Tho­mas Struth: »Mea­su­ring, Helmholtz-Zentrum, Ber­lin 2012″; Foto: cour­tesy Max Hetzler

Thomas Struth im Gespräch über real gewordene Fantasiewelten

11. April 2014 von Matthias Planitzer
Über Disneyland, bildgeführte Operationsroboter, physikalische Maschinenparks und andere Utopien

Tho­mas Struth: »Mea­su­ring, Helmholtz-Zentrum, Ber­lin 2012″; Foto: cour­tesy Max Hetzler

Im ver­gan­ge­nen Monat eröff­ne­te Max Hetz­ler in sei­ner Char­lot­ten­bur­ger Gale­rie die lang erwar­te­te Ein­zel­aus­stel­lung Tho­mas Struths, für die er Orte der wis­sen­schaft­li­chen und tech­no­lo­gi­schen Inno­va­ti­on, aber auch der Rea­li­tät gewor­de­nen Ima­gi­na­ti­on besucht: unüber­schau­ba­re Maschi­nen­parks phy­si­ka­li­scher Ver­suchs­an­stal­ten, robo­tro­ni­sche OP-Säle, aber auch die pas­tell­ge­tünch­ten Fas­sa­den von Dis­ney­land oder ein asia­ti­sches Mega­pro­jekt des sozia­len Woh­nungs­baus. All das wur­de von Men­schen geschaf­fen, wur­de als Teil des kol­lek­tiv Unbe­wuss­ten aus­ge­formt, bleibt doch aber selt­sam distan­ziert und unwirk­lich. So zei­gen Struths Fotos die­se sagen­haf­ten, para­do­xer­wei­se uner­schlos­se­nen Wel­ten und machen die Span­nun­gen sicht­bar, die zwi­schen Fik­ti­on und Rea­li­tät herrschen.

Ich kam mit Struth ins Gespräch – über hoch­kom­ple­xe Tech­no­lo­gien, die nur noch mensch­li­che Arte­fak­te sind, und ande­re real gewor­de­ne Fantasiewelten.

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Herr Struth, ken­nen Sie Ilja Krchanovsky?

Tho­mas Struth: Nein.

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Der rus­si­sche Regis­seur hat 2006 für sei­nen Film »Dau« irgend­wo in der Ukrai­ne auf 12.000 Qua­drat­me­tern ein Film­set bau­en las­sen, das sämt­li­che Vor­stel­lun­gen über­traf. Hier wur­de ab 2008 die Tru­man Show Rea­li­tät. Eine Stadt, nur für die Kame­ras geschaf­fen. Drei Jah­re lang war das Set nicht etwa Kulis­se, son­dern der Lebens­raum der Schau­spie­ler. Denn hier wur­de das Sowjet­reich von 1952 wie­der­be­lebt und es soll­te so rea­lis­tisch sein wir nur irgend mög­lich. Also muss­ten Han­dys drau­ßen blei­ben und wer über Face­book sprach, wur­de harsch ermahnt. Die Schau­spie­ler erhiel­ten aller­dings kaum Anwei­sun­gen. Sie leb­ten hier wie bei Big Brot­her, nur halt in einer Welt, die nicht mehr exis­tier­te. Es wur­de gear­bei­tet, es wur­den Par­ties gefei­ert, es wur­de getrun­ken, es wur­de vor allem aber auch viel dis­ku­tiert. All das war aber nur Kulis­se für die Haupt­hand­lung um den Wis­sen­schaft­ler Lev Land­au. Nur wenig ist über das Groß­pro­jekt bekannt, wer jedoch von der Fan­ta­sie­stadt des exzen­tri­schen Rus­sen erzählt, berich­tet davon, dort förm­lich ein­ge­so­gen zu wer­den. Die Fan­ta­sie ver­leibt sich die Bewoh­ner der rea­len Welt ein. Wäre das nicht etwas für Sie?

Tho­mas Struth: (lacht) Könn­te sein, ja. Wie vie­le Leu­te haben da gelebt?

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Ins­ge­samt waren es 300.000 Kom­par­sen, aber auch vie­le Schau­spie­ler und eini­ge Künst­ler, etwa Mari­na Abra­mo­vić oder Cars­ten Höl­ler. Der Film läuft aber erst im nächs­ten Jahr an.

Thomas Struth: "Mountain, Anaheim, California 2013"; Foto: courtesy Max Hetzler

Tho­mas Struth: »Moun­tain, Ana­heim, Cali­for­nia 2013«; Foto: cour­te­sy Max Hetzler

Tho­mas Struth: Wer hat das bezahlt?

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Das waren ver­schie­de­ne Geld­ge­ber aus der EU, der Ukrai­ne und Russ­land. Krcha­novksy hat wegen mehr­ma­li­ger Finan­zie­rungs­pro­ble­me stets die größ­ten Anstren­gun­gen unter­nom­men, um neue Geld­quel­len aus­fin­dig zu machen.
Ich erzäh­le Ihnen davon, weil »Dau« eben­so wie die Arbei­ten in Ihrer Aus­stel­lung bei Max Hetz­ler die Ver­ei­ni­gung von Rea­li­tät und Ima­gi­na­ti­on per­fek­tio­niert. Dazu fin­den Sie immer wie­der sol­che Orte, die eben­so wie die Film­stadt die­se enge Bezie­hung sicht­bar wer­den las­sen. Wie sind Sie über­haupt auf die­se Orte auf­merk­sam gewor­den und war­um haben Sie gera­de die­se ausgewählt?

Tho­mas Struth: Das hat ver­schie­de­ne Grün­de. Mein Inter­es­se an Wis­sen­schaft und Tech­nik kam auf, nach­dem mei­ne Arbeit in den Muse­en abge­schlos­sen war. Neben den Fami­li­en­por­traits, die ich immer wie­der anfer­ti­ge, such­te ich nach einem neu­en Feld. Ich beschäf­tig­te mich schon seit län­ge­rer Zeit mit dem Fort­schritts­glau­ben und der Begeis­te­rung für Wis­sen­schaft und tech­ni­sche Durch­brü­che. Mir scheint, daß über die­se Din­ge oft Einig­keit besteht, wohin­ge­gen in kom­ple­xen sozia­len Berei­chen, also in den Din­gen, die mir eigent­lich so wich­tig sind, immer ein Rin­gen ist, daß es einem schwind­lig wird. Da gibt es eine Dis­kre­panz und es ist ent­täu­schend, daß die­se Ent­wick­lun­gen so müßig sind. Natür­lich gibt es auch immer wie­der Durch­brü­che, etwa das Ende der Apart­heid oder Chi­nas Öff­nung zum Westen.

Die Obses­si­on des Wis­sen­schafts­glau­bens fin­det anders statt, man ver­spürt sie ja nur, weil die Welt davon beein­flusst wird, aber man sieht sie meis­tens nicht. Ich habe das an zwei Fäl­len beob­ach­tet: auf einer Rei­se durch Süd­ko­rea, wo ich mich dazu ent­schie­den hat­te, eine gro­ße Schiffs­werft zu besu­chen, und bei einer Besich­ti­gung in Cape Cana­ve­ral. Da wuchs lang­sam die Idee, daß das ein neu­es Bild­the­ma sein könn­te, sozu­sa­gen die »Gehirn­ab­drü­cke« zu foto­gra­fie­ren: Etwa die Ver­ka­be­lung, die für die Plas­ma­fu­si­ons­expe­ri­men­te gebraucht wird, die ja auch eine skulp­tu­ra­le Erschei­nun­gen ist. Die­se Bil­der habe ich das ers­te Mal vor drei­ein­halb Jah­ren in New York, Ber­lin und im Rah­men mei­ner Euro­pa-Tour­nee auch andern­orts ausgestellt.

Zur glei­chen Zeit wur­de ich auf Dis­ney­land auf­merk­sam und bin 2009 dort hin­ge­flo­gen um Test­fo­tos zu machen. Mir kam die­ser Ort wie eine archai­sche Form einer Fan­ta­sie­welt vor, die in einem gewis­sen Ver­hält­nis zum heu­ti­gen 3D-Film »Gra­vi­ty« steht. Es ist unglaub­lich, wie rea­lis­tisch das aus­sieht. In dem Zusam­men­hang sieht der Auf­bau von Dis­ney­land in Ana­heim wie eine frü­he Form der Fan­ta­sie­um­set­zung aus. Nach län­ge­ren Über­le­gun­gen habe ich mich ent­schie­den, dort zu foto­gra­fie­ren. In den Aus­stel­lun­gen in New York und Ber­lin habe ich eine Kom­bi­na­ti­on aus die­sen Auf­nah­men und den Tech­nik-Bil­dern gezeigt. Dabei geht es um die Fra­ge von Bild­wel­ten, die wie Archi­ve in der Erin­ne­rung, in Träu­men und Zukunfts­vi­sio­nen fort­le­ben. Das Gan­ze ist aber sehr insta­bil und ambi­va­lent. Daher woll­te ich eine Aus­stel­lung machen, die die­se Unsi­cher­heit ver­kör­pert: Was ist das, ist das real, wozu dient das?

Thoms Struth: "Canyon, Anaheim, California 2013"; Foto: courtesy Max Hetzler

Thoms Struth: »Can­yon, Ana­heim, Cali­for­nia 2013«; Foto: cour­te­sy Max Hetzler

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Eini­ge der Orte, die Sie in Ihren Foto­gra­fien bei Max Hetz­ler zei­gen, vibrie­ren in einer selt­sa­men Span­nung zwi­schen Rea­li­tät und Ima­gi­na­ti­on. Ins­be­son­de­re Ihre Auf­nah­men aus Dis­ney­land Kali­for­ni­en lei­ten dar­aus eine Unru­he ab, die in der Arbeit »Can­yon, Ana­heim, Cali­for­nia 2013« so weit auf die Spit­ze getrie­ben wird, daß man kaum Fels von Kunst­stoff unter­schei­den könn­te. Allein die Anwe­sen­heit eines Zau­nes, einer Stra­ße und einer Brü­cke kann über­haupt den Zwei­fel an der Echt­heit die­ser Sze­ne­rie erwe­cken. Wel­chen Anteil hat Ihre künst­le­ri­sche Hand an die­ser Ambivalenz?

Tho­mas Struth: Das ist eine ganz nor­ma­le ana­lo­ge Foto­gra­fie, die mit einer 8x10« Kame­ra auf­ge­nom­men wur­de. Der Witz an der Sache ist es, den Stand­punkt so zu wäh­len, daß nur die­ser Aus­schnitt zu sehen ist. Wenn man da tat­säch­lich steht, sieht man natür­lich die gan­ze Umge­bung. Dann ist es aber immer noch erstaun­lich, man ist so ver­blüfft, daß man es fast mit dem Grand Can­yon ver­wech­seln kann, nach des­sen Vor­bild die Kulis­se ja gebaut wurde.

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Also eine geschick­te Wahl des Bildausschnitts?

Tho­mas Struth: Genau. Das Deut­sche ist da oft so schön klar und wört­lich: »Kühl­schrank, »Aus­schnitt«. Das ist qua­si aus­ge­schnit­ten. In der New Yor­ker Aus­stel­lung kamen tat­säch­lich eini­ge Leu­te auf mich zu, die das erst gar nicht erkannt hat­ten und frag­ten, wo die­ser Can­yon ist. Die glaub­ten, das wäre eine ech­te Land­schaft. Mich hat fast ver­wun­dert, wie das ame­ri­ka­ni­sche Publi­kum die­se Rea­li­täts­ver­un­si­che­rung, die Sie beschrie­ben haben, auf­ge­fasst hat.

Thomas Struth: "Figure Charité, Berlin"; Foto: courtesy Max Hetzler

Tho­mas Struth: »Figu­re Cha­ri­té, Ber­lin«; Foto: cour­te­sy Max Hetzler

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Das führt mich wie­der­um zu einem der For­schungs­schwer­punk­te der wis­sen­schaft­li­chen Arbeits­grup­pe, zu der ich gehö­re, näm­lich den Ope­ra­ti­ons­ro­bo­ter DaVin­ci, den Sie ja foto­gra­fiert haben (»Figu­re Cha­ri­té, Ber­lin«), nach­dem Sie das Sys­tem in der Cha­ri­té ken­nen­ler­nen konn­ten. Das Gerät wird ja vom Chir­ur­gen mit­hil­fe einer Kon­so­le gesteu­ert wird. Das Ope­ra­ti­ons­ge­biet wird dabei durch einen Bild­schirm wie­der­ge­ge­ben, sodaß der Chir­urg sich vom Pati­en­ten distan­ziert. Eine Maschi­ne wird zwi­schen Arzt und Pati­ent gestellt und ermög­licht eine bild­ge­führ­te Behand­lung. Die­ser Ort, das Ope­ra­ti­ons­ge­biet, wird hier eben­so wie in Dis­ney­land ein Gegen­stand der Ima­gi­na­ti­on, der Abbil­dung oder sogar der Nach­ah­mung. Damit gehen zumin­dest im Fal­le des Ope­ra­ti­ons­ro­bo­ters vie­le Unge­wiss­hei­ten und auch Gefah­ren ein­her, die nicht immer dem Chir­ur­gen bekannt sein müs­sen. Hier liegt das medi­zin­ethi­sche Pro­blem auf der Hand, aber wie ver­hält es sich mit den selbst­er­klär­ten Traum­wel­ten von Dis­ney­land oder, um eine ande­re Ihrer Arbei­ten anzu­spre­chen, den Groß­bau­pro­jek­ten einer uto­pi­schen Stadt­pla­nung im süd­ko­rea­ni­schen Ulsan? Zeu­gen die­se Orte nicht auch von einer ver­wirk­lich­ten, einer Fak­ten schaf­fen­den Ima­gi­na­ti­on? Muss man hier eben­falls eine War­nung aus­spre­chen: Seht hin, ihr wer­det betro­gen, ihr lebt in einem Luftschloss?

Tho­mas Struth: Ich gehe davon aus, daß alles Men­schen­mög­li­che auch gemacht wird. Die Zwän­ge und Not­wen­dig­kei­ten dahin­ter sind aber trotz­dem Varia­blen, denn man kann den einen oder den ande­ren Weg ein­schla­gen. Oft ist es aber so, daß man das eigent­li­che Pro­blem nicht erkennt, weil der Abstand fehlt. Neh­men Sie bei­spiels­wei­se die Pan­ora­ma-Auf­nah­me von Ulsan: Ich hat­te schön seit län­ge­rer Zeit welt­weit Auf­nah­men von Apart­ment-Blocks im Social Housing gemacht. Aber in Korea wur­de das so weit auf die Spit­ze getrie­ben, daß man sich fragt, ob es men­schen­mög­lich ist, daß die Stadt der­art die Natur bedrängt. Mir schien fast, daß man dort gar nicht immer so wei­ter bau­en kann, weil ein­fach irgend­wann kein Platz mehr da ist. Für mich ist die­ses Bild im Grun­de genom­men wie eine alb­traum­ar­ti­ge Visi­on. Aber natür­lich kann man sich bei sol­chen Gro­tes­ken immer, wenn man sich nicht damit beschäf­tigt hat, leicht dar­in ver­zet­teln, einen Schul­di­gen zu benen­nen – die Poli­ti­ker, die Bau­ge­set­ze oder die Tat­sa­che, daß Süd­ko­rea eigent­lich nur von einer Hand­voll Fami­li­en geführt wird. Doch eigent­lich sind alle an die­ser Dyna­mik betei­ligt. Das ist ja auch eine urdeut­sche Art, die Schuld zu suchen, statt die Ver­ant­wor­tungs­fra­ge zu stel­len. Die exis­tiert ja aber auch immer, weil alles auf einen Ent­schei­dungs­pro­zess zurück­geht, der eng mit dem kol­lek­tiv Unbe­wuss­ten ver­knüpft ist. Mit den Fol­gen müs­sen wir aber leben.

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Han­delt es sich viel­leicht sogar um eine kol­lek­ti­ve Idee, die sich in gebau­ten For­men aus­drückt und somit zu einem Fakt wird?

Tho­mas Struth: Ja, auf jeden Fall. Das sehe ich auch bei DaVin­ci, wo sich Maschi­ne und Kör­per in einem sym­bo­li­schen Bild begeg­nen kön­nen. Das ist ja auch irgend­wie ein Vani­tas-Motiv, das eine stell­ver­tre­ten­de Qua­li­tät trägt.

Tho­mas Struth: »Mea­su­ring, Helmholtz-Zentrum, Ber­lin 2012″; Foto: cour­tesy Max Hetzler

Tho­mas Struth: »Mea­su­ring, Helm­holtz-Zen­trum, Ber­lin 2012″; Foto: cour­tesy Max Hetzler

Mat­thi­as Pla­nit­zer: In Ihrer aktu­el­len Aus­stel­lung ist die­se Arbeit aber auch nur eine unter vie­len, in denen Maschi­nen the­ma­ti­siert wer­den. Heu­te kon­trol­lie­ren sie immer mehr Berei­che unse­res Lebens und eröff­nen Anwen­dun­gen, die den Men­schen zum Zuschau­er dele­gie­ren. Eine Ihrer Foto­gra­fien zeigt den Maschi­nen­park des Ber­li­ner Helm­holtz-Zen­trums – aber kei­ne Per­so­nen. Dem ent­ge­gen ste­hen Droh­nen und Ope­ra­ti­ons­ro­bo­ter, die Leben ver­län­gern oder been­den kön­nen. Anders gespro­chen: Die Werk­zeu­ge, mit denen wir die Welt erschlie­ßen, ent­zie­hen sich zuneh­mend unse­rer Kon­trol­le, bestim­men aber mit Ihren Aktio­nen unser Leben. Wenn aber die Maschi­nen Hand­lun­gen anlei­ten, deren Ent­schei­dungs­grund­la­ge nicht oder nur unvoll­stän­dig nach­voll­zieh­bar bleibt, ent­steht ein nicht auf­lös­ba­rer Autoritätskonflikt.

Thomas Struth: "Kovenskij Pereulok, St. Petersburg 2005"; Foto: courtesy Max Hetzler

Tho­mas Struth: »Kovens­kij Per­eu­lok, St. Peters­burg 2005«; Foto: cour­te­sy Max Hetzler

Tho­mas Struth: Ich sehe das mit Beden­ken. Ich fin­de die­se Beses­sen­heit, die­sen Tun­nel­blick pro­ble­ma­tisch, mit dem man­che die­ser Tech­no­lo­gien betrach­tet wer­den. Das geht bis hin zum Dog­ma­tis­mus und hat teil­wei­se Ten­denz zur Igno­ranz oder sogar zum Fana­tis­mus. Von daher ist die Abwe­sen­heit der Men­schen in den Bil­dern not­wen­dig, um zu ver­deut­li­chen, daß das, was man da sieht, ein mensch­li­ches Pro­dukt ist. Der Mensch ist in die­sem Sin­ne schon anwe­send, aber eben bild­fi­gu­ra­tiv nicht. Was die Auf­nah­me im Helm­holtz-Zen­trum betrifft, hat mich die­ser Ver­suchs­auf­bau inter­es­siert, der eine per­fek­te skulp­tu­ra­le Aus­for­mung einer gedank­li­chen Kon­struk­ti­on war. Aber um dar­auf zurück­zu­kom­men: Der Chir­urg, der den DaVin­ci-Robo­ter bedient, sag­te mir, daß das Pro­blem vor allem in der räum­li­chen Ori­en­tie­rung lie­ge, weil die Dar­stel­lung nur zwei­di­men­sio­nal sei. Des­we­gen kann er die Tie­fe des Rau­mes nicht so gut wahr­neh­men. Ande­rer­seits ist es wohl eine sehr siche­re Ope­ra­ti­ons­me­tho­de. Er erklär­te mir aber auch, daß die Maschi­ne ein ame­ri­ka­ni­sches Pro­dukt ist, das ganz prag­ma­tisch per Kabel­über­tra­gung funk­tio­niert. Des­halb wirkt es gar nicht wie ein mys­te­riö­ses Geis­ter­ge­rät, wie es viel­leicht von außen aussieht.

Mat­thi­as Pla­nit­zer: Sie schrei­ben in einem Aus­stel­lungs­text, daß sich »die gegen­wär­ti­ge mensch­li­che Vor­stel­lungs­kraft leich­ter durch das Feu­er­werk der Wis­sen­schaft und der Tech­nik inspi­rie­ren lässt als durch die schwie­ri­gen und viel­leicht nun his­to­risch in Miss­kre­dit gebrach­ten Dis­kus­si­on poli­ti­scher Ideale«.

Tho­mas Struth: Die­ses Phä­no­men exis­tiert ja schon spä­tes­tens seit der zwei­ten indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on. Mir wur­de erst­mals klar, was es bedeu­tet, wenn sich jeder einen Kühl­schrank oder ein Auto kau­fen kann, als ich Thys­sen Krupp in Duis­burg besuch­te. Ich schau­te mir an, mit wel­chem Auf­wand dort Flach­band­stahl pro­du­ziert wird, und war erstaunt, wel­che gigan­ti­schen Dimen­sio­nen das alles hat und was für eine Men­ge an Pro­duk­ten dar­aus her­ge­stellt wer­den. Das ist unvor­stell­bar. Damals dach­te ich, daß jeder, der sich einen Kühl­schrank kauft, das mal gese­hen haben soll­te, um über­haupt zu ver­ste­hen, was das bedeu­tet. Heut­zu­ta­ge ist der Mensch ein Gewohn­heits­tier, wir kau­fen uns etwa ein Mobil­te­le­fon oder nut­zen Such­ma­schi­nen – aber noch kei­ner hat die gro­ßen Ser­ver­cen­ter gese­hen, die Goog­le gehö­ren. Geschwei­ge denn, daß man sich vor­stel­len könn­te, wie man zuvor ganz nor­mal ohne Tele­fon, ohne E‑Mail, ohne Fax­ma­schi­ne gelebt hat. Ich hat­te als Stu­dent, damals in den Sieb­zi­gern, nicht mal das Geld für ein Tele­fon. Heut­zu­ta­ge ist das undenkbar.

Die Aus­stel­lung endet am 19. April.