Es ist der erste Mai des vergangenen Jahres: Während in den Straßen Kreuzbergs die Parolen bannertragender Truppen widerhallen, setzt Miriam Böhm diesem gellendem Spektakel in der Schaufenstergalerie SOX in der Oranienstraße die nüchterne Ruhe des White Cube entgegen. Ein Monat später, als die Ruhe wieder in Kreuzberg eingekehrt ist, spannt Friederike Feldmann an selber Stelle ein blutrotes Banner über die Straße. Auf vierzig Quadratmetern Fläche prangt eine handschriftliche Parole, doch keiner kann die zackig schreienden Worte lesen. Das Transparent musste entfernt werden, zu beunruhigend war seine aggressive Wirkung.
Ein Jahr später siedeln Feldmanns Schriften in den Galerienkontext um – aus der Feldstudie wird ein Versuch unter analytisch sauberen Laborbedingungen. In der Zwischenzeit hatte Feldmann Gelegenheit, ihre Technik zu verfeinern, und stellt nun unweit von der Oranienstraße, in der Galerie Barbara Weiss, einige Werkproben aus. Die Ausstellung »Die Autorin« zeigt ihre oftmals verstörend kryptischen Werke noch bis zum 29. Oktober.
Friederike Feldmann: o.T. 3, Foto: Jens Ziehe, courtesy Galerie Barbara Weiss, BerlinVerfolgt man die in zwölf Arbeiten nachvollziehbare Entwicklung, erkennt man leicht, wie Feldmann zu dem Effekt der Verstörung und Beunruhigung gelangt. Die älteren Arbeiten dominieren durch einen ausdrucksstarken Gestus. Kunstvoll geschwungene Bögen, rasant gezogene Linien und spitze Winkel formen Schriftzeichen, die keines der gängigen Alphabete kennt. Angelehnt an lateinische Lettern erstellt Friederike Feldmann eine Quasi-Schrift, die durch wechselnd starken Farbauftrag, unterschiedlich akzentuierte Unter- und Überlängen sowie eine lebendige Schreibweise an ein typisches Handschriftbild erinnert.
Die Proportionen aus zackigen Linien und auf engstem Raum ausladenden Bögen geben der Schrift eine exzentrische, zuweilen aggressive Note. Die »Parole 3« vermag nicht zuletzt auch durch das satte Rot wie eine tobende Wutschrift oder eine aufwiegelnde Kampfesaufforderung wirken. Im direkten Vergleich erscheint eine der unbetitelten Arbeiten dank des nüchternen Schwarz-Weiß-Kontrastes wie die Handschrift eines Künstlerexzentrikers, dessen weite Schriftzeichen den ganzen verfügbaren Raum einnehmen.
Friederike Feldmann: PS 5, Foto: Jens Ziehe, courtesy Galerie Barbara Weiss, BerlinJüngere Werke Feldmanns geben einen Teil diesen abstrahierenden Gestus zugunsten einer lesbareren Schrift auf. Da tauchen vereinzelt bekannte Buchstaben auf, ein »k« oder ein »r« bietet schwachen Halt im verzweifelten Versuch, die Schriftstücke zu entziffern. Dennoch laufen alle Leseversuche ins Leere; auf Feldmanns Parolen lässt sich kein Reim machen. Darauf begründet sich eine magische Aura, wie man sie auch vom Voynich-Manuskript oder dem Codex Rohonczi kennt: der Zauber des Unentschlüsselbaren. Man vermutet unwillkürlich eine Botschaft, wo Schriftzeichen stehen, selbst wenn man diese nicht lesen kann. Diesen Fehlschluss wusste auch Luigi Serafini künstlerisch aufzugreifen, als er vor einigen Jahren zugab, daß sein Codex Seraphinianus keinen tieferen Sinn enthalte. Das kryptische Schriftstück war für ihn letztlich nur ein Instrument, um den Leser in die Rolle eines Kindes zurückzuversetzen, das staunend in die geheimnisvollen Bücher der Erwachsenen eintaucht.
Auch Friederike Feldmanns Parolen leben von dieser Täuschung. Sie werden in den leeren Raum hineingeschrieen, verstummen und bleiben ungehört. Durch den Verzicht auf eine kommunikative Absicht (welchen freilich auch der Betrachter einsehen muss) gehen sie bestenfalls in eine typographische Detailanalyse auf, die die verschiedenen Kombinationen der Bestandteile eines festen Inventars an typographischen Elementen in Harmonien und Disharmonien, Stimmungen und Emotionen aufgehen lässt.
Ausstellungsansicht »Die Autorin«, Foto: Jens Ziehe, courtesy Galerie Barbara Weiss, BerlinDie Abkehr vom Zweckhaften und Expliziten treibt auf der anderen Seite auch die Abstraktion der Schrift auf die Spitze, welche als ideelles Instrument der Denotation realer Tatsachen ohnehin schon auf ihren Kern reduziert vorliegt. Durch die Wegnahme dieses letzten Restes, nämlich der Funktion als semiotisches System, wird die Schrift bei Feldmann gänzlich ihres Zweckes beraubt, wird damit nichtig, aber auch erhaben. Feldmann führt damit eine écriture automatique in Reinform herbei, die den Gestus des Schreibens in eine malerische Dimension überführt. Ihre Schrift-Bilder werden daher aus gutem Grund wie Malerei beschrieben: »pigmentierte Tusche auf gebleichten Nessel« bzw. »pigmentierte Tusche auf Papier«. Insofern lassen sich ihre Schrift-Bilder auch als spitze Kommentare auf die omnipräsente Krise der Repräsentation lesen. Oder eben nicht lesen; wer kann das schon entscheiden.
Dadurch spannt sich der Bogen zurück zur Vortäuschung eines expliziten Inhalts. Denn hier liegt vermutlich auch der Grund für die beunruhigende Wirkung der Parolen Feldmanns: Die Schrift-Bilder sind zweierlei Illusionen: Sie repräsentieren allein ihre Inhaltsleere, sind weder Schrift noch Bild.