Nick Mauss: Untitled (detail). courtesy The Museum of Modern Art, NY. The Judith Rothschild Foundation Contemporary Drawings Collection Gift © 2011 Nick Mauss
»Wir leben von der Hand in den Mund,« gesteht Gereon Sieverich, Direktor des Martin-Gropius-Bau, als er erklärt, wie sein Haus es geschafft habe, mit der heute beginnenden Ausstellung »Kompass« ein kleines Juwel an die Spree zu holen. Darin zu sehen sind nämlich mehr als 250 Zeichnungen aus der zehn Mal so großen Sammlung der Judith-Rothschild-Foundation, die vor sechs Jahren als Schenkung an das Museum of Modern Art in New York ging. Die Schau, die zunächst in den berühmten Hallen an der 5th Avenue und auch in Valencia gastierte, ist nun auf ihrer letzten Station in Berlin angelangt. Dies sei nicht nur der exzellenten Partnerschaft mit dem MoMA zu verdanken, sondern auch, so erklärt Sieverich beiläufig, den Einnahmen aus der überaus erfolgreichen Frida-Retrospektive im vergangenen Jahr und – man merkt ihm die Erleichterung an – der neuen Klimaanlage im zweiten Obergeschoss, wo »Kompass« bis Ende Mai zu sehen sein wird.
Zeichnungen – so weiß man hier – sind keineswegs nur Bleistiftarbeiten; Kurator Christian Rattemeyer und Harvey Miller, Vorsitzender der Judith-Rothschild-Foundation, betonen, stattdessen darunter alle Arbeiten auf Papier zu subsumieren. Mit dieser mitunter ungewohnten Begriffsbildung im Hinterkopf kann der Besucher ab heute ein »Panorama der Zeichnung« entdecken, für die Werke namhafter Größen wie Cy Twombly, Donald Judd, Robert Rauschenberg, Jasper Johns sowie vieler anderer Mitglieder der internationalen Kunstelite aber auch einiger weniger bis teils eher unbekannten Künstler zusammen getragen wurden.
Franz West: Im milchweißem Bade. courtesy The Museum of Modern Art, NY. The Judith Rothschild Foundation Contemporary Drawings Collection Gift © 2011 Franz West
Der Schwerpunkt liegt auf Kunsthotspots dies- und jenseits des Atlantiks: Los Angeles und New York in der neuen Welt, sowie London, Glasgow, das Rheinland und Berlin auf der europäischen Seite. Nach Rattemeyers kuratorischem Ansatz soll so die gegenseitige künstlerische Beeinflussung und Befruchtung herausgearbeitet werden, die zwischen den künstlerischen Ikonen dieser Städte bestanden habe. Insbesondere aus der Spreemetropole, die Miller als Kunsthauptstadt Europas bezeichnete, sind einige Künstler vertreten; überhaupt trifft man viele deutsche Größen an: Baselitz und Beuys, Genzken und Immendorff sind nur die schillerndsten Beispiele.
Dabei behält »Kompass« keineswegs nur gewohnte kunsthistorische Sichtweisen ein. Durch den weiteren Schwerpunkt auf die letzten zwanzig Jahre und eine Handvoll junger, im Vergleich zu den ebenfalls ausgestellten Altmeistern des 20. Jahrhunderts eher unbekannter Künstler erscheint die Ausstellung erstaunlich frisch. Ferner verstünde sich »Kompass«, so die Macher der Schau, nicht etwa als Enzyklopädie der Zeichnung, sondern will ein »Panorama« sein, das eine klare Linie herausarbeiten, aber auch den Blick nach rechts und links behalten will. Die Grundtendenzen Figuration, Collage und Assemblage sowie minimalistische Abstraktion ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung und erlauben es, das so vielfältige Medium Papier greifbar zu machen.
»Kompass« wird sicherlich von dem MoMA-Hype profitieren, der seit der großen Gastausstellung vor sieben Jahren noch immer nachwirkt. Damit wird auch offen umgegangen, doch ist fraglich, ob v.a. das junge Publikum, das Sieverich besonders ansprechen möchte, erneut für lange Schlangen sorgen wird. Die Schau hätte es wegen ihrer künstlerischen Qualität allemal verdient. Dennoch, bezüglich Fragen zu Besucherzahlen halten sich die Macher der Ausstellung lieber bedeckt – das war jedenfalls die klare Ansage noch vor Beginn der Pressekonferenz.
Boerg Vogt und Michał Samolenko waren mit mir gestern zu Besuch im Martin-Gropius-Bau und haben für Castor und Pollux ein Interview mit Christian Rattemayer geführt – Anfang der kommenden Woche folgt das Video dazu!
Danke Euch für den gut recherchierten und interviewten Beitrag. Man spürt die Liebe dazu. Eva
Vielen Dank!
Dafür schaue ich mich immer gern vor Ort um oder höre mir an, was die Macher zu sagen haben. Meist lohnt sich der (zeitliche) Aufwand am Ende auch – etwa in Form solcher Beiträge. 🙂