Die Berlinale ist längst vorbei, ihr geheimer Star James Franco ist noch zuvor wieder abgereist, das überkochende Medienecho über das Multitalent hat sich wieder beruhigt und so lässt sich nun endlich im Bodensatz ablesen, was »Gay Town«, Francos Ausstellung bei Peres Projects, zurückgelassen hat. Unterdessen hat die Galerie bereits ihre neuen Räumlichkeiten auf der anderen Straßenseite bezogen und so kann Francos Schau der Exzesse heute noch und vor allem ungestört durch die alten Betonhallen spuken. Endlich in aller Ruhe und Freiheit, von den Nörglern unbehelligt sein Können unter Beweis zu stellen, darauf mussten Franco und die Besucher seines schwulen Dörfchens lange warten. Es blieb dem kalifornischen Tausendsassa zu wünschen, daß wenigstens einmal der Glamour um seine Person der Kritik über seine Arbeit weicht. Nichts anderes scheint auch Franco ersehnt zu haben: »Gay Town« rechnet mit dem öffentlichen Bild eines Mannes ab, der sich mißverstanden fühlt. Und nun beleidigt zurückfeuert. Ob grantige Grummelei eines verstimmten Gemüts oder pointierter Parade eines still spottenden Geistes, das bleibt noch zu klären.
Zunächst lohnt es jedoch, sich mit der vielfältigen Personalie des 34-jährigen Amerikaners vertraut zu machen, die eine vielseitig talentierte, zumindest aber vielseitig motivierte Gestalt skizziert. Dies zu bestimmen, bleibt akribische Puzzlearbeit. Ein Lebenslauf in drei Akten: Nachdem sich der aus Palo Alto stammende Sonnyboy in Los Angeles für ein Studium der englischen Sprache einschrieb, brach er es für eine Vertiefung seiner Schauspielausbildung ab und hatte schon innerhalb von zwei Jahren erste Erfolge vor der Kamera. Bald folgte seine bekannte Nebenrolle als Bösewicht der Spider-Man-Reihe, die des homosexuellen Partners an der Seite von Sean Penn in »Milk«, sowie die Oscar-Nominierung für den besten Hauptdarsteller, die er sich als verunglückter Wanderer in »127 Hours« verdiente. Die schillernde Hollywood-Welt schien ihm da jedoch längst überdrüssig geworden sein. Franco kehrte für das Fach »Kreatives Schreiben« an die Uni zurück und schrieb sich bald an diversen Hochschulen der Ostküste ein, wo er derzeit an seiner Promotion arbeitet. Währenddessen sucht er immer wieder neue Ausdrucksformen, schließt Bekanntschaft mit zahlreichen Persönlichkeiten des amerikanischen Kunstzirkus und geriet so auf Umwegen im vergangenen Jahr an das MoCA, wo er sich mit filmhistorischen Mythen auseinandersetzte. Das Kino ließ James Franco dann wohl doch nicht ganz los. Anders lässt es sich nicht erklären, daß er bis zum heutigen Tage achtzigmal vor der Kamera und zwanzigmal auf dem Regiestuhl erschien, zehnmal gar selbst produzierte und sich sechzehnmal für ein Drehbuch verantwortlich zeigte, wobei er oftmals mehrere Funktionen in sich vereinte. Kurzgeschichten ließ er ebenfalls nicht aus; lediglich musikalische Ambitionen sind nicht bekannt, würden aber angesichts dieser Umtriebigkeit keinen mehr erstaunen.
Und nun auch die feine Kunst. In den USA rümpft man zumeist skeptisch die Nase über jene, die zwischen den Fächern springen wie es ihnen beliebt. Man kann den Amerikanern ihr Mißtrauen nicht verübeln, sahen sie doch allein von Hollywood-Schauspielern eine erkleckliche Anzahl vornehmlich ungelenker Gehversuche auf dem Kunstparkett: Sylvester Stallone, Anthony Hopkins, Leonard Nimoy, Pierce Brosnan und viele andere Standesgenossen handelten sich vor allem Spott und Häme ein. James Franco bildet eine Ausnahme: Ihm sind die amerikanischen Kritiker milde gestimmt, einige bejubeln ihn gar. Die New Yorker Kunstszene nahm ihn wie das wundersame Findelkind auf, das aus dem fernen Hollywood zu ihnen irrte: Douglas Gordon, Klaus Biesenbach, Paul McCarthy, Ed Ruscha und Marina Abramović umschwärmen Gucci-Boy Franco, unterstützen ihn, geben ihm Aufwind. Von Abramović erfuhr man zuletzt, daß sie ein gemeinsames Filmprojekt planten: Franco, nicht Abramović würde vor der Kamera stehen. Die Serbin hält ihn für den derzeit interessantesten Schauspieler, muss aber auch zugeben, daß »er allerlei Grenzen überschreitet und zwar nicht immer mit großem Erfolg«.
Der war ihm bisher in der Berliner Kunstwelt nicht beschieden. Nachdem Alanna Heiss ihn vor drei Jahren für »The Dangerous Book four Boys« in die New Yorker Clocktower Gallery holte, wurde er dort von Javier Peres entdeckt, der kurzerhand die gesamte Schau nach Berlin verschiffte und hier unter großem Tamtam als Doppelausstellung inszenierte. Kleine Sperrholzbaracken, selbstreferentielles Video-Einerlei, einige Kritzeleien und allerhand anderer Kram verloren sich in der gähnenden Leere der Räume – was jedoch wenigstens die Fans des Schauspielers Francos nicht zu stören schien, wie man den vielen Blogs und Meinungsmedien entnehmen konnte. Die Kritiker und Feuilletons hielten sich gar nicht erst an ihm auf. Zu schrill der Hype, wie man rückblickend vielleicht räsonieren muss. Nun, zwei Jahre später, lädt Peres den Kreativprotz erneut nach Berlin, wo er, umgarnt vom Berlinale-Brimborium, nebenbei einen Kommentar zu diesem allgegenwärtigen Starkult um seine Person abgibt, eben in Form einer Ausstellung.
Ein Porträt des Künstlers James Franco kommt jedoch auch nicht umhin, seinen eigenen Anteil an dieser selten so stürmischen Idolisierung hervorzuheben. Francos Hang zur Selbstinszenierung nimmt oft narzißtische Züge an, die am klarsten vor der Kamera zu Tage treten, wo er bereits mehr als sechzigmal in Filmen, Serien und Dokumentationen als ein, zumeist aber als der James Franco auftaucht. Die hemmungslose Überzeichnung der öffentlichen Persona James Franco gipfelte bisher in einer Gastrolle in der Serie »General Hospital«, in der er einen Künstler spielte, der Franco hieß, eine besorgniserregende Zuneigung zu Tatorten hatte, überhaupt ein wenig verrückt war und am Ende nach bester Blockbuster-Unart als blutrünstiger Mörder entlarvt wurde. Hinter der Maske erscheint die nächste, the artist is present, Franco auch, aber wo und wer, das weiß vielleicht auch er nicht so genau. Stephen Colbert fragte ihn kürzlich, ob er ein Hochstapler sei: »Ich bin ein Heuchler. Es ist eine Show. Eine Show!« Eine, die Franco immer weiter fortspinnt. Diese Rolle der sich immerzu offenbarenden, doch stets unergründlichen Kunstfigur spielt er gern, zuletzt auch in »This is the end«. Darin, so zitiert ihn die Süddeutsche, sieht er sich als »einen irrationalen Deppen mit einem Riesenego«. Schwingt etwa selbst in diesem Bekenntnis ein wenig Stolz mit?
Über den Wahrheitsgehalt dieser Beichte kann man sich nun glücklicherweise in »Gay Town« einen eigenen Eindruck verschaffen. Ein geflüstertes Schuldbekenntnis sollte man allerdings nicht erwarten. Bereits beim Eintreten schallt und dröhnt dem Besucher ein polyphones Rauschen entgegen. Ein Video übertönt das andere, kaum zu verstehen, was Franco hier am Bildschirm mitteilt. Das diffuse Gemurmel ist beabsichtigt, denn so wie der Spott auf James Franco eindringt, schießt dieser nun zurück. Selbst wenn man sich die Ohren zuhielte, schreit noch der visuelle Overkill von den Wänden, die bis auf den letzten Fleck mit bedruckten Teppichen behangen sind. Als wollte man kein Risiko eingehen, daß auch nur ein Stück Beton durch den Stoffwall hindurchschimmert, wurde vorsorglich die Produktion angekurbelt: In einer Ecke, gleich am Eingang, liegen noch einige der »Decken«, wie es korrekt heißt, gestapelt bereit und warten auf einen Käufer. Ein solcher tintenstrahlbedruckter Baumwoll-Polyester-Mischteppich ist als Stückware zum Einzelpreis von nur fünfhundert Dollar erhältlich. In jeder Hinsicht eine mäßig verarbeitete Billigware, zu der der Käufer immerhin ein Echtheitszertifikat erhält.
Die Motive dieser Decken sind vielfältig, in der Gesamtheit aber gleichförmig: Zeitungsausschnitte und andere Artikel, die Francos öffentliche Person dokumentieren und thematisieren, wurden durch ihn übermalt, bekritzelt und vor allen Dingen kommentiert. Sowohl die immer wieder nachgesagte Homosexualität, die den Ausstellungstitel prägte, als auch biografische Details, daneben oftmals nebensächliche Irrtümer und andere Kleinigkeiten werden auf diesen Teppichen mit einem harschen Ton und einer auffallenden Vehemenz herausgestellt und berichtigt. Es bleibt nicht nur bei Gegendarstellungen, James Franco rechtfertigt sich in diesen notizenhaften Aufzeichnungen wiederholt in einem weinerlichen Ton, der zum Tenor der 387teiligen Werkreihe resoniert. Aufgelockert durch einige beiläufige Fototeppiche, die die triviale Ödnis eines endlosen Tumblr-Streams an die Galerienwände bannen, bilden diese Stoffbahnen den Hintergrund für die etwa sechzig Malereien, die zwar im Werkverzeichnis katalogisiert sind, aber nur mit viel Mühe erspäht und gefunden werden.
Allein, die Suche lohnt nicht. Auch hier rechnet James Franco mit allem ab: Seine Rolle in den Spider-Man-Filmen wird mehrfach mit einem simplen und harmlosen »Fuck Spidey« quittiert, sein Tristan erscheint auch hier erneut als der »große Fehler«, wie er ihn bereits so oft bezeichnete, der »Planet der Affen« und zu guter Letzt auch seine Rolle als Oz werden zum Thema seiner Malerei. Dazwischen tummelt sich eine groteske Anzahl Kuhporträts und Hanfblätter, die man so nicht einmal auf den Flohmärkten findet. Einzig manche der monochrom gehaltenen Ölgemälde, die Francos High-School-Zeit festhalten, fallen positiv, wenn auch sicherlich nicht nachhaltig auf.
Die euphemistische Erklärung des Ausstellungstextes, daß James Franco »viele dieser Arbeiten in Hotelzimmern, provisorischen Ateliers und anderen temporären Orten machte, während er andere Projekte, hauptsächlich Filme, abschloß«, ist als Eingeständnis an einen vielbeschäftigten Genius, durchaus aber auch als kärgliche Entschuldigung für qualitative Schwäche zu verstehen. Denn was kaum zu kaschieren ist, wiegt umso schwerer. James Francos Öl- und Acrylmalerei fällt durch eine Schludrigkeit auf, die sich mit Ausnahme mancher High-School-Werke durch fast alle Arbeiten zieht. Der Pinselstrich ist grob und aggressiv, fast böswillig, der Farbauftrag gleichförmig, ohne jegliche Mischung. Alles erscheint unsauber, schroff, derb. Farbkleckse und ‑flecken wechseln sich mit Handabdrücken ab, dann wiederum zerfurcht der Pinsel alles Dagewesene: Aus Francos Malerei offenbart sich eine energiegeladene Hast, die vom feurigen Furor eines Wütenden angetrieben wird. Gemälde wie diese – und wenn ich dies schreibe, liegt mir jede böswillige Übertreibung fern – habe ich zuletzt in psychiatrischen Maltherapie-Sitzungen entstehen sehen.
Dieser Zufall könnte weniger beiläufig sein als vermutet: Man möchte Franco einen Groll unterstellen, den er hier glaubhaft, aber naiv vorbringt. Nachvollziehbar wäre es. Jedoch, wen kümmert’s?
James Franco demonstriert in »Gay Town« wie leicht es ist, mit ein wenig Rampenlicht eine öffentliche Persönlichkeit zu formen. Der Künstler James Franco drückt sich – so viel ist unstrittig –, als ein Bildhauer aus, der aus Verdruss über seine garstige Umwelt dem Pygmalion gleich sich eine Figur schafft, die feiner und delikater nicht sein könnte. Die unzähligen in »Gay Town« ausgestellten Videoinstallationen unterstreichen dies. Diese Kunstfigur, Francos Galatea, die er seinen Spöttern entgegenhält, bleibt jedoch ungesegnet, steinern und leblos. Ohne Witz, ohne Feinsinn wirkt sein Gegenschlag kraftlos, larmoyant und pikiert. Die Geister, die er reif, wird er nun nicht mehr los.
Zudem ist Berlin für diesen Schlagabtausch gewiss die falsche Bühne. Die Deutschen pflegen zwar im Gegensatz zu den Amerikanern keinen so freien und lockeren Umgang mit prominenten Künstlern, doch sind es Francos Landsmänner, die ihn für seine öffentliche Inszenierung anprangern. Hierzulande kennt man ihn nur als den Hollywood-Beau, dessen strahlendes Lachen Herzen schmelzen lässt. Die Distanz zum Vaterland lässt, wie gesehen, die künstlerische Leistung Francos nicht einmal in einem anderen Licht erscheinen. Daß also das Berliner Publikum mit Unverständnis reagiert, war abzusehen. Nur Ernst und Schlüssigkeit gelten etwas, denn nüchtern, wie der Deutsche ist, hat er kein Auge für Charisma und Glamour. Kunst kennt in Berlin keinen Personenkult. James Franco bleibt ein Rufer in der Wüste.