»A story of deception« – Francis Alÿs im MoMA und MoMA PS 1
Bevor ich das Flugzeug nach New York bestieg, hatte ich keine großen Pläne für die Stadt. Die ein oder andere Ausstellung wollte ich besuchen, hier und dort ein wenig Zeit verbringen. Am meisten freute ich mich jedoch vermutlich auf die große Doppelausstellung »A story of deception«, die das Museum of Modern Art und sein Außenstandort, das MoMA PS 1, dem bisherigen Werk Francis Alÿs‹ widmeten. Der in Mexiko Stadt ansässige Belgier wird im brandaktuellen artfacts-Ranking auf Platz 40 der wichtigsten Künstler weltweit gehandelt, was angesichts seiner herausragenden Klasse nicht verwundern dürfte.
Alÿs ist für seine vielen Performances bekannt, in denen er unter Einsatz simpler poetischer und allegorischer Formensprache soziale und politische Themen anspricht, die häufig aus der mexikanischen Realität entspringen. Geprägt durch ein besonderes Bewusstsein für Zeitlichkeit in Form von seriellen oder zyklischen Rhythmen entfalten seine Arbeiten eine mal melancholische, mal komische Stimmung. Mal ist es der physische Kampf gegen Tornados oder gegen Straßenhunde, welcher Alÿs seine Grenzen aufzeigt; dann ist es wieder die Grenzpolitik Nordamerikas oder einfach das simple Gesetz der Physik, gegen die er kapitulieren muss. So ist sein Werk von einer fortwährenden Anstrengung gekennzeichnet, die sich wie ein roter Faden durch all seine Arbeiten zieht.
Im MoMA wird mit der Ausstellung »A story of deception«, welche sich aus der hauseigenen Sammlung speist, ein großer Teil des bisherigen Gesamtwerks gezeigt, der sich nicht nur die auf Video festgehaltenen Performances beschränkt, sondern auch eine Vielzahl Zeichnungen und Objekte unter einem Dach versammelt.
Still aus »Rehearsal I (Ensayo I)«, © Francis Alÿs, The Museum of Modern Art, New York.
Francis Alÿs hat eine besondere Beziehung zu seiner Wahlheimat Mexiko. Die meisten seiner Performances finden hier statt oder drehen sich um lokaleThemen, darunter auch die Situation der mexikanische Auswanderer auf dem Weg in die USA. Die Grenze beider Staaten wird bekanntlich engmaschig überwacht und ist deswegen kaum passierbar, was auch immer wieder in Alÿs‹ Arbeiten thematisiert wird. So fuhr er etwa 1997 in »The Loop« von Tijuana zur benachbarten Grenzstadt San Diego – eine Reise, die innerhalb von 35 Tagen einmal um den halben Globus führte und am Ende doch die Grenze überwand, die für die meisten Mexikaner so undurchdringbar ist.
In einer anderen Arbeit, »Rehearsal I (Ensayo I)« sieht man Alÿs in einem VW Käfer auf eine Düne zu fahren. Hinter ihr liegt die Grenze zu den USA, doch jeder Versuch sie zu erklimmen scheitert und so rollt das Auto mal um mal zurück. Der Käfer, das Volksauto der Mexikaner, wurde nicht ohne Bedacht gewählt und so wird auch hier schnell klar, welches Alÿs‹ Anliegen ist. Im Hintergrund spielt eine Mariachi-Kapelle ihre immer gleiche Strophe, das fast halbstündige Video überspielt das eigentlich ernste Sujet mit spitzer Komik. Es fällt schwer, Gedanken über den realen Alltag an der US-mexikanischen Grenzen zu fassen und so wird der Fahrer des VW zur tragikomischen Figur eines Don Quijote.
Still aus »Tornado«, © Francis Alÿs, The Museum of Modern Art, New York
Der aussichtslose, doch ausdauernde Kampf gegen höhere Mächte wird auch in »Tornado« gefochten. Als Teil einer Volkswagen-Schenkung ist das knapp 40-minütige Video in einem eigenen Saal des MoMA untergebracht und kann dort auf einer großen Leinwand und mit sattem Sound seine Wirkung entfalten. Das Ergebnis einer über zehnjährigen Werkgeschichte, während der Francis Alÿs hierfür die Hochebenen Mexikos aufsuchte, zeigt den Windmühlenkämpfer im Duell mit etlichen Wirbelstürmen. Nur mit einer Handkamera bewaffnet rennt der tollkühne Künstler immer wieder auf die Tornados zu, wird kurz von ihnen verschlungen und dann wieder freigegeben.
Das Video zieht den Betrachter sofort in den Bann: Die aus der Ferne so ruhig und hypnotisierend umherwirbelnden Sandstürme ziehen ihre Kreise durch die Sierra und je näher Alÿs ihnen kommt, je tiefer er atmet und je lauter keucht, desto bedrohlicher werden sie, ziehen den Staub unter den Füßen des Künstler hinweg und mit einem Mal, wenn er den entscheidenden Schritt in den Sturm gewagt hat, überdröhnt das Brausen des Tornados jegliche Wahrnehmung. Das Bild bricht für einen Moment ab, der Betrachter ist in seiner Ungewissheit über den Ausgang des waghalsigen Unternehmens gefangen; nur der unglaubliche Lärm versichert ihm, daß es noch nicht ausgestanden ist. Dann, ganz unvorhergesehen, ist es für einen Augenblick still – hat er das Auge des Sturms erreicht? Ist die Kamera zerschmettert worden? – und dann wird der Künstler und mit ihm der Betrachter auch schon wieder aus dem Sturm ausgespuckt. Das Abenteuer ist vorüber, nur das aufgeregte Keuchen des furchtlosen Alÿs bleibt.
Auch in »Tornado« überwiegt der Eindruck, Alÿs bürde sich eine aussichtslose Sisyphos-Arbeit auf. Jeder Versuch, den Tornado zu bezwingen, scheitert kläglich: Die Windhose speit den hochmütigen Künstler aus und zieht unbekümmert weiter. Doch Alÿs gibt nicht auf und versucht es immer wieder aufs Neue. Der Kampf gegen den Tornado wird zu einem ungleichen Duell zwischen Natur und Mensch, in der letzterer nur den Kürzeren ziehen kann. Alÿs kommt in »Tornado« schnell an seine Grenzen und muss seine Unbedeutsamkeit im Vergleich zur Naturkraft einsehen. Jedoch zieht er nicht etwa dasselbe Urteil daraus wie der Zuschauer: Statt vor der Übermacht der Natur zu kapitulieren, bleibt er bei seiner Sache und tritt somit auch dafür ein, seine Ideale und Absichten weiter zu verfolgen, gleich wie absurd oder aussichtslos sie scheinen mögen.
Eine weitere zentrale Arbeit Alÿs‹ ist im MoMA PS1 zu sehen: »El Gringo« führt das entschlossene Vorhaben aus »Rehearsal I (Ensayo I)« und »Tornado« fort, jedoch nimmt Alÿs es in diesem Falle mit Straßenhunden Hidalgos auf. Parallel zu »Tornado« beginnt die mittels Video dokumentierte Performance mit einem Teil der Annäherung, auf den die eigentliche Auseinandersetzung folgt, welche schließlich auch hier darin endet, daß der Künstler kapitulieren muss.
Ähnlich beklemmend und faszinierend zugleich wohnt auch in »El Gringo« der Betrachter dem Geschehen bei, dessen Spannung stetig zunimmt. Verhalten sich die Hunde zunächst eher zurückhaltend, gehen sie schon bald in die Offensive, beißen zu, zerren gar an dem Eindringling und reißen endlich die Kamera zu Boden. Es ist ein dramatisches Schauspiel, das darin endet, daß die Hunde sich um die Kamera versammeln und sie neugierig beschnüffeln.
»Duett«, © Francis Alÿs
Die Verbindung dieser Beispiele zu den restlichen Werken (bspw. »Mirage«, »When faith moves mountains«, »Paradox of Praxis I (Sometimes doing something leads to nothing)« oder »Duett«) ist zwar offensichtlich –: der zyklische, aus einer seriellen Anordnung immer gleicher Aktionselemente hervorgehende und sich aus dieser scheinbaren Monotonie erhebende, dadurch an Mystik gewinnende Charakter all dieser Performances –, doch heben sich die genannten Arbeiten deutlich vom Rest ab. Erstens ist es stets der aussichtslose Kampf eines Einzelnen gegen teils übermächtige Kräfte. Zweitens fallen die obigen Arbeiten im Gegensatz zu den meisten anderen im MoMA und im MoMA PS1 ausgestellten Werken Francis Alÿs‹ durch einen Perspektivwechsel auf, der den Künstler aus dem Fokus des Kunstwerks rückt. Alÿs nimmt den Betrachter in die Pflicht und führt ihn an gemeinsame Grenzen.
Dem auszufechten Kampf eines modernen Don Quijotes vermag der Zuschauer nichts entgegenzusetzen, er kommt nicht umhin, in der Situation, in der sich mit einem Mal wiederfindet, die aufgedrängten Rolle des wagemutigen Windmühlenkämpfers anzunehmen und durchzustehen. Selbst wenn er das Vorhaben Alÿs in Zweifel zieht, kann er ihm doch nicht entkommen und ist wenigstens so lange an ihn gebunden, wie er nicht aufsteht und den Raum verlässt. Aber auch dann, wenn die Gefahr ausgestanden zu sein scheint, wird er aufs Neue überrascht und sieht sich erneut in derselben misslichen Lage. Dies trifft freilich weniger auf »Rehearsal I (Ensayo I)« denn auf die anderen beiden Beispiele zu, ist doch aber im Kern auch dort vorhanden, obgleich es dank der komischen Stimmung einfacher ist, sich von der Situation zu distanzieren.
Wer jedoch den Blick von der Videodokumentation ab- und sich den umfangreichen weiteren Materialien – Skizzen, Pläne, Zeichnungen, Beschreibungen etc. – zuwendet, die jede der ausgestellten Arbeiten Alÿs‹ begleiten, wird erkennen, daß auch die Videos nur Teile übergeordneter Projekte sind, die sich weit über die eigentliche Ausführung erheben. Plan und Durchführung sind nur zwei Facetten einer weiterreichenden Idee und so fällt es letztlich schwer, den Werkcharakter eindeutig in seiner manifesten oder in seiner gedachten Form festzuhalten. Angesichts all dieser Andeutungen bleibt unsicher, ob das Gesehene überhaupt von Bedeutung oder gar real ist. Doch dieser Authentizitätsverlust – und darin besteht die meisterliche Leistung hinter diesen Arbeiten – führt nicht etwa wie sonst so häufig zu Ablehnung und Abkehr vom Kunstwerk, ganz im Gegenteil, sie beschwört erst den Mythos herauf, der es wie eine dichte Aura umgibt.
Francis Alÿs geht also zweierlei Täuschungen: Nicht nur, daß er als Protagonist einer Performance auftritt, die eigentlich durch den Betrachter allein getragen werden muss; er lässt uns auch noch darüber im Unklaren, ob all das real oder nur erdacht ist. Am Ende ist die Ausstellung im MoMA und MoMA PS1 also genau das, was es eigentlich von Anfang an versprach: A story of deception.