Als im vergangenen Winter das Zürcher Migros Museum in seiner Ausstellung »Displaced fractures« nach den Bruchlinien suchte, die gleichermaßen die Architektur wie den menschlichen Körper durchziehen, da war auch Oscar Tuazon nicht weit. Der Amerikaner zeigte einen zertrümmerten Betonblock, der unter seiner eigenen Last niedergebrochen war. Fragmente unterschiedlicher Größe erzählten in einstimmiger Poesie von der Zerbrechlichkeit des Menschen; man mochte ein leises Seufzen des gebrochenen Betons vernehmen.
Man hätte Tuazons ächzendem Trümmerhaufen eine ebenso hochemotionale Soundinstallation an die Seite stellen wollen, schon allein, um die Illusion auf die Spitze zu treiben und das Kunsterlebnis zu erhöhen. In der Rückschau betrachtet, hätte sich dafür Sophie Erlunds »This house is my body« wunderbar geeignet; allein, ihr Werk kam ein Jahr zu spät für die Zürcher Schau. Erlund verleiht in ihrer Arbeit sterbenden Gebäude eine Stimme: Sie gewann über Jahre hinweg bei Abrißarbeiten Soundmaterial, lauschte mit speziellen Mikrophonen seufzendem Stahlbeton und ächzendem Bauschutt. Daraus komponierte sie eine Soundskulptur mit menschlichen Zügen; die Berliner PSM Gallery stellt sie derzeit aus.
Sophie Erlund: This house is my body (Ausstellungsansicht), Foto: PSM GalleryWie schreibt man über Klangkunst? Wie soll man sie in passende Worte fassen, in treffenden Sätzen verpacken? Daß in diesem Falle geschrieben werden muss, ist unumstößlich, allein die emotionale Energie verlangt es. Zunächst, was fest steht: Sophie Erlund suchte in den vergangenen drei Jahren immer wieder abrißreife Gebäude auf und platzierte an Wänden und Pfeilern Kontaktmikrofone, die die Schwingungen und Erschütterungen der Unterlage aufnahmen. Auf diese Weise horchte sie in den Stahlbeton hinein und konnte dem Schlag der Presslufthämmer und der schieren Gewalt der Bulldozer nachspüren.
Das so gewonnene Material arrangierte sie nach dem Schema einer klassischen Symphonie. Darin erzählt sie von der Zerstörung eines Gebäudes, setzt bei den einhämmernden Maschinen ein und fährt mit dem Ächzen des Gemäuers fort. Die Komposition endet darauf in dem langsamen Zerfall des Baus.
Sophie Erlund: This house is my body (Ausstellungsansicht), Foto: PSM GalleryIn der PSM Gallery trifft »This house is my body« auf einen größtenteils roh belassenen Raum: Rau gestrichener Estrich, kalte Mauern und das gepresste Geflecht der Dachdämmung bieten dem klanggewordenen Architekturtod eine geeignete Kulisse. Mithilfe von Richtlautsprechern, die im ganzen Raum verteilt sind, erschafft Erlund zudem eine Soundskulptur, die überall anders klingt. Auf diese Weise gelingt ihr die Verschränkung des realen architektonischen Raumes mit einem klanglichen Gegenstück.
Sophie Erlund gibt dem Gebäude eine menschliche Gestalt. Sie schenkt ihm das Fleisch, in das die Maschinen sich fressen, die Stimme, die es aufschreien und stöhnen lässt, und die Sterblichkeit, deren Los es erleiden muss. Die Architektur leidet und mit ihr leidet der Mensch. Mitgefühl prägt das Kunsterlebnis. Und so findet man sich bald auf dem kalten Galerienboden wieder, angestrengt lauschend, das Schicksal des Gebäudes verfolgend.
»This house is my body« ist ein echtes Klangerlebnis – eines, das man am besten selbst macht. Gelegenheit dazu besteht noch bis zum 22. Oktober in der PSM Gallery.