Berliner Kunsttendenzen

19. Februar 2011 von Matthias Planitzer
"The revenge of the model/Still waiting for brighter days", © Iris Touliatou Die Ankündigung ließ eine trotzige Antwort auf die jüngste Kunsthallen-Debatte vermuten, die ja bekanntlich derzeit die Berliner Kulturszene spaltet: Für die Ausstellung "Metrospective 1.0" wurden mehr als siebzig junge Berliner Künstler eingeladen, die Räume der Program Gallery zu bespielen. Dadurch sollte eine Übersicht über aktuelle Tendenzen und Positionen der Berliner Kunstlandschaft entstehen, aber auch reger Austausch ermöglicht werden. Eine eigene "Leistungsschau" als Gegenentwurf zu Wowereits Kunsthallenplänen? Weit gefehlt – "Metrospective 1.0" entstand als spontane Schnapsidee. Kurzerhand wurden befreundete Künstlerkollegen angefragt, andere per Ausschreibung für die Ausstellung gewonnen. Die Teilnehmer hatten drei Tage Zeit, ihre Arbeiten im Ausstellungsraum aufzubauen, dann war auch schon alles fertig. Passend dazu gestaltete sich auch die gestrige Vernissage, die ungeahnte Besucherströme anzog. Die Stimmung war für eine Eröffnung ungewohnt angeregt; jeder war damit beschäftigt, neue Kontakte zu knüpfen. So war es zwar kaum möglich, sich eingehend auf die präsentierten Werke zu konzentrieren, doch konnte ich eine Handvoll interessanter Künstler ausmachen, die es weiter zu verfolgen lohnt.

Iris Touliatou: The revenge of the model/Still waiting for brighter days»The reven­ge of the model/Still wai­ting for brigh­ter days«, © Iris Touli­a­tou

Die Ankün­di­gung ließ eine trot­zi­ge Ant­wort auf die jüngs­te Kunst­hal­len-Debat­te ver­mu­ten, die ja bekannt­lich der­zeit die Ber­li­ner Kul­tur­sze­ne spal­tet: Für die Aus­stel­lung »Metro­s­pec­ti­ve 1.0« wur­den mehr als sieb­zig jun­ge Ber­li­ner Künst­ler ein­ge­la­den, die Räu­me der Pro­gram Gal­lery zu bespie­len. Dadurch soll­te eine Über­sicht über aktu­el­le Ten­den­zen und Posi­tio­nen der Ber­li­ner Kunst­land­schaft ent­ste­hen, aber auch reger Aus­tausch ermög­licht wer­den. Eine eige­ne »Leis­tungs­schau« als Gegen­ent­wurf zu Wowe­reits Kunsthallenplänen?

Weit gefehlt – »Metro­s­pec­ti­ve 1.0« ent­stand als spon­ta­ne Schnaps­idee. Kur­zer­hand wur­den befreun­de­te Künst­ler­kol­le­gen ange­fragt, ande­re per Aus­schrei­bung für die Aus­stel­lung gewon­nen. Die Teil­neh­mer hat­ten drei Tage Zeit, ihre Arbei­ten im Aus­stel­lungs­raum auf­zu­bau­en, dann war auch schon alles fer­tig. Pas­send dazu gestal­te­te sich auch die gest­ri­ge Ver­nis­sa­ge, die unge­ahn­te Besu­cher­strö­me anzog. Die Stim­mung war für eine Eröff­nung unge­wohnt ange­regt; jeder war damit beschäf­tigt, neue Kon­tak­te zu knüp­fen. So war es zwar kaum mög­lich, sich ein­ge­hend auf die prä­sen­tier­ten Wer­ke zu kon­zen­trie­ren, doch konn­te ich eine Hand­voll inter­es­san­ter Künst­ler aus­ma­chen, die es wei­ter zu ver­fol­gen lohnt.

Iris Touliatou: The revenge of the model/Still waiting for brighter days»The reven­ge of the model/Still wai­ting for brigh­ter days«, © Iris Touli­a­tou

Zunächst wur­de mein Inter­es­se auf sechs Col­la­gen auf dem Gale­rien­bo­den gelenkt, die dort anein­an­der­ge­lehnt ste­hend kaum Beach­tung durch die vie­len Besu­cher fan­den. Tat­säch­lich wur­den sie immer wie­der von unacht­sa­men Leu­ten umge­sto­ßen, was jedoch der Künst­le­rin nichts aus­zu­ma­chen schien. Iris Touli­a­tou nahm es mit Humor und stell­te die Bil­der wie­der auf. Dabei hät­ten die Arbei­ten eine wür­di­ge­re Behand­lung ver­dient gehabt, schließ­lich hät­ten sie sicher­lich viel Gefal­len gefunden.

In der Serie »The reven­ge of the model/Still wai­ting for brigh­ter days« ent­wirft Touli­a­tou unge­ahn­te Wel­ten, Hybri­den aus bestehen­den Land­schaf­ten und Räu­men, wenn sie Foto­aus­schnit­te sorg­sam aus­wählt und neu arran­giert. Dabei ver­bin­det sie geo­me­tri­sche Stren­ge mit einem star­ken Inter­es­se an Per­spek­ti­ve, erschafft neue Dimen­sio­nen oder blen­det Raum aus. Im obi­gen Bei­spiel etwa gelingt ihr die Annä­he­rung der gegen­sätz­li­chen Bild­ele­men­te der Land­schaft und des Him­mels, wenn sie sie inein­an­der ver­schränkt und so Gren­zen ver­schwim­men lässt.

Aller­dings erscheint die col­la­gier­te Per­spek­ti­ve ein wenig holp­rig, frag­men­ta­risch in jeder Hin­sicht. Die auf­ge­brach­ten Foto­aus­schnit­te fügen sich nicht pass­ge­recht in das Bild ein, hier und da blei­ben Lücken. Ele­men­te wer­den zunächst defi­niert um dann in die Irre zu füh­ren, Bild­ach­sen wer­den zu Sack­gas­sen. Das ursprüng­lich ein­ge­hal­te­ne Ver­spre­chen einer erwei­ter­ten Per­spek­ti­ve wird nicht ein­ge­hal­ten, das Bild bleibt vage, unsicher.

Iris Touliatou: The revenge of the model/Still waiting for brighter days»The reven­ge of the model/Still wai­ting for brigh­ter days«, © Iris Touli­a­tou

Doch genau dar­in liegt die Stär­ke der Arbeit. Touli­a­tou ver­sucht sich eben nicht in einem kubis­ti­schen und damit für heu­ti­ge Belan­ge anti­quier­tem Ansatz. Obgleich ich mich zunächst an Fran­cis­co Infan­te-Ara­nas Spie­gel­se­rie und etwas weni­ger an Anish Kapo­ors »Sky mir­ror« erin­nert fühl­te, ist das ers­te Bei­spiel davon weit ent­fernt. Dar­in wird nicht nur durch blo­ße Mul­ti­pli­ka­ti­on eine neue Welt erschaf­fen, Touli­a­tou setzt ihr auch ihre Zer­brech­lich­keit und Unbe­stimmt­heit ent­ge­gen und ver­mag so eine unter­schwel­li­ge Span­nung aufzubauen.

Die ande­ren aus­ge­stell­ten Wer­ke der Serie »The reven­ge of the model/Still wai­ting for brigh­ter days« kön­nen die­se Stim­mung nicht erzeu­gen, was aller­dings auch nicht beab­sich­tigt sein dürf­te. Dar­in wird statt­des­sen ein beson­de­rer Akzent auf die geo­me­tri­sche Kom­po­si­ti­on gelegt. Wie die Rei­he zeigt, wer­den mal wei­ße Bal­ken, mal wie­der­keh­ren­de Bild­aus­schnit­te so in das bestehen­de Bild ein­ge­fügt, daß der Raum­cha­rak­ter neu inter­pre­tiert oder gar umge­formt wird. Ihr per­spek­ti­vi­sches Inter­es­se, das auch schon in frü­he­ren Wer­ken Gegen­stand ihrer Betrach­tun­gen war, kann sich hier so klar aus­drü­cken wie in kaum einer ihrer Arbei­ten zuvor.

Anton Burdakov: FRAMED»FRAMED«, © Anton Burd­a­kov

Eine wei­te­re her­aus­ste­chen­de Ent­de­ckung in »Metro­s­pec­ti­ve 1.0« ist Anton Burd­a­kovs »FRAMED«. Der Künst­ler war bereits mit der letz­ten Aus­stel­lung »Built on pro­mi­ses« in der Pro­gram Gal­lery zu Gast und ist nun mit einer sehr schlich­ten, for­mal aber sehr inter­es­san­ten Arbeit ver­tre­ten. »FRAMED« ist nicht mehr als eine dün­ne Holz­plat­te, die durch ein kreis­run­des Loch den Blick auf ihre eige­ne Auf­hän­gung frei gibt. Mit »Wai­ting for the ans­wer« erstell­te er in die­sem Jahr bereits eine etwas has­ti­ger kon­fi­gu­rier­te Papp­ver­si­on und stellt nun die höl­zer­ne Vari­an­te in kla­re­ren Umris­sen vor.

Was macht ein Bild aus? Was ist Rah­men­werk? Burd­a­kov kommt in »FRAMED« schnell auf den Punkt: Er stellt den Rah­men selbst in den Mit­tel­punkt des Inter­es­ses, gibt mit­tels sei­ner Kom­po­nen­ten eine Defi­ni­ti­on wie­der und löst ihn letzt­lich vom ver­bild­lich­ten Inhalt los. Die­ser simp­le Sach­ver­halt gibt wei­te­ren Über­le­gun­gen Raum: Inwie­fern wird ein Bild durch den ihn umge­be­nen Rah­men defi­niert, sei­ne For­men durch­de­kli­niert? Durch­aus meta­pho­risch gedacht soll das auch hei­ßen: Wel­che Rah­men­be­din­gun­gen sind nötig, um ein Bild, ein Kunst­werk im All­ge­mei­nen als sol­ches kennt­lich zu machen und es vom Pro­fa­nen, vom All­tags­ge­gen­stand zu unterscheiden?

»FRAMED« gibt dar­auf kei­ne direk­te Ant­wort. Muss es auch nicht. Den­noch kann es zur Fra­ge sei­ner Iden­ti­tät das so ent­stan­de­ne Para­dox »Kunst oder Rah­men­werk?« ele­gant zuguns­ten des ers­te­ren auf­lö­sen. Burd­a­kov erteilt damit einen kur­zen Fin­ger­zeig auf ein mit­un­ter zu wenig beach­te­tes The­ma, das jedoch in Zei­ten der post­mo­der­nen ästhe­ti­schen Ver­wir­rung an Bedeu­tung gewon­nen hat. Was jedoch die Ent­wick­lung des jun­gen Künst­lers angeht, ist in »FRAMED« bereits ein beacht­li­cher Schritt der Prä­zi­sie­rung gegen­über der ohne­hin beacht­li­chen Arbeit »Shel­ter« zu erken­nen. Ohne Fra­ge bleibt Anton Burd­a­kov ein jun­ger Künst­ler, des­sen Weg man wei­ter ver­fol­gen sollte.

Barbara K. Prokop: Hitting granite»Hit­ting gra­ni­te«, © Bar­ba­ra K. Prokop

Die gemein­sa­me Aus­stel­lung der Pro­gram und der Future Gal­lery hat­te jedoch noch mehr zu bie­ten. Da gab es etwa das nüch­ter­ne Zeug­nis des ver­geb­li­chen Ver­suchs, mit einer Axt auf (MDF-)Granit ein­zu­schla­gen; die im Gan­zen recht melan­cho­li­sche Arbeit »Hit­ting gra­ni­te« Bar­ba­ra Prokops mit der Mög­lich­keit weit­rei­chen­der meta­pho­ri­sche Auf­la­dun­gen. Alex Aurie­ma hin­ter­fragt dage­gen mit »Eco­no­my of dis­so­nan­ce« Iden­ti­tät und Pro­du­zier­bar­keit der­sel­ben, wenn 16 Desi­gner­ta­schen unter­schied­li­cher Grö­ße als plum­pe Fäl­schun­gen – oder gera­de nicht – aus­ge­ge­ben wer­den. Iden­ti­tät spielt aber auch bei Aga­the Fleu­ry eine tra­gen­de Rol­le, die mit »L’echo (200 francs)« zwei Hun­dert-Francs-Schei­ne inein­an­der ver­wo­ben hat und doch nur eine Bank­no­te erhält.

Im All­ge­mei­nen war der sti­lis­ti­sche Tenor der aus­ge­stell­ten Arbei­ten ein eher ruhi­ger, zurück­hal­ten­der und auf for­ma­le Aspek­te bedach­ter. Inso­fern also kei­ne Über­ra­schung, wenn auch ein­zel­ne Künst­ler wie Saskia Hahn mit ener­ge­ti­sche­ren Wer­ken aus der Men­ge her­vor­ste­chen konn­ten (was in ihrem Fal­le auch sehr authen­tisch ausfiel).

Unterm Strich gelingt »Metro­s­pec­ti­ve 1.0« genau das, was in der Ankün­di­gung ver­spro­chen wur­de. Der Blick ist auf die aktu­el­len Ten­den­zen in der sonst so unüber­sicht­li­chen Ber­li­ner Kunst­land­schaft gerich­tet, die Aus­stel­lung lädt zudem dazu ein, die exem­pla­ri­schen Werk­bei­spie­le der Künst­ler zum Anlass zu neh­men, neue Posi­tio­nen zu ent­de­cken und zuvor unbe­kann­te Künst­lern ken­nen­zu­ler­nen. Wer sich also gern von der noch bis zum fünf­ten März dau­ern­den Schau über­ra­schen las­sen möch­te, dem sei ein Besuch, am bes­ten zu zweit oder zu dritt, empfohlen!