Typisch deutsch

03. August 2011 von Matthias Planitzer
Galerie Crone gibt Überblick über die Ikonographie deutscher Kunst
Anselm Kiefer: Sefer Hechaloth Merkaba die sieben Himmelspaläste steigend steigend sinke niederAnselm Kie­fer: »Sefer Hecha­loth Mer­ka­ba die sie­ben Him­mels­pa­läs­te stei­gend stei­gend sin­ke nieder«

Was dem Ame­ri­ka­ner Uncle Sam, dem Fran­zo­sen die Mari­an­ne, dem Bri­ten die Queen ist dem Deut­schen… – ja was eigent­lich? Was ist das Sinn­bild der deut­schen Kul­tur? Gibt es über­haupt eines? Die­se Fra­ge ist nicht unbe­rech­tigt, sind doch die deut­schen Nach­fol­ger­staa­ten ein­zeln und spä­ter ver­ei­nigt immer dar­auf bestrebt gewe­sen, natio­na­lis­ti­schen Ten­den­zen ent­ge­gen­zu­wir­ken, was frei­lich auch den Patrio­tis­mus schmä­ler­te, der natio­na­le Iko­nen wie die genann­ten Bei­spie­le her­vor­brach­te. So bleibt die nun­mehr fast sieb­zig Jah­re wäh­ren­de Nach­kriegs­ge­schich­te Deutsch­land auf­fal­lend blass, wenn man fragt: Wofür steht eigent­lich die deut­sche Kultur?

Dann wird man gezwun­ge­ner­ma­ßen auf Goe­the und Schil­ler, Kant und Hegel, Bach und Fal­lers­le­ben zurück­grei­fen und hat doch immer noch nichts dar­über erzählt, was eigent­lich Deutsch­sein in der zwei­ten Hälf­te des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts bedeu­tet. Denn eben­so wie die Poli­tik war auch die Gesell­schaft scheu, sich natio­na­ler Sym­bo­le zu bedie­nen und so setz­te eine Suche nach natio­na­ler Iden­ti­tät ein, die kei­ne sein durf­te. Die­ser Balan­ce­akt auf dem Grat zwi­schen His­to­ris­mus und Gegen­wart war natur­ge­mäß ein sehr holp­ri­ger, der sich natür­lich auch in den Küns­ten niederschlug.

Die nun bald drei­ßig­jäh­ri­ge Gale­rie Cro­ne nutz­te den eige­nen Werks­be­stand, um die­ser einen zen­tra­len Fra­gen nach­zu­ge­hen: Gibt es in der Kunst so etwas wie eine deut­sche Iko­no­gra­phie? Dies auf­zu­de­cken ist das erklär­te Ziel der Aus­stel­lung »Deutsch«, die noch bis zum 30. August knapp vier­zig Ein­zel­po­si­tio­nen von pro­mi­nen­ten Künst­lern wie Anselm Kie­fer, Albert Oeh­len, Joseph Beuys, Jörg Immendorf oder Sig­mar Pol­ke ver­eint. Auch das rest­li­che Pro­gramm ist nam­haft besetzt und umspannt knapp ein gan­zes Jahrhundert.

Leni Riefenstahl: Olympia 1936Leni Rie­fen­stahl: »Olym­pia«, 1936

Die Aus­stel­lung setzt zunächst ganz vorn an und ruft Leni Rie­fen­stahls Dar­stel­lun­gen des ari­schen Ide­als ins Gedächt­nis. Die ras­sen­ideo­lo­gisch pro­pa­gier­te Stren­ge und Stär­ke des deut­schen Über­men­schen fin­den etwa in einer Foto­gra­fie der Olym­pi­schen Spie­le von 1936 Aus­druck, ein Rei­ter­bild aus dem sel­ben Jahr unter­streicht zudem den uner­bit­ter­li­chen Sie­ges­wil­len des Vor­zei­ge­deut­schen. Bei­de Dar­stel­lun­gen brin­gen einen immer noch leben­dig spür­ba­ren Mythos her­vor, der, wenn man sich wei­ter in der Aus­stel­lung umschaut, auch nach dem Unter­gang des drit­ten Rei­ches aktiv gesucht wird – wenn auch frei­lich nicht mit der­sel­ben Ideologie.

So erkennt man in Harald Herr­manns »Klings­ors Gar­ten« (2011) eine vom Pathos befrei­te, doch aber mythisch erfüll­te Dar­stel­lung aus Wag­ners Par­zi­fal. Hans Weig­and dage­gen geht in »Jer­ry Cot­ton« (2001, 2010) einem moder­nen Mythos nach und per­si­fliert ihn in einer eige­nen Dar­stel­lung des idea­li­sier­ten Gro­schen­ro­man-Detek­tivs, für die übri­gens auch Jona­than Mee­se als Dar­stel­ler im Foto­co­mic auf­taucht. Letz­te­rer ist auch mit zwei eige­nen Arbei­ten aus der Jahr­tau­send­wen­de in »Deutsch« ver­tre­ten, die in gewohn­ter Manier staats­theo­re­ti­sche Bre­cher pro­pa­gie­ren und in ihrer Radi­ka­li­tät wie­der ein­mal an flam­men­de Wut­re­den der drei­ßi­ger Jah­re erin­nern. Mee­se wie eh und je.

Daniel Megerle, Marie Rotkopf: Mausoleum zu Ehren von Karl-Theodor zu Guttenberg, 2010Dani­el Meger­le, Marie Rot­kopf: »Mau­so­le­um zu Ehren von Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg«, 2010

Den unver­meid­li­chen Schwenk in poli­ti­sche Gefil­de voll­zieht die Aus­stel­lung gut nach. In Reich­wei­te zu den genann­ten Arbei­ten wur­de Dani­el Meger­les und Marie Rot­kopfs »Mau­so­le­um zu Ehren von Karl-Theo­dor zu Gut­ten­berg« errich­tet, wel­ches eben­falls nicht mit Pathos geizt. Meger­le stell­te bereits zum Gal­lery Weekend sei­ne zyni­schen Arbei­ten aus, für die er gern auf aber­wit­zi­ge Wei­se Poli­ti­ker­por­träts inte­griert. So auch im vor­lie­gen­den Werk gesche­hen, das dem ehe­ma­li­gen Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter ein Sol­da­ten­grab setzt.

Bereits auf die­sem engen Raum sind eine Rei­he Figu­ren auf­ge­zählt, die einst zu deut­schen Iko­nen avan­cier­ten, sich dann aber schnell als Fehl­grif­fe erwie­sen. Ein­zig posi­ti­ves Gegen­bei­spiel aus dem poli­ti­schen Umfeld stellt da Wil­ly Brandt dar, der gleich mehr­fach in den bei­den Aus­stel­lungs­räu­men der Gale­rie Cro­ne auftaucht.

Wenn man etwa Andy War­hols bekann­tes Brandt-Por­trät gegen­über­tritt, kommt man doch nicht um einen Ver­gleich mit sei­ner Mari­lyn umhin, die an Strahl­kraft und Aura dem Brandt-Bild weit vor­aus ist. Wil­ly Brandt kommt zwar als heim­li­che Iko­ne zum Vor­schein, doch eine, die sich scheut, die­se Rol­le anzu­neh­men. Dar­an kann auch ein Manu­skript nicht viel ändern, das Strei­chun­gen und Kor­rek­tu­ren einer sei­ner Reden wiedergibt.

Michael Schirner: Bye Bye, WAR70, 2006-2009Micha­el Schirner: »Bye Bye, WAR70«, 2006–2009

Wer nun aber glaubt, Wil­ly Brandt eig­ne sich nicht als iden­ti­tät­s­tif­ten­des Sym­bol für ein im Natio­nal­stolz erschüt­ter­tes Deutsch­land, der wird von Micha­el Schirner eines Bes­se­ren belehrt. Der Künst­ler ist mit einer Arbeit ver­tre­ten, die zunächst das Gefühl ver­mit­telt, bereits bekannt zu sein. Man rät­selt über die Hin­ter­grün­de und erkennt bald, daß es sich um die berühm­te Auf­nah­me des Knie­falls im War­schau­er Ghet­to han­delt. Alle Dar­stel­ler sind ver­sam­melt, nur Wil­ly Brandt fehlt. Wer Schirn­ers Arbeits­wei­se kennt, wird die Meta­pho­rik von »Bye Bye, WAR70« schnell ver­ste­hen. Sei­ne groß­for­ma­ti­gen Wer­ke erlan­gen dadurch Wie­der­erken­nungs­wert, daß er aus his­to­risch bedeut­sa­men Foto­gra­fien sinn­ge­ben­de Bild­tei­le, häu­fig die Prot­ago­nis­ten ent­fernt. So ver­frem­de­te er bereits die Foto­gra­fien vom chi­ne­si­schen Tank Man oder Cor­nell Capas bekann­tes Foto »Loya­lis­ti­scher Sol­dat im Moment sei­nes Todes«.

In dem der Aus­stel­lung zugrun­de lie­gen­den Kon­text wird jedoch klar, daß jener kur­ze Moment im War­schau­er Ghet­to und somit auch das Foto bereits fest im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis ver­an­kert sind. Anders ist die Ver­wir­rung nicht zu erklä­ren, die eine simp­le Retu­sche stif­ten kann. Die Anwär­ter­rol­le Wil­ly Brandts auf den Sta­tus als unan­tast­ba­re Iko­ne deut­scher Iden­ti­tät wäre somit zumin­dest für’s Ers­te gesichert.

Marc Bronner: Ohne Titel (Serie aus fünf Bildern), 2011Marc Bron­ner: Ohne Titel (Serie aus fünf Bil­dern), 2011

Die Aus­stel­lung »Deutsch« wid­met sich jedoch nicht nur den poli­ti­schen Iko­nen, son­dern sucht auch in der All­tags­kul­tur nach Figu­ren und Ten­den­zen, die typisch deutsch sind. Bei­spiel­haft hier­für steht Marc Bron­ners unbe­ti­tel­te Serie aus fünf Bil­dern, in denen er sich deut­schen Fern­seh­se­ri­en aus dem Abend­pro­gramm wid­met. Sie zeigt arche­ty­pi­sche Sze­nen, die so rein und aufs Wesent­li­che destil­liert sind, daß es schwer fällt, den Typos vom deut­schen Wohn­zim­mer­le­ben von dem auf der Matt­schei­be zu tren­nen. Akku­rat fri­sier­te Anzug­trä­ger und wohn­lich ein­ge­rich­te­te Kabi­netts tref­fen auf baby­blaue Plas­tik­te­le­fo­ne und geschmack­lo­se Horn­bril­len. Da fällt es schwer, die klo­bi­gen Design-Sün­den der spä­ten sieb­zi­ger Jah­re vom Charme der alten Tat­ort-Fol­gen zu unterscheiden.

Ver­mut­lich, weil alles einer­lei ist. Bron­ners rea­lis­ti­sche Gemäl­de zei­gen nicht zuletzt wegen sei­nes Inter­es­ses an den klei­nen Details die Ästhe­tik jener Zeit auf, die sich im Fern­se­hen auf­rei­nigt um neu­er­lich ein Vor­bild für die Rea­li­tät zu wer­den. Bei Bron­ner erreicht sie ihren größ­ten Rein­heits­grad und durch die flä­chi­ge Mal­wei­se sei­ner Bil­der erscheint sie fast irre­al und künstlich.

Albert Oehlen: Ohne Titel (Deutschland muß leben und wenn wir nicht sterben müssen. Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen.), 1985Albert Oeh­len: Ohne Titel (Deutsch­land muß leben und wenn wir nicht ster­ben müs­sen. Deutsch­land muß leben und wenn wir ster­ben müs­sen.), 1985

Die Suche nach einer natio­na­len Iko­no­gra­phie, die im bes­ten Sin­ne deutsch ist, ist auch mit »Deutsch« nicht abge­schlos­sen. Die zugrun­de­lie­gen­den Ein­flüs­se und Ten­den­zen sind zwar stets prä­sent, doch lässt sich kaum ein typi­sches Sym­bol Deutsch­lands aus­ma­chen. Das wäre sicher­lich auch zu viel ver­langt und kann nicht im Sin­ne der Aus­stel­lung stehen.

Ihr Ver­dienst ist es jedoch, mit­hil­fe der Arbei­ten die­ser durch­gän­gig nam­haf­ten Künst­ler auf wie­der­keh­ren­de Moti­ve hin­zu­wei­sen und eine Idee davon zu ver­mit­teln, was die öffent­li­che Kul­tur der neue­ren deut­schen Geschich­te geprägt hat. Die­se Gemein­sam­kei­ten wur­den in »Deutsch« nicht nur ziel­si­cher iden­ti­fi­ziert, son­dern auch bei­spiel­haft ver­eint und gegen­über­ge­stellt. Der Zugang zu solch einem wei­ten Feld an Künst­lern und Wer­ken aus ver­schie­de­nen Zei­ten ist sicher­lich ein wich­ti­ger Fak­tor für den didak­ti­schen Erfolg der Aus­stel­lung, nicht zuletzt ist aber auch der kura­to­ri­schen Leis­tung zu ver­dan­ken, daß die­se Ein­zel­po­si­tio­nen in ein gro­ßes Gan­zes auf­ge­hen. Bei »Deutsch« han­delt es sich um eine kura­tier­te Aus­stel­lung im klas­si­schen Sin­ne: Wenn der Besu­cher sich mit einem Gedan­ken von einem Werk abwen­det, fin­det er es beim nächs­ten wie­der auf­ge­grif­fen. So ist es auch leicht ver­ständ­lich, daß die knapp vier­zig Aus­stel­lungs­stü­cke in einem har­mo­ni­schen Grund­ton wider­hal­len und am Ende des Besuchs eine fass­ba­re Erkennt­nis ste­hen bleibt: Eine typisch deut­sche Iko­no­gra­phie exis­tiert nicht, wohl aber meh­re­re. In die­ser kura­to­ri­schen Leis­tung ist auch der Grund zu sehen, war­um »Deutsch« als bes­te Aus­stel­lung des Ber­li­ner Kunst­som­mers gel­ten darf.

Andere Meinungen

  1. […] die­ser Fra­ge­stel­lung läuft die aktu­el­le Aus­stel­lung in der Gale­rie Cro­ne in Ber­lin. Mat­thi­as von Cas­tor und Pol­lux hat vor­bei­ge­schaut, um sich sel­ber auf die Suche nach den urdeut­schen Wur­zeln zu […]