Ars moriendi, ars vivendi

06. November 2012 von Matthias Planitzer
Gregor Schneiders "Sterberaum": Anlass für eine Podiumsdiskussion über das Sterben

Als Joseph Beuys 1977 im Rah­men der 6. docu­men­ta ein stän­dig tagen­des Forum aus Wis­sen­schaft­lern, Künst­lern, Jour­na­lis­ten, poli­ti­schen Min­der­hei­ten und Ver­trie­be­nen ins Leben rief – ein Sym­po­si­um der Free Inter­na­tio­nal Uni­ver­si­ty –, war sei­ne Theo­rie der sozia­len Plas­tik bereits in aller Mun­de. Das Forum dis­ku­tier­te hun­dert Tage lang über einen neu­en, gera­de auch einen Beuys’schen Kunst­be­griff, aber auch über die Fra­gen einer direk­ten Demo­kra­tie und einer sozia­le­ren Zukunft. Der Zeit­geist war stark genug, daß sich sogar der Hes­si­sche Rund­funk ver­an­lasst sah, per Satel­lit einen halb­stün­di­gen Aus­schnitt live in die USA zu über­tra­gen. Was mehr als ein Jahr­zehnt zuvor in der öst­li­chen Hemi­sphä­re als Bit­ter­fel­der Weg sang- und klang­los unter­ging, erleb­te nun unter der Feder von Kum­pel Beuys einen zwei­ten Ver­such, der unter weit­ge­hen­dem Ver­zicht auf die alte poli­ti­sche Dok­trin in Kas­sel viel Gehör fand um schließ­lich im grü­nen Lager eine neue Hei­mat zu fin­den. Im Kata­log der 6. docu­men­ta prä­zi­sier­te er sei­ne künst­le­ri­sche Weltanschauung:

Alle Fra­gen der Men­schen kön­nen nur Fra­gen der Gestal­tung sein, und das ist der tota­li­sier­te Kunst­be­griff. Er bezieht sich auf jeder­manns Mög­lich­keit, prin­zi­pi­ell ein schöp­fe­ri­sches Wesen zu sein, und auf die Fra­gen des sozia­len Gan­zen.»1

Beuys sprach in die­sem Zusam­men­hang in Anleh­nung an Rudolf Stei­ners sozia­ler Drei­glie­de­rung auch von einem sozia­len Orga­nis­mus, der sich in Stei­ners »Geis­tes­le­ben« in Form von Krea­ti­vi­tät, Phan­ta­sie und Spi­ri­tua­li­tät aus­drü­cke. Drei Jahr­zehn­te spä­ter erlebt die sozia­le Plas­tik neu­en Dis­kus­si­ons­be­darf: Wäh­rend Beuys‹ Gestal­tungs­auf­trag bis­her vor­nehm­lich vor dem Hin­ter­grund eines dies­sei­ti­gen Gestal­tungs­rau­mes rezi­piert wur­de, äußer­te der Raum­künst­ler Gre­gor Schnei­der vor vier Jah­ren in einem Inter­view mit Heinz-Nor­bert Jocks, daß selbst das Ster­ben Kunst sein kann. »Im Grun­de ist ein Ster­be­raum ein per­sön­li­cher Gestal­tungs­auf­trag für den Raum und die Umge­bung, in der wir ster­ben, uns auf­lö­sen, um dann Tod zu sein. Eine Gestal­tungs­auf­ga­be, die jedem Men­schen bevor­steht.»2

Meis­ter E.S.: »Ver­su­chung durch Ver­zweif­lung« und »Trost durch Zuver­sicht«, ca. 1450 (Ars mori­endi aus der Samm­lung des Ashmo­lean Museum Oxford)

Meis­ter E.S.: »Ver­su­chung durch Ver­zweif­lung« und »Trost durch Zuver­sicht«, ca. 1450 (Ars mori­endi aus der Samm­lung des Ashmo­lean Muse­um Oxford)

Nun mag zwar jeder Mensch ein Künst­ler sein, in Bezug auf die­sen letz­ten Gestal­tungs­auf­trag bleibt jedoch noch viel Dis­kus­si­ons­be­darf. Als Schnei­der sein Vor­ha­ben erst­mals for­mu­lier­te, wur­de die Zur­schau­stel­lung der »Schön­heit des Todes«  öffent­lich als Tabu­bruch auf­ge­fasst. Einen Ster­ben­den aus­zu­stel­len, das gin­ge ent­schie­den zu weit. Men­schen­ver­ach­tend, pie­tät­los, so urteil­te die Pres­se fast ein­stim­mig. Wäh­rend im Feuil­le­ton die ers­te Jour­na­lis­ten­rie­ge vom Leder zog, pre­dig­te in den Rand­spal­ten die Geist­lich­keit. Obgleich bereits damals die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung den öffent­li­chen Umgang mit angren­zen­den The­men wie der Pal­lia­tiv­me­di­zin för­der­te, fie­len die Reak­tio­nen auf­fäl­lig rück­stän­dig-epi­ku­reisch aus: Mit dem Tod hat­te nie­mand zu schaf­fen. Schließ­lich, so der Grie­che lapi­dar: »Bin ich, ist er nicht. Ist er, bin ich nicht.»3

Doch in der Zwi­schen­zeit rück­te das öffent­li­che Ster­ben ein Stück wei­ter in die Mit­te der Gesell­schaft: Im sel­ben Jahr ver­starb Esmin Eliza­beth Green im War­te­raum einer New Yor­ker Ret­tungs­stel­le unter den Bli­cken der Über­wa­chungs­ka­me­ras. Craig Ewert nahm wenig spä­ter im bri­ti­schen Live-Fern­se­hen die Ster­be­hil­fe der Schwei­zer Orga­ni­sa­ti­on »Digni­tas« in Anspruch. Die bri­ti­sche Big-Brot­her-Teil­neh­me­rin Jade Goo­dy mach­te 2009 nach dem Leben im Con­tai­ner auch ihren Tod zu einer öffent­li­chen Ange­le­gen­heit. Ob Chris­toph Schlin­gen­siefs »Kir­che der Angst«, Man­fred Stol­pes Besuch bei San­dra Maisch­ber­ger oder, ein älte­res Bei­spiel, der Besuch des NDR am Toten­bett von Mari­an­ne Bach­mei­er: Das Ster­ben ist nicht län­ger nur Pri­vat­sa­che, der Tod wird öffent­lich. Allein, es fehlt an Gestal­tung. Ver­gan­ge­ne Woche war dies The­ma einer Podi­ums­dis­kus­si­on im pol­ni­schen Stet­tin. 35 Jah­re nach dem Kas­se­ler Forum dis­ku­tier­ten neben Gre­gor Schnei­der Künst­ler, Kura­to­ren, Wis­sen­schaft­ler und Poli­ti­ker über jene fina­le Fra­ge des Men­schen, jene fina­le Fra­ge der Gestal­tung. Schnei­ders »Ster­be­raum« war Anlass und Stich­wort zugleich.

Gregor Schneiders "Sterberaum"

Gre­gor Schnei­ders »Ster­be­raum«

Es soll­te mehr als drei Jah­re dau­ern, bis Gre­gor Schnei­der sei­nen »Ster­be­raum« – eigent­lich: »Toter Raum« – erst­mals aus­stel­len durf­te. Ein muti­ger und beherz­ter Veit Loers ent­schied sich auf eine Anfra­ge Schnei­ders hin, ihn im Kunst­raum Inns­bruck zu zei­gen. Eben­so wie sein »Totes Haus U r«, für den der Künst­ler 2001 den Gol­de­nen Löwen der Vene­dig Bien­na­le gewann, ist auch der »Ster­be­raum« ein detail­lier­ter Nach­bau eines bestehen­den Vor­bil­des. Den in Inns­bruck gezeig­ten Raum ver­steht Schnei­der als Annä­he­rung an jenen Aus­stel­lungs­raum im Haus Lange/Esters, einen Mies-van-der-Rohe-Bau, in dem er sei­ne ers­te musea­le Aus­stel­lung hat­te. Damals, 1984, lag er selbst wie tot dar­in. Ver­un­si­cher­te Besu­cher stie­ßen ihn an. Nur eine Pup­pe? Eine Lei­che? Undenk­bar. Der ursprüng­lich pri­vat genutz­te Raum bil­de­te nun die idea­le Vor­la­ge für einen Ster­be­raum, der Aus­stel­lungs- und Wohn­pra­xis ver­eint. Als Dis­pla­ce­ment wur­de er in Inns­bruck dem schwarz ver­hüll­ten Aus­stel­lungs­raum ein­ver­leibt. Betrach­tet wird der ver­schlos­se­ne Raum jedoch nur von außen, der eigent­li­chen Gar­ten­sei­te. Eine Fens­ter­front erlaubt den Ein­blick, das Dun­kel des Aus­stel­lungs­rau­mes gibt die Rich­tung des Sehens vor, schafft aber auch Distanz, als beob­ach­te man die Bewoh­ner die­ses Raums aus dem Schutz der Nacht her­aus, kann aber ihre Gesprä­che nicht hören. »Man sieht nur das Inne­re und ahnt das Äuße­re«, so Loers.

Das Inne­re, obgleich bis ins Detail nach­ge­bil­det, auch das ist nicht viel: Eine dun­kel fur­nier­te, umlau­fen­de Fuß­bo­den­leis­te grenzt das Fisch­grä­ten­par­kett von der weiß ver­putz­ten Wand ab, geht in Tür- und Fens­ter­zar­ge über und bil­det mit den glei­cher­ma­ßen ver­klei­de­ten, tief ruhen­den Heiz­kör­pern eine visu­el­le Ein­heit. Mar­mor­ne Fens­ter­bän­ke beglei­ten die hohe und eben­falls umlau­fen­de Fens­ter­front, die nur durch schma­le Leis­ten und ein­fach gehal­te­ne Mes­sing­fens­ter­grif­fe unter­bro­chen wird. Auf der ande­ren Raum­sei­te führt eine gleich fur­nier­te Tür in einen eben­falls unzu­gäng­li­chen Hin­ter­raum, sie bleibt jedoch eben­so wie die Gar­ten­tü­re ver­schlos­sen. Vier anti­quier­te Gale­rie­leuch­ten beschei­nen eine der Wän­de mit war­mem Licht, allein, ein Bild fin­det man nicht. Auch sonst: kei­ne Ein­rich­tung, kein Möbel­stück, auch kein Bett und kei­ne Bah­re. Der Raum bleibt leer, doch, so Loers, »daß da jemand ster­ben kann, ist grund­sätz­lich nicht aus­zu­schlie­ßen«. Ein Ster­ben­der jedoch war inner­halb der Aus­stel­lung nicht zu sehen. Als der Raum in Inns­bruck nach zwei Mona­ten wie­der abge­baut wur­de, war er so ver­sie­gelt geblie­ben wie am ers­ten Tag. Der »Ster­be­raum« blieb leer, eine nach ihrer Funk­ti­on aus­ge­stal­te­te Idee, die wei­ter­hin auf eine zukünf­ti­ge Nut­zung wartet.

Gerd Ger­hard Löff­ler könn­te die­ser Ster­ben­de wer­den. Bei dem Lands­hu­ter Künst­ler wur­de 2007 ein Hirn­tu­mor dia­gnos­ti­ziert. Zwei bis fünf Jah­re, viel mehr Zeit habe ihm damals nicht mehr geblie­ben. Die­se Frist ist nun vor­bei, Löff­ler wei­ter­hin am Leben. Ein­zig eine brei­te Nar­be über sei­ner Stirn weist auf sein Schick­sal hin. Jeden Tag kön­ne es soweit sein, so der Künst­ler. Da wol­le er sich lie­ber vor­be­rei­ten. Als er von Gre­gor Schnei­ders Vor­ha­ben hör­te, einen Ster­ben­den aus­zu­stel­len, bot er sich an, die­sen Platz ein­zu­neh­men. Den »Ster­be­raum« selbst sah Löff­ler jedoch erst in der ver­gan­ge­nen Woche im Stet­ti­ner Natio­nal­mu­se­um, wo er nach Inns­bruck erst­mals wie­der aus­ge­stellt wurde.

Podiumsdiskussion: "Der Tod hat ein Recht auf Leben"

Podi­ums­dis­kus­si­on: »Der Tod hat ein Recht auf Leben«

Eben­so wie vor 35 Jah­ren in Kas­sel fand hier kürz­lich eine Podi­ums­dis­kus­si­on statt, in der neben Gerd Löff­ler und Gre­gor Schnei­der Wis­sen­schaft­ler und Poli­ti­ker über jene letz­te Fra­ge des Men­schen, jene letz­te Fra­ge der Gestal­tung dis­ku­tier­ten. An die­ser Form­ge­bung man­ge­le es »sowohl in Fra­ge als auch Ant­wort«, wie der Kura­tor und Pfar­rer Fried­helm Men­ne­kes bereits zur Eröff­nung des deutsch-pol­ni­schen Forum kon­sta­tier­te. Angst und Unsi­cher­heit domi­nier­ten den Umgang mit dem Tod – »Ich habe Angst«, so schrieb Rose­ma­rie Trockel einst in rie­si­gen Let­tern über Men­ne­kes Altar zu St. Peter in Köln.

»Der Tod ist außer­halb von Lebens­in­hal­ten angesiedelt.«

Der Umgang mit der Angst ist nur durch die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ster­ben mög­lich. Denn für den Trau­er­be­glei­ter Fritz Roth sind wir »sepul­kra­le Analpha­be­ten, wir wer­den vom Tode ent­zo­gen, wir wer­den nicht mehr erzo­gen.« Das Ster­ben lie­ge in den Hän­den der Spe­zia­lis­ten, wohin­ge­gen Roth die Men­schen ein­la­de, »den Tod selbst zu begrei­fen«. In sei­nem »Haus der mensch­li­chen Beglei­tung« gibt er ihnen Raum zur Gestal­tung, zuvor jedoch hole er sie »mit­ten im Leben ab« und fin­de mit ihnen Wege für einen akti­ven Umgang mit dem Tod. »Die Men­schen dür­fen die­se Kri­se selbst in die Hand neh­men, selbst Per­spek­ti­ven fin­den.« Wenn sie es wün­schen, kön­nen sie nachts oder am Wochen­en­de bestat­tet wer­den. Ledig­lich das Bestat­tungs­recht set­ze enge Gren­zen, doch Roth lässt auch hier nichts unver­sucht, schließ­lich sei der Tod »der bes­te Lehr­meis­ter zum bür­ger­li­chen Unge­hor­sam«. Immer­hin hat er mit Deutsch­lands ers­ten pri­va­ten Fried­hof einen wah­ren Ach­tungs­er­folg erzielt. Die Wün­sche sind jedoch oft beschei­den: Manch einer wol­le sei­nen Sarg selbst bau­en, ein ande­rer fin­de sei­ne ganz eige­nen Ritua­le. Die­je­ni­gen, die sich Roth anver­trau­en, ster­ben je nach Wunsch daheim, im Krei­se ihrer Lie­ben oder auch umge­ben von Kunst, in einem eige­nen Raum, den Roths Ein­rich­tung eigens hier­für bereit hält.

Fritz Roth besichtigt Gregor Schneiders "Sterberaum"

Fritz Roth besich­tigt Gre­gor Schnei­ders »Ster­be­raum«

Auch ein sol­cher Ster­be­raum, wie Gre­gor Schnei­der ihn gedacht und gebaut hat, kön­ne eine Mög­lich­keit sein, den eige­nen Tod zu gestal­ten. Das Aus­stel­len eines Ster­ben­den oder Toten sorg­te 2008 nur des­halb für eine sol­che Empö­rung, weil der Tod außer­halb von Lebens­in­hal­ten ange­sie­delt sei. Ledig­lich die Trau­er ist sozi­al kodi­fi­ziert, doch das Ster­ben hat kei­nen Platz in unse­rer Gesell­schaft. Für Ulrich Loock indes ist es »nicht die Auf­ga­be der Kunst, den Tod sozi­al kom­pa­ti­bler zu machen«. Dies kön­ne, so der Kura­tor an der Kunst­hal­le Bern und lang­jäh­ri­ge Pro­te­gée Schnei­ders, auch der Ster­be­raum nicht leis­ten. Loock hat Zwei­fel dar­an, daß der Raum tat­säch­lich das Ster­ben oder den Tod the­ma­ti­sie­ren wür­de. Schnei­ders Arbeit suche statt­des­sen nach »extre­men Momen­ten, deren Zugäng­lich­keit ein­ge­schränkt sind, die jen­seits der Gren­ze des Zugäng­li­chen lie­gen«. Bereits 1996 offen­bar­te Schnei­der in einem Gespräch mit Loock die­ses Interesse:

»Mich inter­es­siert ein Leer­lauf von Hand­lun­gen. Mich inter­es­siert es, einen neu­tra­len Punkt anzu­steue­ren, den ich selbst nicht mehr ken­nen kann. Sol­che Momen­te ent­ste­hen zufäl­lig. Durch die nicht bewusst wahr­nehm­ba­ren Bewe­gun­gen von Din­gen und jewei­li­gen Tages­zei­ten ent­steht – so nen­ne ich das – ein nicht mehr zu wis­sen­der Zeit­raum. Es ent­steht ein Ort, der kein Ort mehr sein kann, eine Ahnung von etwas, was wir nicht ken­nen. »4

Ein sol­cher Ort, ein sol­cher Topos stellt auch der Ster­be­raum und mit ihm das Ster­ben als Hand­lung dar, deren Leer­lauf hier in einem neu­tra­len Punkt gip­felt. Solan­ge der Raum unge­nutzt, doch in sei­ner Bestim­mung erhal­ten bleibt, geht aus ihm das Ster­ben als eine kate­go­risch umris­se­ne Hand­lung her­vor, die zwar nie vor den Augen, doch aber in der Vor­stel­lung abläuft. Die­se Ahnung des Ster­bens ist unmit­tel­bar, zugleich sub­til, scho­ckie­rend, doch wie­der­um sanft. Durch sei­ne Aus­stell­bar­keit – und sei es nur in ihrem Poten­ti­al – wird der Tod zu einer öffent­li­chen, einer sozia­len Ange­le­gen­heit. Durch das Ver­har­ren im Leer­lauf wird der Tod jedoch zu einem mora­lisch indif­fe­ren­zier­ba­ren, bes­ten­falls neu­tra­len Punkt sowohl im gesell­schaft­li­chen Gefü­ge als auch im Leben eines jeden Einzelnen.

Für Loock ist der Tod in Gre­gor Schnei­ders »Ster­be­raum« ledig­lich eine Ver­kör­pe­rung die­ser Abs­trak­ti­on. Auch des­sen Inver­si­on, das ewi­ge Leben, fin­de sich in sei­nem Werk. Es war wie­der­um Fried­helm Men­ne­kes, der 2006 Schnei­ders »Cryo ‑Tank Phoe­nix« anstel­le des Altars im Kir­chen­schiff von St. Peter plat­zier­te. Die sol­cher­art sakral auf­ge­la­de­ne, modell­haf­te Nach­ah­mung eines Gerä­tes zum Ein­frie­ren und spä­te­ren Wie­der­erwe­cken leben­di­ger Orga­nis­men wur­de zur zen­tra­len Reli­quie der Über­win­dung des Todes. Die Aus­stel­lung wur­de zur fei­er­li­chen Mes­se mit eige­ner Lit­ur­gie: zur Eröff­nung der Aus­stel­lung san­gen sie ein Requiem.

Gregor Schneiders "Sterberaum"

Gre­gor Schnei­ders »Ster­be­raum«

Fried­helm Men­ne­kes weiß, sol­che Posi­tio­nen wie die Schnei­ders oder Trockels für den offe­nen Umgang mit meta­phy­si­schen und spi­ri­tu­el­len Fra­gen zu nut­zen. »Die Kir­che muss Fra­gen stel­len, sie ist kei­ne Ant­wor­t­agen­tur«, da ist sich der Jesu­it sicher. Die Kunst sei ein wich­ti­ger Gehil­fe. Das weiß auch Wojciech Cie­siel­ski, der Kura­tor am Natio­nal­mu­se­um Stet­tin: »Das Muse­um soll Fra­gen stel­len.« Daß Gre­gor Schnei­der die­se Fra­gen sowohl in der Kir­che, als auch im Muse­um for­mu­lie­ren darf, erscheint an die­sem Abend als größ­ter Gewinn für einen kunst­ge­führ­ten Dis­kurs über die Gestal­tung des Sterbens.

Noch bleibt die Heils­bot­schaft des Cryo-Tanks jedoch in wei­ter Fer­ne, das Ster­ben wei­ter­hin bit­te­re Rea­li­tät. Der Umgang mit dem Tod, die Gestal­tung des eige­nen Ster­bens drängt mehr denn je. Wenn die Pal­lia­tiv­me­di­zi­ne­rin Mario­la Lem­bas-Szna­bel fragt, ob »die Selbst­ge­stal­tung des Ster­bens die Qua­li­tät der Exis­tenz« ver­än­de­re, dann stimmt ihr das Podi­um geschlos­sen zu. Die Kunst ver­mag Impul­se geben, die­se pri­va­te Ange­le­gen­heit über den Umweg der Öffent­lich­keit wie­der zu jenem Stel­len­wert zu ver­hel­fen, den Fritz Roth sei­nen Hil­fe­su­chen­den einräumt.

Der­weil fin­det Gerd Löff­ler sei­nen eige­nen, künst­le­ri­schen Weg, sich mit sei­ner Dia­gno­se und sei­nem Schick­sal aus­ein­an­der­zu­set­zen. Er arbei­tet mit dem »Müll, der aus mei­ner Krank­heit ent­steht«, türmt etwa lee­re Tablet­ten­schach­teln auf oder nutzt die MRT-Auf­nah­men sei­nes Schä­dels als sicht­ba­res Zeug­nis sei­ne Erkran­kung. Die Bestrah­lungs­mas­ken, die sei­nen Kopf wäh­rend der kräf­te­zeh­ren­den The­ra­pie in der immer sel­ben Form hal­ten, formt er in Kera­mik ab. Wie er sei­nen eige­nen Tod gestal­ten wird, will Löff­ler noch ent­schei­den: »Was ist, wenn es soweit ist? Viel­leicht baue ich selbst einen Ster­be­raum für mich?« Gre­gor Schnei­der hat ihm bereits sei­ne Hil­fe zugesagt.

  1. »Kata­log zur docu­men­ta 6«, Kas­sel 1997. Bd. 1 S.156
  2. aus: »Kunst­fo­rum Inter­na­tio­nal«. Nr. 192 (Juli-August 2008). S. 239ff; zuvor Abdruck in Tei­len in: »K.WEST – Das Feuil­le­ton für NRW«. Nr. 6 (Juni 2008). S. 2ff
  3. aus dem Brief an Menoi­keus, 125. Ori­gi­nal in Grie­chisch: »τὸ φρικωδέστατον οὖν τῶν κακῶν ὁ θάνατος οὐθὲν πρὸς ἡμᾶς͵ ἐπειδήπερ ὅταν μὲν ἡμεῖς ὦμεν͵ ὁ θάνατος οὐ πάρεστιν͵ ὅταν δὲ ὁ θάνατος παρῇ͵ τόθ΄ ἡμεῖς οὐκ ἐσμέν.«
  4. Kata­log zur Aus­stel­lung »Gre­gor Schnei­der« in der Kunst­hal­le Bern, Bern 1996. S. 22