An einem sonnigen Frühlingsvormittag bildet sich eine Menschentraube vor dem Portal des Wiener Stephansdoms. Nein, dieses Mal handelt es sich nicht um die üblichen Touristenströme, die ihre Kameras in alle Richtungen strecken. Heute sind es Passanten, Schaulustige und einige wenige Pressevertreter, die sich hier zusammendrängen und hektisch die Auslöser drücken. In ihrer Mitte steht eine Sau. Ein gieriges Tier, verfressen wie es war, voll- und ausgestopft mit zerknüllten Geldscheinen. Einige Banknoten hängen ihm noch zum Maule heraus, andere quellen aus seiner Seite. Nicht etwa Blut und Wasser, schnöder Mammon sprudelt da aus der Wunde hervor.
Marie Cochon – so heißt die Sau – zieht an jenem Tag durch die Wiener Innenstadt und besuchte einige exemplarische Orte der Gier: Banken, die Wiener Börse Luxusboutiquen und zuletzt auch das Parlamentsgebäude. In ihrem Gefolge befinden sich neben Nikolaus und Barbara Eberstaller etliche Gleichgesinnte und Gaffer. Auch die Polizei darf nicht fehlen. Und so zieht der Tross in einer feierlichen Prozession durch Wien und hält gelegentlich an, um zu mahnen und vor allem viel Geld zu verteilen.
»Marie teilt ihr Futter!« ruft Nikolaus Eberstaller bei jedem Halt und schon flattern bunte Geldscheine durch die Luft, fallen zu Boden und werden gierig von den Passanten aufgelesen. Einige sammeln zehn, zwanzig Banknoten, andere füllen ihre Einkaufstaschen damit an und doch wirft kaum einer von ihnen einen genaueren Blick auf die Scheine. Sieben Nominale werden heute unter das Volk gebracht: Es sind Scheine von zehn bis tausend Honey, wie die Währung heißt.
Der Österreicher Nikolaus Eberstaller hat die fiktive Währung im vergangenen Jahr erschaffen und seitdem in vielen Großstädten weltweit verteilt und auch bereits in Berlin in Ausstellungen und auf der letzten Preview gezeigt. Auf der Vorderseite der Geldscheine ist ein polnisches Herrschaftshaus abgebildet, die Rückseiten werden durch die sieben Todsünden geschmückt: Acedia (Faulheit), Gula (Völlerei), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Invidia (Neid), Avaritia (Geiz) und Superbia (Hochmut). Illustriert werden sie durch je eine Szene, ein symbolisches Tier und ein Firmenlogo – so wird beispielsweise auf dem 20-Honey-Schein die Völlerei durch ein hungerndes Kind, die Heuschrecke und das McDonald’s‑Logo veranschaulicht.
Die Eberstallers haben bereits viele Erfahrungen mit ihrer provokativen Währung sammeln können. Manche Leute fragen, wo sie die Scheine umtauschen könnten, Kinder halten sie oftmals für Gutscheine, und andere reagieren irritiert auf die ungewöhnliche Gestaltung. Denn sowohl positive als auch negative Aspekte des Reichtums und der Gier werden hier zweiseitig gegenüber gestellt. Die Aufschrift »Worthless unless transformed« erinnert daran, daß dem Geld zunächst keine bestimmte Bedeutung zukommt, sondern daß erst sein eingeforderter Gegenwert eine ethische Dimension annimmt. Die eigentliche Wertlosigkeit des bedruckten und zugeschnittenen Papieres unterstreicht diesen scharfen Gegensatz und so ist es lediglich ballaststoffreiches Futter, das »Marie Cochon« so gierig in sich stopft.
Für die Stadtumzüge mit der Sau hat Eberstaller eine revidierte Fassung der Scheine drucken lassen – nun erscheint auch das Schwein auf jeder der Noten. Es wird zur symbolhaften Ikone einer zügellosen Gier, dem sozial unverträglichen Übermaß, das es anprangert. »Marie Cochon« tritt als Performance-Künstlerin auf, die Eberstallers sehen sich als Gehilfen. Ihre Karriere begann 2011 unter ihrem bürgerlichen Namen AT 1542494 2858 in einem niederösterreichischen Mast- und Schlachtbetrieb. Im Januar 2012 wurde sie mit einem Schlachtgewicht von 120kg von einem Fleischhauer fachgerecht verarbeitet. Ihr Fleisch wurde verzehrt. Ihre Körperhülle wurde von einem Präparator ihrer neuen Bestimmung zugeführt und zur Künstlerin umgeschult.
Am vergangenen Freitag trat sie erstmals in der Öffentlichkeit auf. Ihre erste Performance fand in der Wiener Innenstadt statt. Sie war ein voller Erfolg. In einer feierlichen Prozession und mit staatlichem Geleitschutz wurde sie entlang geschichtsträchtiger und repräsentativer Orte durch die österreichische Hauptstadt getragen und verteilte ihr gehaltloses Futter unter den Anwesenden. Es regiert die Gier. Marie und ihre Anhänger fressen eifrig die honigsüße Kost von der Straße und während das Schwein die Geldscheine hastig hinunterschlingt, klauben die Passanten sie vom Boulevard und verstauen sie sorgsam in ihren Taschen. Etliche von ihnen ziehen dem Tross hinterher, immer danach gierend, daß endlich wieder die Geldbündel zu Boden flattern mögen.
Doch kaum einer von ihnen bemerkt, daß Nikolaus und Barbara Eberstaller nicht nur die Sau durchs Dorf treiben, sondern auch all diese Narren mit ihr. Im Gefolge eines gierigen Schweins ist freilich kein Platz für Bescheidenheit.
Und wie sie am Ende des Marsches vor dem Wiener Parlamentsgebäude stehen, da tanzen sie im Geldregen und baden im Meer des vergänglichen Reichtums. Selbst die begleitenden Polizisten entdecken nun ihre Begeisterung für das täuschend echte Geld und stecken einige der Scheine ein. Nikolaus und Barbara Eberstaller posieren noch ein letztes Mal für die Kameras und geben dann flugs das Signal an ihrer Helfer, all das teure Geld wieder einzusammeln und in ihren Säcken zu verstauen. »Es soll nicht ein anderer alles wegkehren müssen«, begründet Nikolaus Eberstallers die Order. Aber eigentlich, und das wurde heute schon genug betont, geht es um die Verschwendung: Perlen will hier keiner so leichtfertig vor die Säue werfen, denn die werden noch gebraucht.
Schließlich wird »Marie Cochon« gemeinsam mit ihren Gehilfen Nikolaus und Barbara Eberstaller weiterhin durch die Großstädte ziehen. Ihr nächster Halt wird in Berlin sein: Bereits morgen, am 30.03. werden sie ab 18:30 Uhr von der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, vom Breitscheidplatz aus einen Trott von Schaulustigen und gierigen Passanten über den Kurfürstendamm führen. Im Anschluss werden sie an der Eröffnung der Ausstellung »Der goldene Käfig – The Golden Cage« im KunstBüroBerlin teilnehmen.
Am Ende des Wiener Stadtumzuges dankt mir Nikolaus Eberstaller nachdrücklich für meine Unterstützung und übergibt mir unauffällig einen Bündel Geldscheine. Zehntausend Honey, anbei ein wenig Propagandamaterial. Bestochen und durch die eigene Gier betrogen mache ich mich kleinlaut hinfort.