»The revenge of the model/Still waiting for brighter days«, © Iris Touliatou
Die Ankündigung ließ eine trotzige Antwort auf die jüngste Kunsthallen-Debatte vermuten, die ja bekanntlich derzeit die Berliner Kulturszene spaltet: Für die Ausstellung »Metrospective 1.0« wurden mehr als siebzig junge Berliner Künstler eingeladen, die Räume der Program Gallery zu bespielen. Dadurch sollte eine Übersicht über aktuelle Tendenzen und Positionen der Berliner Kunstlandschaft entstehen, aber auch reger Austausch ermöglicht werden. Eine eigene »Leistungsschau« als Gegenentwurf zu Wowereits Kunsthallenplänen?
Weit gefehlt – »Metrospective 1.0« entstand als spontane Schnapsidee. Kurzerhand wurden befreundete Künstlerkollegen angefragt, andere per Ausschreibung für die Ausstellung gewonnen. Die Teilnehmer hatten drei Tage Zeit, ihre Arbeiten im Ausstellungsraum aufzubauen, dann war auch schon alles fertig. Passend dazu gestaltete sich auch die gestrige Vernissage, die ungeahnte Besucherströme anzog. Die Stimmung war für eine Eröffnung ungewohnt angeregt; jeder war damit beschäftigt, neue Kontakte zu knüpfen. So war es zwar kaum möglich, sich eingehend auf die präsentierten Werke zu konzentrieren, doch konnte ich eine Handvoll interessanter Künstler ausmachen, die es weiter zu verfolgen lohnt.
»The revenge of the model/Still waiting for brighter days«, © Iris Touliatou
Zunächst wurde mein Interesse auf sechs Collagen auf dem Galerienboden gelenkt, die dort aneinandergelehnt stehend kaum Beachtung durch die vielen Besucher fanden. Tatsächlich wurden sie immer wieder von unachtsamen Leuten umgestoßen, was jedoch der Künstlerin nichts auszumachen schien. Iris Touliatou nahm es mit Humor und stellte die Bilder wieder auf. Dabei hätten die Arbeiten eine würdigere Behandlung verdient gehabt, schließlich hätten sie sicherlich viel Gefallen gefunden.
In der Serie »The revenge of the model/Still waiting for brighter days« entwirft Touliatou ungeahnte Welten, Hybriden aus bestehenden Landschaften und Räumen, wenn sie Fotoausschnitte sorgsam auswählt und neu arrangiert. Dabei verbindet sie geometrische Strenge mit einem starken Interesse an Perspektive, erschafft neue Dimensionen oder blendet Raum aus. Im obigen Beispiel etwa gelingt ihr die Annäherung der gegensätzlichen Bildelemente der Landschaft und des Himmels, wenn sie sie ineinander verschränkt und so Grenzen verschwimmen lässt.
Allerdings erscheint die collagierte Perspektive ein wenig holprig, fragmentarisch in jeder Hinsicht. Die aufgebrachten Fotoausschnitte fügen sich nicht passgerecht in das Bild ein, hier und da bleiben Lücken. Elemente werden zunächst definiert um dann in die Irre zu führen, Bildachsen werden zu Sackgassen. Das ursprünglich eingehaltene Versprechen einer erweiterten Perspektive wird nicht eingehalten, das Bild bleibt vage, unsicher.
»The revenge of the model/Still waiting for brighter days«, © Iris Touliatou
Doch genau darin liegt die Stärke der Arbeit. Touliatou versucht sich eben nicht in einem kubistischen und damit für heutige Belange antiquiertem Ansatz. Obgleich ich mich zunächst an Francisco Infante-Aranas Spiegelserie und etwas weniger an Anish Kapoors »Sky mirror« erinnert fühlte, ist das erste Beispiel davon weit entfernt. Darin wird nicht nur durch bloße Multiplikation eine neue Welt erschaffen, Touliatou setzt ihr auch ihre Zerbrechlichkeit und Unbestimmtheit entgegen und vermag so eine unterschwellige Spannung aufzubauen.
Die anderen ausgestellten Werke der Serie »The revenge of the model/Still waiting for brighter days« können diese Stimmung nicht erzeugen, was allerdings auch nicht beabsichtigt sein dürfte. Darin wird stattdessen ein besonderer Akzent auf die geometrische Komposition gelegt. Wie die Reihe zeigt, werden mal weiße Balken, mal wiederkehrende Bildausschnitte so in das bestehende Bild eingefügt, daß der Raumcharakter neu interpretiert oder gar umgeformt wird. Ihr perspektivisches Interesse, das auch schon in früheren Werken Gegenstand ihrer Betrachtungen war, kann sich hier so klar ausdrücken wie in kaum einer ihrer Arbeiten zuvor.
»FRAMED«, © Anton Burdakov
Eine weitere herausstechende Entdeckung in »Metrospective 1.0« ist Anton Burdakovs »FRAMED«. Der Künstler war bereits mit der letzten Ausstellung »Built on promises« in der Program Gallery zu Gast und ist nun mit einer sehr schlichten, formal aber sehr interessanten Arbeit vertreten. »FRAMED« ist nicht mehr als eine dünne Holzplatte, die durch ein kreisrundes Loch den Blick auf ihre eigene Aufhängung frei gibt. Mit »Waiting for the answer« erstellte er in diesem Jahr bereits eine etwas hastiger konfigurierte Pappversion und stellt nun die hölzerne Variante in klareren Umrissen vor.
Was macht ein Bild aus? Was ist Rahmenwerk? Burdakov kommt in »FRAMED« schnell auf den Punkt: Er stellt den Rahmen selbst in den Mittelpunkt des Interesses, gibt mittels seiner Komponenten eine Definition wieder und löst ihn letztlich vom verbildlichten Inhalt los. Dieser simple Sachverhalt gibt weiteren Überlegungen Raum: Inwiefern wird ein Bild durch den ihn umgebenen Rahmen definiert, seine Formen durchdekliniert? Durchaus metaphorisch gedacht soll das auch heißen: Welche Rahmenbedingungen sind nötig, um ein Bild, ein Kunstwerk im Allgemeinen als solches kenntlich zu machen und es vom Profanen, vom Alltagsgegenstand zu unterscheiden?
»FRAMED« gibt darauf keine direkte Antwort. Muss es auch nicht. Dennoch kann es zur Frage seiner Identität das so entstandene Paradox »Kunst oder Rahmenwerk?« elegant zugunsten des ersteren auflösen. Burdakov erteilt damit einen kurzen Fingerzeig auf ein mitunter zu wenig beachtetes Thema, das jedoch in Zeiten der postmodernen ästhetischen Verwirrung an Bedeutung gewonnen hat. Was jedoch die Entwicklung des jungen Künstlers angeht, ist in »FRAMED« bereits ein beachtlicher Schritt der Präzisierung gegenüber der ohnehin beachtlichen Arbeit »Shelter« zu erkennen. Ohne Frage bleibt Anton Burdakov ein junger Künstler, dessen Weg man weiter verfolgen sollte.
»Hitting granite«, © Barbara K. Prokop
Die gemeinsame Ausstellung der Program und der Future Gallery hatte jedoch noch mehr zu bieten. Da gab es etwa das nüchterne Zeugnis des vergeblichen Versuchs, mit einer Axt auf (MDF-)Granit einzuschlagen; die im Ganzen recht melancholische Arbeit »Hitting granite« Barbara Prokops mit der Möglichkeit weitreichender metaphorische Aufladungen. Alex Auriema hinterfragt dagegen mit »Economy of dissonance« Identität und Produzierbarkeit derselben, wenn 16 Designertaschen unterschiedlicher Größe als plumpe Fälschungen – oder gerade nicht – ausgegeben werden. Identität spielt aber auch bei Agathe Fleury eine tragende Rolle, die mit »L’echo (200 francs)« zwei Hundert-Francs-Scheine ineinander verwoben hat und doch nur eine Banknote erhält.
Im Allgemeinen war der stilistische Tenor der ausgestellten Arbeiten ein eher ruhiger, zurückhaltender und auf formale Aspekte bedachter. Insofern also keine Überraschung, wenn auch einzelne Künstler wie Saskia Hahn mit energetischeren Werken aus der Menge hervorstechen konnten (was in ihrem Falle auch sehr authentisch ausfiel).
Unterm Strich gelingt »Metrospective 1.0« genau das, was in der Ankündigung versprochen wurde. Der Blick ist auf die aktuellen Tendenzen in der sonst so unübersichtlichen Berliner Kunstlandschaft gerichtet, die Ausstellung lädt zudem dazu ein, die exemplarischen Werkbeispiele der Künstler zum Anlass zu nehmen, neue Positionen zu entdecken und zuvor unbekannte Künstlern kennenzulernen. Wer sich also gern von der noch bis zum fünften März dauernden Schau überraschen lassen möchte, dem sei ein Besuch, am besten zu zweit oder zu dritt, empfohlen!