Ai Weiwei und seine Freunde

23. Mai 2014 von Matthias Planitzer
Als Künstler ist der Chinese uninteressant. Als Aktivist für den Westen umso mehr.

Ai Weiwei: "Stools"; © Ai Weiwei

hin­weg­täu­schen las­sen sol­le, daß ein Besuch in der Gale­rie oder im Muse­um ver­zicht­bar sei. Aller­dings wird oft­mals ver­schwie­gen, daß auch das Gegen­teil der Fall sein kann: Man­cher Kunst schmei­chelt die foto­gra­fi­sche Repro­duk­ti­on, kaschiert ihre klei­nen Imper­fek­tio­nen und stellt sie viel gelun­ge­ner dar als sie eigent­lich ist. Von einer der­ar­tig erwar­tungs­vol­len Vor­freu­de beflü­gelt kann dann der Aus­stel­lungs­be­such lei­der nur noch enttäuschen.

Der­art ernüch­tert muss man sich jeden­falls füh­len, wenn man die immer auf die glei­che Wei­se spek­ta­ku­lär insze­nier­ten Instal­la­ti­ons­an­sich­ten einer belie­bi­gen Aus­stel­lung Ai Wei­weis mit dem sinn­li­chen und leib­li­chen Ein­druck – so schwach er auch ist – abgleicht, den die Arbei­ten bei einem Besuch hin­ter­las­sen. Wer nur das Pres­se­ma­te­ri­al zu Ais aktu­el­ler Ein­zel­aus­stel­lung »Evi­dence« im Mar­tin-Gro­pi­us-Bau, so etwa die obi­ge Abbil­dung eines klei­nen Teils der 6000 höl­zer­nen Sche­mel kennt, die der Chi­ne­se in das Atri­um des Hau­ses hin­ein­zwän­gen las­sen hat, könn­te sich von der dra­ma­ti­schen Vogel­per­spek­ti­ve leicht irre­füh­ren las­sen, daß die Instal­la­ti­on »Stools« ein ganz außer­or­dent­lich beein­dru­cken­des Kunst­werk sein muss. Man kennt das: Jeff Koons‹ schrill glän­zen­de Bal­lon­skulp­tu­ren wer­den gern in der leich­ten Unter­sicht gezeigt. Wo die ver­spie­gel­ten Hünd­chen und Schlan­gen jedoch immer­hin mit tech­ni­scher Per­fek­ti­on punk­ten kön­nen, bleibt vom Spek­ta­kel der Ai’schen Bild­wel­ten nicht viel übrig: Aus der Nähe sind es ledig­lich etli­che Hocker, die man so auch auf einem Sperr­müll­hof ver­mu­ten wür­de, wenn, ja wenn man nicht dank der Aus­stel­lungs­tex­te wüss­te, daß Ai die­se »Holz­sche­mel aus der Ming- und der Qing-Dynas­tie sowie aus der Zeit der Repu­blik Chi­na« gesam­melt hat. Glei­ches galt und gilt auch für sei­nen Fahr­rad­sa­lat »Fore­ver Bicy­cle«, den wir­ren Sche­mel­sturm im deut­schen Pavil­lon und die eben­falls in Vene­dig gezeig­ten, begra­dig­ten Beweh­rungs­stäh­le. Immer wie­der hor­tet Ai die Memo­ra­bi­lia, die er in sei­ner chi­ne­si­schen Hei­mat vor­fin­det, um den Umgang der herr­schen­den Klas­se mit Men­schen­rech­ten und ‑schick­sa­len, Kul­tur­gü­tern und der Umwelt zu kri­ti­sie­ren. Über­zeu­gend ist das aber nicht.

Man ertappt sich dabei, den Künst­ler zu ver­tei­di­gen, daß er sich nun mal auf Rea­dy­ma­des und Assem­bla­gen ver­ste­he, daß es nun mal sei­ne Auf­trag sei, auf den poli­ti­schen und kul­tu­rel­len All­tag der Volks­re­pu­blik Chi­nas hin­zu­wei­sen, daß er sei­ne Kri­tik ja gar nicht frei äußern kön­ne und daß man über­haupt erst ein­mal ein­se­hen müs­se, daß sich eine west­li­che Sicht auf fern­öst­li­che Kunst schlicht ver­bie­te. All die­se Ein­wän­de wären rich­tig und gut, wenn damit nicht über­se­hen blie­be, daß auch dies Ai Wei­wei und sei­ner Kunst par­tout nicht gerecht wird.

Ai Weiwei: "Souvenir from Shanghai"; © Ai Weiwei, Foto © Mathias Völzke

Ai Wei­wei: »Sou­ve­nir from Shang­hai«; © Ai Wei­wei, Foto © Mathi­as Völzke

Denn sie ist gefäl­lig und flach. Ai begnügt sich damit, Objek­te und Mate­ria­li­en zu arran­gie­ren, um die ihr zuge­schrie­be­nen Bedeu­tun­gen mit­ein­an­der zu ver­schrän­ken. Sechs­tau­send abge­wetz­te und blank polier­te Sche­mel ste­hen für sechs­tau­send Chi­ne­sen und ihre in Ver­ges­sen­heit gera­te­ne, frei­lich auch unter Mao aus­ge­lösch­te Kul­tur. Mit Auto­lack besprüh­te Han-Vasen sol­len laut Ai auf den Kon­sum­geist sei­ner Lands­män­ner hin­wei­sen und, wie man in »Evi­dence« lernt, »uns dar­über nach­den­ken [las­sen], wie wir die wirk­li­che Bedeu­tung von Geschich­te und Zivi­li­sa­ti­on fest­le­gen«. Das ist natür­lich nicht mehr als ein bana­ler Künst­ler­streich, doch sind die acht Vasen unter allen im Mar­tin-Gro­pi­us-Bau gezeig­ten Wer­ken noch eine der span­nen­de­ren Arbei­ten. Zu den meis­ten ande­ren bleibt ohne­hin nicht viel zu sagen, als das, was Ai auf die Aus­stel­lungs­ta­feln schrei­ben ließ: »Die aus einem ein­zi­gen Mar­mor­block gemei­ßel­te Arbeit Mask zeigt eine Atem­schutz­mas­ke auf einem Grab­stein.« Dar­un­ter: Eine Atem­schutz­mas­ke auf einem Grab­stein, aus grü­nem Mar­mor gehau­en. Über »Cos­me­tics« heißt es nur kurz: »Ai Wei­wei mach­te sich die chi­ne­si­sche Tra­di­ti­on und For­men­spra­che von Jade­ob­jek­ten zunut­ze, um ihnen die­se moder­nen Behäl­ter für Kos­me­tik­pro­duk­te nach­zu­emp­fin­den.« Dage­gen braucht die kür­zes­te Beschrei­bung nur drei­zehn Wor­te um auf den Punkt zu kom­men und kei­ne Fra­gen offen zu las­sen: »Das Werk ist eine Nach­bil­dung der Plas­tik­bü­gel aus Ai Wei­weis Gefäng­nis­zel­le aus Edel­stahl«. Hier­mit ist das in »Evi­dence« gebrauch­te For­men­vo­ka­bu­lar auch schon größ­ten­teils durch­de­kli­niert: Jade, Mar­mor, Holz, Por­zel­lan, Gold und Bron­ze ste­hen für das kul­tu­rel­le Andenken Chi­nas, Kon­sum­gü­ter für den Kon­sum­geist und alles ande­re im Zusam­men­hang zu Ais Inhaftierung.

Über­haupt ste­hen in der von Ai selbst kura­tier­ten Aus­stel­lung die zwei­fels­oh­ne rechts- und sit­ten­wid­ri­ge Haft und wei­te­re Kon­fron­ta­tio­nen des Künst­lers mit der chi­ne­si­schen Staats­ge­walt in einem beson­de­ren Mit­tel­punkt: Da wer­den die glei­chen Klei­der­bü­gel aus Kris­tall, eine Nach­bil­dung der Hand­schel­len aus Jade, ein Nach­bau der Iso­la­ti­ons­zel­le, kon­fis­zier­tes Büro­ma­te­ri­al, Bau­schutt sei­nes zer­stör­ten Ate­liers sowie eine recht gewitz­te Pro­test­form gegen die­sen Abriss gezeigt. Man kann dar­in die Doku­men­ta­ti­on staat­li­chen Unrechts erken­nen, man wird aber nicht dar­auf ver­zich­ten kön­nen, wie bei allen poli­tisch auf­ge­la­de­nen Dis­kus­sio­nen das cui bono zu fragen.

Wenn Ai Wei­wei eine umfas­sen­de Über­blicks­aus­stel­lung über sein eige­nes Gesamt­werk gera­de in dem Land kura­tiert, das sich unter allen west­li­chen Natio­nen wohl am meis­ten um sein Schick­sal sorgt, und sich ent­schei­det, die Repres­sa­li­en gegen sei­ne Per­son in den Fokus zu rücken, soll­te das nach­denk­lich stim­men. Wenn fer­ner die »Freun­de Ai Wei­weis« ihren offe­nen Brief an Kanz­le­rin und Außen­mi­nis­ter vom März die­ses Jah­res auf gro­ße Pla­ka­te dru­cken und pro­mi­nent im Ein­gangs­be­reich zur Aus­stel­lung plat­zie­ren, außer­dem die dazu­ge­hö­ri­ge Unter­schrif­ten­ak­ti­on als Hand­rei­chung im Gebäu­de bewer­ben, soll­te das eben­falls nach­denk­lich stim­men. Denn offen­sicht­lich geht es in »Evi­dence« nicht dar­um, das Talent und Schaf­fen eines groß­ar­ti­gen Künst­lers zu wür­di­gen. Denn das ist Ai Wei­wei nicht – das offen­bart »Evi­dence« schon nach weni­gen Minuten.

Es drängt sich viel mehr der Ein­druck auf, daß es viel mehr dar­um geht, die Groß­aus­stel­lung für eine poli­ti­sche Agen­da zu instru­men­ta­li­sie­ren, die aus dem geschütz­ten Aus­stel­lungs­raum des Muse­ums her­aus zur Stim­mungs­ma­che gegen die innen­po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se eines sou­ve­rä­nen Staats anstimmt und dabei geflis­sent­lich über kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge hin­weg­täuscht. In die­ser Hin­sicht ist Ai weni­ger als Künst­ler, denn als poli­ti­scher Akti­vist zu betrach­ten. Beim Mar­tin-Gro­pi­us-Bau war man übri­gens bis­her nicht dazu bereit, über die Hin­ter­grün­de zur Kon­zep­ti­on der Aus­stel­lung, über eine mög­li­che Unter­stüt­zung aus Poli­tik und Wirt­schaft oder die Rol­le der »Freun­de Ai Wei­weis« Aus­kunft zu geben. Daher bleibt an die­ser Stel­le nicht viel mehr übrig, als erneut auf das viel zitier­te Mono­pol-Inter­view mit dem chi­ne­si­schen Kura­tor Hou Han­ru hinzuweisen.

Selbst wenn ein sol­ches Kal­kül bestan­den haben soll­te, wäre es Ai Wei­wei frei­lich nicht anzu­las­ten. Der Akti­vist Ai tut gut dar­an, die Unter­stüt­zung aus dem Wes­ten anzu­neh­men. Han­ru weist rich­tig dar­auf hin, daß Ai nur der bekann­tes­te unter vie­len Künst­lern ist, die sein Schick­sal tei­len. Man kommt aller­dings gera­de des­we­gen nicht umhin, nach den Inter­es­sen zu suchen, die eine solch außer­or­dent­li­che Unter­stüt­zung begrün­den könn­ten. An die­ser Stel­le beträ­te man jedoch der­zeit noch das Feld der wei­ten Spe­ku­la­tio­nen: Geht es wirk­lich noch um ein Ein­zel­schick­sal oder die Frei­heit der Kunst (die frei­lich, ein sehr jun­ges, west­li­ches und auch nur ein­ge­schränkt ein­ge­lös­tes Ver­spre­chen ist)? Ver­lei­ten die alten Denk­struk­tu­ren einer in Blö­cken auf­ge­teil­ten Welt zu einer Pro­pa­gan­da gegen das Ande­re? Ver­sucht das Abend­land wie­der ein­mal unter dem Deck­man­tel der Moral oder der Men­schen­rech­te den euro­päi­schen Uni­ver­sa­lis­mus über die Gren­zen des Kon­ti­nents hin­weg zu expor­tie­ren und alles Frem­de in die­sem Sin­ne zu indoktrinieren?

Wis­sen kann man es frei­lich nicht. Jedoch, ein bit­te­rer Bei­geschmack bleibt.

Andere Meinungen

  1. […] Mar­ke Ai Wei­wei mit gro­ßem Wie­der­erken­nungs­wert, ein ech­ter Export­schla­ger made in Chi­na bereits, als die west­li­che Kunst­welt ihr noch vom ande­ren Ende des Glo­bus zuju­bel­te und post­wen­dend mit ganz eige­nen Export­schla­gern und Wer­ten ant­wor­te­te. Es war chic, sich […]