Was dem Amerikaner Uncle Sam, dem Franzosen die Marianne, dem Briten die Queen ist dem Deutschen… – ja was eigentlich? Was ist das Sinnbild der deutschen Kultur? Gibt es überhaupt eines? Diese Frage ist nicht unberechtigt, sind doch die deutschen Nachfolgerstaaten einzeln und später vereinigt immer darauf bestrebt gewesen, nationalistischen Tendenzen entgegenzuwirken, was freilich auch den Patriotismus schmälerte, der nationale Ikonen wie die genannten Beispiele hervorbrachte. So bleibt die nunmehr fast siebzig Jahre währende Nachkriegsgeschichte Deutschland auffallend blass, wenn man fragt: Wofür steht eigentlich die deutsche Kultur?
Dann wird man gezwungenermaßen auf Goethe und Schiller, Kant und Hegel, Bach und Fallersleben zurückgreifen und hat doch immer noch nichts darüber erzählt, was eigentlich Deutschsein in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bedeutet. Denn ebenso wie die Politik war auch die Gesellschaft scheu, sich nationaler Symbole zu bedienen und so setzte eine Suche nach nationaler Identität ein, die keine sein durfte. Dieser Balanceakt auf dem Grat zwischen Historismus und Gegenwart war naturgemäß ein sehr holpriger, der sich natürlich auch in den Künsten niederschlug.
Die nun bald dreißigjährige Galerie Crone nutzte den eigenen Werksbestand, um dieser einen zentralen Fragen nachzugehen: Gibt es in der Kunst so etwas wie eine deutsche Ikonographie? Dies aufzudecken ist das erklärte Ziel der Ausstellung »Deutsch«, die noch bis zum 30. August knapp vierzig Einzelpositionen von prominenten Künstlern wie Anselm Kiefer, Albert Oehlen, Joseph Beuys, Jörg Immendorf oder Sigmar Polke vereint. Auch das restliche Programm ist namhaft besetzt und umspannt knapp ein ganzes Jahrhundert.
Leni Riefenstahl: »Olympia«, 1936Die Ausstellung setzt zunächst ganz vorn an und ruft Leni Riefenstahls Darstellungen des arischen Ideals ins Gedächtnis. Die rassenideologisch propagierte Strenge und Stärke des deutschen Übermenschen finden etwa in einer Fotografie der Olympischen Spiele von 1936 Ausdruck, ein Reiterbild aus dem selben Jahr unterstreicht zudem den unerbitterlichen Siegeswillen des Vorzeigedeutschen. Beide Darstellungen bringen einen immer noch lebendig spürbaren Mythos hervor, der, wenn man sich weiter in der Ausstellung umschaut, auch nach dem Untergang des dritten Reiches aktiv gesucht wird – wenn auch freilich nicht mit derselben Ideologie.
So erkennt man in Harald Herrmanns »Klingsors Garten« (2011) eine vom Pathos befreite, doch aber mythisch erfüllte Darstellung aus Wagners Parzifal. Hans Weigand dagegen geht in »Jerry Cotton« (2001, 2010) einem modernen Mythos nach und persifliert ihn in einer eigenen Darstellung des idealisierten Groschenroman-Detektivs, für die übrigens auch Jonathan Meese als Darsteller im Fotocomic auftaucht. Letzterer ist auch mit zwei eigenen Arbeiten aus der Jahrtausendwende in »Deutsch« vertreten, die in gewohnter Manier staatstheoretische Brecher propagieren und in ihrer Radikalität wieder einmal an flammende Wutreden der dreißiger Jahre erinnern. Meese wie eh und je.
Daniel Megerle, Marie Rotkopf: »Mausoleum zu Ehren von Karl-Theodor zu Guttenberg«, 2010Den unvermeidlichen Schwenk in politische Gefilde vollzieht die Ausstellung gut nach. In Reichweite zu den genannten Arbeiten wurde Daniel Megerles und Marie Rotkopfs »Mausoleum zu Ehren von Karl-Theodor zu Guttenberg« errichtet, welches ebenfalls nicht mit Pathos geizt. Megerle stellte bereits zum Gallery Weekend seine zynischen Arbeiten aus, für die er gern auf aberwitzige Weise Politikerporträts integriert. So auch im vorliegenden Werk geschehen, das dem ehemaligen Verteidigungsminister ein Soldatengrab setzt.
Bereits auf diesem engen Raum sind eine Reihe Figuren aufgezählt, die einst zu deutschen Ikonen avancierten, sich dann aber schnell als Fehlgriffe erwiesen. Einzig positives Gegenbeispiel aus dem politischen Umfeld stellt da Willy Brandt dar, der gleich mehrfach in den beiden Ausstellungsräumen der Galerie Crone auftaucht.
Wenn man etwa Andy Warhols bekanntes Brandt-Porträt gegenübertritt, kommt man doch nicht um einen Vergleich mit seiner Marilyn umhin, die an Strahlkraft und Aura dem Brandt-Bild weit voraus ist. Willy Brandt kommt zwar als heimliche Ikone zum Vorschein, doch eine, die sich scheut, diese Rolle anzunehmen. Daran kann auch ein Manuskript nicht viel ändern, das Streichungen und Korrekturen einer seiner Reden wiedergibt.
Michael Schirner: »Bye Bye, WAR70«, 2006–2009Wer nun aber glaubt, Willy Brandt eigne sich nicht als identitätstiftendes Symbol für ein im Nationalstolz erschüttertes Deutschland, der wird von Michael Schirner eines Besseren belehrt. Der Künstler ist mit einer Arbeit vertreten, die zunächst das Gefühl vermittelt, bereits bekannt zu sein. Man rätselt über die Hintergründe und erkennt bald, daß es sich um die berühmte Aufnahme des Kniefalls im Warschauer Ghetto handelt. Alle Darsteller sind versammelt, nur Willy Brandt fehlt. Wer Schirners Arbeitsweise kennt, wird die Metaphorik von »Bye Bye, WAR70« schnell verstehen. Seine großformatigen Werke erlangen dadurch Wiedererkennungswert, daß er aus historisch bedeutsamen Fotografien sinngebende Bildteile, häufig die Protagonisten entfernt. So verfremdete er bereits die Fotografien vom chinesischen Tank Man oder Cornell Capas bekanntes Foto »Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes«.
In dem der Ausstellung zugrunde liegenden Kontext wird jedoch klar, daß jener kurze Moment im Warschauer Ghetto und somit auch das Foto bereits fest im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Anders ist die Verwirrung nicht zu erklären, die eine simple Retusche stiften kann. Die Anwärterrolle Willy Brandts auf den Status als unantastbare Ikone deutscher Identität wäre somit zumindest für’s Erste gesichert.
Marc Bronner: Ohne Titel (Serie aus fünf Bildern), 2011Die Ausstellung »Deutsch« widmet sich jedoch nicht nur den politischen Ikonen, sondern sucht auch in der Alltagskultur nach Figuren und Tendenzen, die typisch deutsch sind. Beispielhaft hierfür steht Marc Bronners unbetitelte Serie aus fünf Bildern, in denen er sich deutschen Fernsehserien aus dem Abendprogramm widmet. Sie zeigt archetypische Szenen, die so rein und aufs Wesentliche destilliert sind, daß es schwer fällt, den Typos vom deutschen Wohnzimmerleben von dem auf der Mattscheibe zu trennen. Akkurat frisierte Anzugträger und wohnlich eingerichtete Kabinetts treffen auf babyblaue Plastiktelefone und geschmacklose Hornbrillen. Da fällt es schwer, die klobigen Design-Sünden der späten siebziger Jahre vom Charme der alten Tatort-Folgen zu unterscheiden.
Vermutlich, weil alles einerlei ist. Bronners realistische Gemälde zeigen nicht zuletzt wegen seines Interesses an den kleinen Details die Ästhetik jener Zeit auf, die sich im Fernsehen aufreinigt um neuerlich ein Vorbild für die Realität zu werden. Bei Bronner erreicht sie ihren größten Reinheitsgrad und durch die flächige Malweise seiner Bilder erscheint sie fast irreal und künstlich.
Albert Oehlen: Ohne Titel (Deutschland muß leben und wenn wir nicht sterben müssen. Deutschland muß leben und wenn wir sterben müssen.), 1985Die Suche nach einer nationalen Ikonographie, die im besten Sinne deutsch ist, ist auch mit »Deutsch« nicht abgeschlossen. Die zugrundeliegenden Einflüsse und Tendenzen sind zwar stets präsent, doch lässt sich kaum ein typisches Symbol Deutschlands ausmachen. Das wäre sicherlich auch zu viel verlangt und kann nicht im Sinne der Ausstellung stehen.
Ihr Verdienst ist es jedoch, mithilfe der Arbeiten dieser durchgängig namhaften Künstler auf wiederkehrende Motive hinzuweisen und eine Idee davon zu vermitteln, was die öffentliche Kultur der neueren deutschen Geschichte geprägt hat. Diese Gemeinsamkeiten wurden in »Deutsch« nicht nur zielsicher identifiziert, sondern auch beispielhaft vereint und gegenübergestellt. Der Zugang zu solch einem weiten Feld an Künstlern und Werken aus verschiedenen Zeiten ist sicherlich ein wichtiger Faktor für den didaktischen Erfolg der Ausstellung, nicht zuletzt ist aber auch der kuratorischen Leistung zu verdanken, daß diese Einzelpositionen in ein großes Ganzes aufgehen. Bei »Deutsch« handelt es sich um eine kuratierte Ausstellung im klassischen Sinne: Wenn der Besucher sich mit einem Gedanken von einem Werk abwendet, findet er es beim nächsten wieder aufgegriffen. So ist es auch leicht verständlich, daß die knapp vierzig Ausstellungsstücke in einem harmonischen Grundton widerhallen und am Ende des Besuchs eine fassbare Erkenntnis stehen bleibt: Eine typisch deutsche Ikonographie existiert nicht, wohl aber mehrere. In dieser kuratorischen Leistung ist auch der Grund zu sehen, warum »Deutsch« als beste Ausstellung des Berliner Kunstsommers gelten darf.
Andere Meinungen
[…] dieser Fragestellung läuft die aktuelle Ausstellung in der Galerie Crone in Berlin. Matthias von Castor und Pollux hat vorbeigeschaut, um sich selber auf die Suche nach den urdeutschen Wurzeln zu […]