In der vergangenen Woche stürzte sich die Kunstberichterstattung auf so vielseitige und abwechslungsreiche Themen wie lange nicht mehr: Eine Vase ging zu Bruch und zeigte dabei eine ganz reale Materialität auf, die spekulative Materialien vermissen lassen, weil sie nun mal vor allem sehr, sehr spekulativ sind. Währenddessen zeigten die Amerikaner, daß Kunst weiterhin politisch und subversiv sein und bisweilen sogar die aktuellen politische Ereignisse auf der Krim vorwegnehmen kann.
Pressespiegel sind en vogue und schnell erstellt, weshalb wir jetzt auch endlich auf den Zug aufspringen, der schon längere Zeit nicht nur bei den deutschsprachigen Blogkollegen von Artefakt, Donnerstag und Perisphere durchrollt. Wenn die Magazine, Feuilletons und Blogs weiterhin so unterhaltsam bleiben, werden wir sobald nicht wieder abspringen. Das war die Woche in der Kunstkritik:
Bpigs: »How to Fuck Things Up«
Daß die Kunstwelt wenigstens genauso verdorben ist wie etwa die der Banker, die der Film- und Fernsehschauspieler und natürlich auch die der Wirtschaftsbosse und überhaupt aller isolierter Sphären sich gegenseitig auf die Schulter klopfender Hedonisten und Amoralisten, ist keine besonders taufrische Nachricht. Aber so oft diese offensichtliche Kritik geäußert wurde, so oft wurden auch Vorschläge zur Beseitigung dieser verlotterten Zustände vorgebracht, die auch nichts daran ändern konnten. Bei bpigs geht man mit solchen Dingen gewohnt locker um und so hat Stamatia Dimitrakaopoulos eine hübsche Liste an Vorschlägen erstellt, wie ein jeder von uns – ob nun Künstler, Sammler oder einfacher VIP-Karten-Sammler – diese Kunstwelt zu einem besseren Ort machen könnte. Mehr Aufregung wäre immerhin garantiert.
»2. If you are a famous artist being courted for an interview, ask for the youngest intern in the magazine to do an exclusive. Give the poor bastard a chance to bypass all the coffee making hours or at least something to talk about in the office kitchen. She is bound to prepare more and is probably better than any high-class journalist. What’s that? You are afraid the intern is going to mess things up? What do you care — you are a famous artist.«
Artefakt: »Alle Schönheit will Ewigkeit. Lagerfeld in Hamburg«
Eine dieser verdorbenen Welten ist mit Sicherheit auch die der Mode. Doch immerhin ist man sich dort schon längst bewusst geworden, über welche Bedeutungslosigkeiten der wohltuende Rausch im prickelnden Schampusbad gesucht wurde. Anders kann man sich vielleicht nicht erklären, daß die Designer und Magazine gleichermaßen immer wieder verzweifelt den Kontakt zur Kunst suchen, von der sie sich die lang ersehnte Aufwertung erhoffen. Das kann manchmal funktionieren, geht aber meist gehörig daneben. Daß sich gelegentlich aber auch trockene Kunst an Klassikern der Mode aufzufrischen versucht und dabei allzu milde wird, bleibt oft übersehen. Anika Meier scheint es aufgefallen zu sein, sie besuchte für Artefakt die Karl-Lagerfeld-Schau in der Hamburger Kunsthalle:
»Der gemeine Museumsbesucher jedenfalls ist gekommen, um dem einen zu huldigen: Karl Lagerfeld. Der setzt munter seine Ideen in immer neuen Medien um und freut sich wahrscheinlich, wie der Museumsbesucher, dass ihm immer neue Plattformen gegeben werden. Vielleicht hätte man bei der Konzeption der Ausstellung mehr Fragen stellen müssen, um die richtigen Antworten zu bekommen, weniger auf Gemeinsamkeiten setzen und mehr Unterschiede in den Blick nehmen. Lagerfeld jedenfalls ist sein eigenes Mise en abyme.«
Donnerstag: »#Neuland«
Bei den geschätzten Kollegen vom Donnerstag kommt Annika Bender in ihrer Nachlese zur Fridericianischen Schau über die Künstlergeneration des Spekulativen Realismus zu einem ähnlich nüchternen Urteil wie das unsrige. Trotz der geistigen Nähe sei diese Lektüre jedem ans Herz gelegt, der seinen Eindruck bestätigen lassen will, daß Susanne Pfeffers Antrittsausstellung den notwendigen Überblick über jene schwer zu fassende Künstlergruppe schuf, doch aber am Ende auch nur dokumentierte, daß hier ein Floskelformalismus herrscht, der über die inhaltliche Verarmung nicht hinwegtäuschen kann:
»Zur Verhandlung des digitalen Alltags wiederum fehlte den meisten Arbeiten eine überzeugende inhaltliche Verdichtung. Entweder als Folge allzu loser ästhetischer Anordnungen oder aufgrund der vorherrschenden Präferenz einer trendigen Aufbereitung gegenüber dem Versuch seinen Gegenstand in komplexeren thematischen Zusammenhängen zu entfalten.«
Hyperallergic: »Mel Chin’s Media Hacks and Conceptual Beauty«
Mel Chin kann zwar auf eine vierzig Jahre währende Arbeit als konzeptueller Künstler zurückblicken, doch ohne die aktuelle Retrospektive im New Orleans Museum of Arts und dem daraus resultierenden Medienecho wären wir wohl nie auf den Amerikaner gestoßen. Warum es sich lohnt, sich mit seiner der guten, alten Schule der politischen Kunst entstammenden Arbeit eingehender zu beschäftigen, führt John d’Addario in seinem kurzen Ausstellungsbericht für Hyperallergic bereits im Eingangsbeispiel treffend aus:
»That piece, ›In the Name of the Place‹ (1995–1997), ran during the original primetime broadcast of Melrose Place and has continued ever since whenever the series has been syndicated. Conceived as a collaboration with a group of art students and faculty in Georgia and Los Angeles, the project consisted of 200 objects that were ›covertly installed‹ as props and set decoration in the series. Hiding in plain sight before the viewing audience were such subversive objects as a Chinese food takeout bag with slogans from the Tiananmen Square protests printed on it and paintings depicting notorious celebrity death scenes. Also included was a homespun-looking quilt embroidered with the molecular structure of RU-486, the so-called ›morning after pill‹ then current in the news, which one character was seen wrapping herself in as she chatted on the phone about her pregnancy. If you’ve ever wondered about the point where Hollywood actress Heather Locklear and conceptual art intersected, now you know.«
The New Yorker: »The case of the ›million-dollar‹ broken vase«
Die gut ausgearbeitete Rekonstruktion des New Yorkers, wie die berichtenden Medien eigentlich den Wert der kürzlich zerstörten Ai-Weiwei-Vase auf eine Million Dollar taxierten, ist zwar eigentlich schon in der Woche zuvor erschienen. Aber weil dies der erste Wochenrückblick und der Artikel einfach überaus aufschlussreich ist, verzeihen wir uns diese Ungenauigkeit. Ben Mauk schließt sich Ais knappem Kommentar »This price is a very ridiculous number« an und fügt seiner Aufarbeitung des Falles eine Kritik an, wie solche fatalen Fehleinschätzungen das allgemeine Unvermögen zu einer seriösen Kunstkritik in Zeiten der Macht des Kunstmarkts exemplarisch dokumentieren:
»This sort of reporting error results from the speed of journalism in the Internet era, and from the increasingly widespread belief that an art work’s monetary value is its most newsworthy feature. Because art can be difficult for journalists to write about, much less evaluate, price often takes on exaggerated relevance in stories like this one. But journalists need not avoid the subject of money altogether.«
The New Yorker: »The novel that predicts Russia’s invasion of Crimea«
Ebenfalls im New Yorker, dafür aber innerhalb der letzten sieben Tage, zieht Michael Idov einige Parallelen zwischen der aktuellen Krimkrise und Wassili Aksjonows 1979 erschienen Roman »Die Insel Krim«. Verschwörungstheorien bleiben zwar glücklicherweise aus, doch versäumt es Idov nicht, den Grund für die vermeintliche Prophezeiung in einer Konstante zu finden, der er wohl für ur-russisch hält:
»Yet the real reason that ›The Island of Crimea‹ applies so easily to any Russian development, positive or catastrophic, is that amid all the jazz and sex and fast cars, Aksyonov had captured the innate, eternal duality of Russia: at any given moment, it is both the Island and the Mainland, a reef of free thought and a colossus poised to stomp it out of existence.«
Ob es ganz so einfach ist, ist zweifelhaft, aber Idovs Fundstück kommt immerhin zum rechten Zeitpunkt, um der westlichen Ratlosigkeit mit einer historischen Diagnose auszuhelfen.