen­blick einen Unter­schied bedeu­tet. Die­ser meta­mo­der­ne Mensch begeg­net uns heu­te immer öfter: mit notdürftigen Hilfs­pa­ke­ten vor überfüllten Flüchtlingsauffanglagern, an der Super­markt­kas­se, wo er kli­ma­neu­tra­le Kauf­ent­schei­dun­gen fällt und auch auf der Stra­ße und im Gespräch, wenn er schon dem Anflug frem­den­feind­li­chen Gedan­ken­guts die Stirn bietet.

Solch ver­ant­wort­li­ches Han­deln des Ein­zel­nen ist frei­lich kein Phä­no­men des 21. Jahr­hun­derts. Die immer wie­der gelob­te Spen­den­be­reit­schaft der Deut­schen ist eben­so bekannt, wie das Zusammenrücken gan­zer Gesell­schaf­ten in Zei­ten schwe­rer Kri­sen seit Jahr­tau­sen­den immer wie­der beob­ach­tet wird. Was jedoch viel­leicht unge­kannt ist, liegt in der Viel­falt der Stra­te­gien, die ent­wi­ckelt wer­den, um der Viel­ge­stal­tig­keit der gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Auf­ga­ben ent­ge­gen­zu­tre­ten. Denn wenn es kei­nen Mas­ter­plan gibt, ist jeder Ein­zel­ne gefragt, eige­ne Ideen zu entwickeln.

Auch die Kunst blieb davon nicht unberührt: Sie fin­det zu ihrer bereits von man­chem ver­lo­ren geglaub­ten Auf­ga­be zurück, sich selbst die­ser Pro­ble­me anzu­neh­men, sie zu unter­su­chen und Lösun­gen zu fin­den. Sie äußert die­sel­ben Zwei­fel und die­sel­ben Hoff­nun­gen, sie geht mit der­sel­ben Taten­kraft vor und sieht sich genau­so oft geschei­tert, wie all jene Men­schen, mit denen sie sich verbrüdert hat, es täg­lich erleben.

Das Trio hin­ter dem Ber­li­ner Edi­ti­ons­ver­lag und Kura­ti­ons­kol­lek­tiv Dra­wa­li­ne greift in einer Popup-Aus­stel­lung das The­ma auf: In „Sta­te of man­kind“ hat es sechs Künstler ver­sam­melt und sie mit die­ser unüberwindbar schei­nen­den Pro­blem­stel­lung kon­fron­tiert. Die Macher ziel­ten auf ihr Schei­tern ab, spe­ku­lier­ten auf ihre Resi­gna­ti­on und erwar­te­ten ihren Ver­druss. Sie haben sie bewusst in die­ses Dilem­ma gestürzt, um ihnen ihr gesam­tes Reper­toir an künstlerischen Pro­blem­lö­sungs­stra­te­gien abzuverlangen.

Wäh­rend Ken Sor­tais dar­aus einen Urkon­flikt olym­pi­schen Aus­ma­ßes ent­spinnt, spielt sich die­se Göt­ter­däm­me­rung bei Cle­on Peter­son in ganz irdi­schen, gera­de­zu pro­fa­nen, weil mensch­li­chen Sphä­ren ab. Wo Eike König nur im ewi­gen Kreis­lauf der ein­an­der ent­ge­gen­ge­setz­ten Pole eine fast schon meta­phy­si­sche Urkon­stan­te offen­bart, ver­mu­tet Dani­el Jack­son im uto­pi­schen Gegen­ent­wurf der Sci­ence Fic­tion einen mög­li­chen, ver­söhn­li­chen Aus­weg. Andrew Gil­bert weiß sol­che Sehn­suchts­vi­sio­nen mit einem kari­kie­ren­den Kom­men­tar auf die jüngere Geschich­te ad absur­dum zu führen, wohin­ge­gen Mar­kus Mai die­se teils lei­den­schaft­lich vor­ge­brach­ten Stand­punk­te mit einer nihi­lis­ti­schen Rand­no­tiz auf die grund­sätz­li­che Nich­tig­keit sol­cher irdi­scher, schließ­lich dem endgültigen Ver­fall alles Ver­gäng­li­chen aus­ge­setz­ten Ange­le­gen­hei­ten verwirft.

Schließ­lich eint die­se Künstler die Erkennt­nis, nicht eigen­stän­dig zu einer befrie­di­gen­den Ant­wort gelan­gen zu kön­nen. Inso­fern hat der Plan der Kura­to­ren gefruch­tet. Schließ­lich ste­hen die Künstler von „Sta­te of man­kind“ den­sel­ben Fra­gen gegenüber, sto­ßen auf die­sel­ben Hin­der­nis­se und kön­nen viel­leicht sogar eini­ge von ihnen aus dem Weg räu­men. Daher bleibt ihnen nichts anders übrig, als zu kom­men­tie­ren und fest­zu­stel­len, aber auch auf­zei­gen, wo sie selbst die Ori­en­tie­rung ver­lo­ren haben. Sie geben Hin­wei­se und Stich­wör­ter, kön­nen nur dar­auf hof­fen, daß der Besu­cher mit ähn­li­chen Gedan­ken und Sor­gen ver­traut ist und hier zumin­dest erken­nen kann, daß auch den ande­ren die Ant­wor­ten fehlen.

Die­ser Arti­kel erschien in gekürz­ter und leicht ver­än­der­ter Form auch als aus­stel­lungs­be­glei­ten­der Text.