Als das KW Institute for Contemporary Art vor einigen Wochen die heute eröffnete Einzelausstellung Cyprien Gaillards ankündigte, schlug mein Herz ein wenig höher. Ich muß an dieser Stelle zugeben, daß mir die Arbeiten des jungen Franzosen schon früh ins Auge stachen und seitdem immer wieder begeisterten. Und auch dieses Mal sollte ich nicht enttäuscht werden.
Gaillard bespielt nämlich bis Mitte Mai die Halle des ehrwürdigen Hauses in der Auguststraße mit einer Skulptur, die in ihrer Einfachheit wie auch ihrer Metaphorik nicht ohne den gewohnt markigen, zuweilen humorvollen Unterton auftrumpft: 72.000 Flaschen Bier wurden kistenweise zu einer Pyramide aufgestapelt, die von den Besuchern erklommen und – einmal eingenommen – auch gleich zur Erfrischung abgetragen werden darf.
Daß der Künstler dabei eine Parallele zu dem nur wenige hundert Meter entfernt stehenden Pergmonaltar, dem Prunkstück der Berliner archäologischen Sammlung, zieht, ist so offensichtlich wie sinngebend für die Installation »The recovery of discovery« und dürfte für einige Gedankenanstöße sorgen.
»The recovery of discovery«, © Cyprien Gaillard
Cyprien Gaillard gehört zu den Shooting-Stars der Berliner Kunstszene: Gerade einmal dreißig Jahre alt, rangiert er bereits seit längerer Zeit unter den ersten Plätzen der Berliner Rangliste. Der Franzose ist bekannt für seinen investigativen Ansatz und geschätzt für die vielschichtige Tiefgründigkeit seiner Arbeiten, in denen er sich mit architektonischen Zuständen und Transitionen zwischen Aufbau und Zerstörung, Verfall und Rekonstruktion beschäftigt. In den letzten Jahren entstanden Arbeiten, bei denen er etwa lange vergessen geglaubte Nazi-Bunker aus den niederländischen Nordseedünen ausgraben ließ (»Dunepark«), längst verfallene urbane Utopien untersucht (»Desniansky Raion«) oder beispielweise den Vergleich zwischen zunächst unterschiedlich scheinenden Architekturdenkmälern aus allen Epochen und Kontinenten zieht (»Geographical Analogies«).
An dieser Stelle könnten noch einige weitere Beispiele Gaillards Schaffen folgen, doch bereits jetzt wird die rote Linie deutlich, die sich so klar durch seine Arbeiten zieht wie bei kaum einem Zweiten. Auch in »The recovery of discovery« ist der unverfälschliche Stil Gaillards erkennbar, wenn auch auf eine ungewöhnliche, weil vornehmlich referenzielle Art und Weise. Entgegen den meisten seiner Werke taucht Architektur in erster Linie als Metapher auf: Die Bierpyramide stellt gewissermaßen ein Bauwerk dar, wenn auch viel mehr in Anlehnung an den berühmten Pergamonaltar.
Die 72.000 Flaschen Bier der türkischen Marke »Efes« wurden eigens für die Ausstellung im KW Institute nach Berlin geschafft; ebenso wie die vielen Einzelteile des 1879 an die Spree verfrachteten Pergamonaltars, der zuvor jahrtausendelang nicht unweit der Heimatstadt der Efes-Brauerei – Ephesos – gestanden hat. Wie viele nach Europa verbrachte archäologischen Schätze ist auch der Pergamonaltar Gegenstand langer Streitereien zwischen den beteiligten Staaten, von kolonialhegemonialem Kulturraub und Zerstörung eines Kulturdenkmals war lange Zeit die Rede.
»The recovery of discovery«, © Cyprien Gaillard
Dies wird auch in »The recovery of discovery« deutlich: Die aus der Türkei importierten Bierkisten werden zunächst in ihrer Aufbereitung und Beleuchtung im Saal als (Kultur-)Monument inszeniert, zudem als in sich geschlossenes, vollkommenes Stück Architektur dargestellt. Dem Aufruf folgend, die Bierpyramide zu erklimmen und nach Belieben von der (kulturellen) Qualität des exotisierten Getränks zu kosten, zersetzen jedoch genau diejenigen das Monument, die gekommen sind, weil sie sich für sein Wesen und seine Exotik interessieren.
An den Wänden des Ausstellungsraumes stehen leere Bierflaschen aufgereiht, man liest:
»Das Betreten der Skulptur erfolgt auf eigene Gefahr. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die Tragfähigkeit der Bierkisten mit Gebrauch abnimmt.«
Die Besucher nehmen die Skulptur ein und indem sie das tun, deuten sie sie bereits um, kehren den Genuss des Bieres und seine kulturelle Bedeutung um, machen sich diese zu Eigen und treiben dadurch neben der physischen die ideelle Zerstörung derselben voran. Die Herkunft des Efes Pilsener als Träger seiner Identität spielt schnell keine Rolle mehr. Beim Betreten des Saales setzt sich der Besucher noch mit diesem Aspekt auseinander, sobald er aber mit der Bierflasche in der Hand auf den Stufen der Pyramide sitzt, rückt dies schnell in den Hintergrund: Sowohl das Bauwerk als auch das Getränk verlieren ihre Identität, sie sind nun nicht mehr als genau das: bloßes Bauwerk und Getränk.
»The recovery of discovery«, © Cyprien Gaillard
Cyprien Gaillard gelingt mit »The recovery of discovery« ein beispielhafter Fingerzeig auf Kulturkolonialismus und den Verfall ihrer Umgebung beraubter Kulturgüter. Ebenso wie der Pergamonaltar nach seinem Ab- und Wiederaufbau in Berlin den Instrumentalisierungen monarchistischer, nationalsozialistischer und kommunistischer und neu-republikanischer Interessengruppen herhalten musste und dabei bereits mit dem Abtransport nach Deutschland seine Identität einbüßte, stellt auch Gaillards Bierpyramide ein Beispiel der kulturellen Umdeutung dar. In beiden Fällen war es bezeichnenderweise zunächst ein konservatorisches Anliegen, daß die Verfrachtung in eine geschützte Umgebung aus Beton und Glas nach sich zog. Dennoch ist es gerade die physische Erhaltung des Monuments, die – wie Gaillard lehrt – seine ideelle Zerstörung bedingt.
Ganz nebenbei ist »The recovery of discovery« auch eine sarkastische Darstellung der Vernissagenkultur. Wie auf jeder anderen größeren Ausstellungseröffnung auch dominiert nur ein Gedanke: Eigentlich geht es gar nicht um die Kunst, sondern nur um eines: Freibier genießen und einfach nur anwesend sein.
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