Selbstbewusste Malerei

20. September 2013 von Maria Sitte
„Farbe ist der Verführer“, lautet Geerten Verheus schlichter Kommentar zur Malerei. Damit vermag der Künstler mit wenigen Worten die optische Wirkungsmacht des Mediums zu beschreiben. Diesem Credo widmet sich derzeit auch die Gemeinschaftsausstellung „Painting Forever“ vier namhafter Institutionen im Rahmen der Berlin Art Week.

KW Institute for Contemporary Art, Painting Forever! KEILRAHMEN, Installationsansicht; Foto © Christine Kisorsy

Das gemein­sam ver­folg­te Ziel ist die Fokus­sie­rung auf die Male­rei mit prä­gnan­ten Posi­tio­nen der Gegen­wart, die die geläu­fi­ge Auf­fas­sung von Male­rei in Fra­ge stel­len, bestä­ti­gen, ver­än­dern und irri­tie­ren, um die zahl­rei­chen Mythen vom Abdan­ken oder der Wie­der­kehr, die sich um sel­bi­ge ran­ken, end­gül­tig zu ver­wer­fen. Die­sem Kon­text ent­spre­chend sticht beson­ders die von Ellen Blu­men­stein kura­tier­te Aus­stel­lung „Pain­ting Fore­ver. Keil­rah­men“ im KW Insti­tu­te for Con­tem­po­ra­ry Art her­vor. Einer­seits fin­det sich gera­de hier eine zusam­men­fas­sen­de Ord­nung nach den wesent­li­chen Aus­drucks­mit­teln der Male­rei wie­der und schafft es ande­rer­seits die wirk­lich inter­es­san­ten Fra­gen zu stel­len: Wie sieht Male­rei heu­te aus? Was macht sie aus?

Rah­men an Rah­men – Hän­gung, die Bezü­ge herstellt

Die an die Peters­bur­ger Hän­gung anleh­nen­de Prä­sen­ta­ti­on der 74 Gemäl­de reicht vom Boden bis unter die Decke, wo sie an der Stirn­wand der gro­ßen Hal­le im Unter­ge­schoss plat­ziert sind. Zunächst über­blickt man von der Balus­tra­de aus die Gesamt­heit die­ser ful­mi­nan­ten Zusam­men­stel­lung. Von links nach rechts besticht die far­big sor­tier­te Anord­nung der unter­schied­lich gro­ßen Bild­for­ma­te und lässt einen Farb­ver­lauf von hel­len zu dun­keln Tönen erken­nen. In ihrer Kom­ple­xi­tät las­sen sich die Ein­zel­wer­ke hin­ge­gen nur von Nahem ver­ste­hen. Somit gibt es weder eine vor­ge­schrie­be­ne Lese­rich­tung noch einen kla­ren Anfang oder Ende der Prä­sen­ta­ti­on. Denn es geht um die unzäh­li­gen Bezü­ge unter­ein­an­der ver­mit­telt durch Far­be, Form, Mate­ri­al, For­mat, Tech­nik und Motivik.

Tomas Schroeren: "The Mamas and the Papas", 2012; Foto: Galerie Christine Mayer

Tomas Schroe­ren: »The Mamas and the Papas«, 2012; Foto: Gale­rie Chris­ti­ne Mayer

Auf Spu­ren­su­che

Aus­ge­hend von Olaf Holz­ap­fels Cross (2010), einem ver­kno­te­ten Draht­ge­flecht aus Heu, schwar­zer chi­ne­si­scher Tusche und Holz, gelangt man durch die far­bi­ge Ana­lo­gie zu Wil­lem de Roo­ijs groß­for­ma­ti­gem Black on Black (2012), aus Poly­es­ter auf Keil­rah­men auf­ge­zo­gen, wel­ches sich in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft weni­ge Zen­ti­me­ter wei­ter unten befin­det. Obgleich bei­de Künst­ler einem nach­voll­zieh­ba­ren male­ri­schen Akt mit Pin­sel und Far­be ent­sa­gen, viel mehr hap­ti­sche Mate­ria­li­en zur Rea­li­sie­rung ver­ar­bei­ten, neh­men sie den­noch durch den Bild­trä­ger Bezug zum klas­si­schen For­mat des Tafel­bil­des, wel­ches sich bei den umlie­gen­den Posi­tio­nen durch­weg wider­spie­gelt – mit Aus­nah­me von Geer­ten Ver­heus’ elas­tisch her­un­ter hän­gen­den Arbeit Non­mem­ber with yel­low and black (2011) aus Gum­mi. Sogleich rich­tet sich der Blick auf die unüber­seh­ba­re, groß­for­ma­tig ange­leg­te Lücke, leicht vom Mit­tel­punkt der Stirn­wand abge­rückt, wel­che frei bleibt und auf einen grund­le­gen­den Aspekt der Male­rei, auf den eigent­li­chen Trä­ger ver­weist, die Wand. Optisch kon­tras­tiert sie mit de Roo­ijs Black on Black. Die­se drei exem­pla­risch dar­ge­leg­ten Ver­bin­dun­gen zwi­schen den Kunst­wer­ken kön­nen ohne Anspruch auf Voll­stän­dig­keit immer­zu fort­ge­setzt werden.

Die diver­gie­ren­den Dar­stel­lungs­in­hal­te fol­gen eben­so wenig einer vor­ge­ge­be­nen Rich­tung: Es ver­sam­meln sich kla­re, geo­me­tri­sche neben ges­tisch impul­si­ven Arbei­ten oder Farb­feld­ma­le­rei neben der Dar­stel­lung von Inte­ri­eurs und doku­men­tie­ren sti­lis­ti­sche Viel­falt. Ver­ein­zelt ste­chen künst­le­ri­sche Zita­te und male­ri­sche Umdeu­tun­gen his­to­ri­scher Sti­le her­vor und reflek­tie­ren das künst­le­ri­sche Fort­be­stehen von Aus­drucks­mit­teln. In Ansät­zen erweckt die Zusam­men­stel­lung des Gemäl­de-Clus­ters Asso­zia­tio­nen zu Aby War­burgs Arbeits­wei­se zum Mne­mo­sy­ne-Atlas, in dem der Kunst­his­to­ri­ker nicht nur visu­el­le Ähn­lich­kei­ten, son­dern auch ver­wandt­schaft­li­che Bezie­hun­gen verfolgte.

Somit ver­fängt man sich in einem per­ma­nen­ten Akt der Suche nach Bezü­gen und Ver­glei­chen. Das Auge pen­delt hin und her, nach oben und unten, der eige­ne Stand­punkt vari­iert zwi­schen Distanz und Nähe. Die eigent­lich kura­to­ri­sche Leis­tung ver­la­gert sich in die­ser Form auf den Betrach­ter, der auf die­ser Schau­wand unzäh­li­ge male­ri­sche Aspek­te ent­de­cken kann, statt ein Bild nach dem ande­ren im Vor­bei­ge­hen zu erha­schen. Auch wenn sich Auf­merk­sam­keit und Ablen­kung hier­bei stets die Waa­ge hal­ten, ist die­ser Pro­zess der wirk­lich inter­es­san­te Moment der Aus­stel­lung und, sobald man sich in dem selbst gespon­nen Netz aus Refe­ren­zen und Ideen befin­det, über­ra­schend anspre­chend. Gera­de durch die chao­tisch wir­ken­de Enge und Fül­le auf der Stirn­wand keh­ren sich ein­ge­fah­re­ne Betrach­tungs­wei­sen stel­len­wei­se ein­fach um. Eine Samm­lung an Zita­ten der teil­neh­men­den Künst­lern und Künst­le­rin­nen zum The­ma Male­rei auf der gegen­über­lie­gen­den Sei­te ver­mag dabei abschlie­ßend weiterhelfen.

Unge­ach­tet davon, ob man die­se Art der Prä­sen­ta­ti­on als bru­ta­le Ges­te ver­steht oder nicht, han­delt es sich um eine ver­dich­ten­de Kon­zen­tra­ti­on der Gemäl­de, wodurch sie sowohl in Kon­kur­renz tre­ten als auch einen Dia­log her­stel­len, denn die dicht an dicht plat­zier­ten Rah­men sind sowohl als Begren­zun­gen zu ver­ste­hen als auch als Erwei­te­rung. Die­se müs­sen vom Betrach­ter mehr oder weni­ger erfolg­reich selbst gezo­gen wer­den. Dar­in liegt die Stär­ke der Aus­stel­lung begründet.

Aus­blick

Wenn durch die Aus­stel­lung gegen­wär­tig ein Inter­es­se an der Male­rei poten­ziert wird, so rücken dadurch Aspek­te ins Blick­feld, die das jeweils Eige­ne die­ser Ent­wick­lung her­vor­keh­ren. Mag sein, dass die Ent­wick­lung von Foto­gra­fie, Film und ins­be­son­de­re der digi­ta­len Tech­ni­ken das Inter­es­se nach Male­rei abge­schwächt haben. Neben der effekt­ha­sche­ri­schen Wir­kung wie sie von die­sen ver­gleichs­wei­se aus­ge­hen, scheint Male­rei zwar zum alten Eisen zu gehö­ren und ihren Thron als Königs­dis­zi­plin ein­ge­büßt zu haben, aller­dings ist das nicht der rele­van­te Punkt. Auch wenn Male­rei ver­gli­chen mit die­sen avan­cier­ten Medi­en schein­bar eine kon­ser­va­ti­ve Stel­lung ein­nimmt, erweist sie sich als kon­stan­tes Medi­um, da es aus der Sicht der künst­le­ri­schen Pro­duk­ti­on nie eine kol­lek­ti­ve Abkehr von der Male­rei gege­ben hat. Zwar stellt die Aus­stel­lung kei­ne ver­glei­chen­den Bezü­ge zu ande­ren Kunst­rich­tun­gen her, die dazu die­nen könn­ten, die aus­ge­hen­den und erhal­ten­den Ein­flüs­se der Male­rei inner­halb des Kunst­sys­tems fest­zu­stel­len – die Fra­ge nach  den Ein­flüs­sen und Wei­ter­ent­wick­lun­gen der Male­rei bleibt zunächst offen – den­noch doku­men­tiert sie aber gera­de durch die­se selbst­re­fe­ren­ti­el­le Beschrän­kung ihren der­zei­ti­gen Ent­wick­lungs­stand inner­halb ihrer eige­nen Gat­tung. Dem­zu­fol­ge ermög­licht der fokus­sier­te Blick auf die Male­rei eine fast wis­sen­schaft­li­che, kri­ti­sche und inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit den Tech­ni­ken, inner­bild­li­chen Moti­ven, Ver­wen­dung der Far­be, Kom­po­si­ti­on usw. Die Aus­stel­lung unter­nimmt den Ver­such, die inten­si­ve Klä­rung des­sen zu lie­fern, was Male­rei der­zeit für den Künst­ler wie für den Betrach­ter wich­tig macht. Die aus­ge­stell­ten Kunst­wer­ke reflek­tie­ren nicht min­der den Zeit­geist, der sie mit­be­stimmt und dem sie sich gleich­zei­tig oft ver­wei­gern und wirft letzt­lich kei­ne offe­nen Fra­gen auf, son­dern ant­wor­tet prä­zi­se dar­auf, was Male­rei heu­te ausmacht.