Heimatlosigkeit und Nomadentum

28. November 2010 von Matthias Planitzer
Still aus "Moving away from home", © Maria Lusitano Auf meiner kürzlichen Reise nach Stockholm besuchte ich u.a. Moderna Museet, wo eine große Übersichtsausstellung die jüngsten und interessantesten Entwicklungen der zeitgenössischen schwedische Kunst auf den Grund gehen will. Die ausgestellten Werke der 54 Künstler fokussieren eine große Bandbreite an Themen, doch eine Arbeiten erregte mein besonderes Interesse. Stockholm scheint - wie ich während der vergangenen Tage vielfach hörte und lernte - eine eigenartige Stadt zu sein: wunderschöne Straßenzüge kollidieren mit der Reserviertheit und Zurückgezogenheit der Bevölkerung. Die Stockholmer sind im Allgemeinen nicht nur auf sich bedacht, sondern zudem allen Anschein nach auch in der Öffentlichkeit recht interaktionsscheu. Insbesondere Fremde haben es schwer, Anschluss zu finden und sich zu integrieren. Schweden bleiben unter sich und in ihren über Jahren und Jahrzehnten gefestigten Freundeskreisen, die Zugezogenen notgedrungenerweise ebenfalls. Diese Erfahrung machte ich nur persönlich, sondern wurde darin auch in Gesprächen mit Zugezogenen und den wenigen Stockholmern bestätigt, die ich zuvor kannte. Dennoch ist Schweden ein klassisches Einwanderungsland und weist in den Großstädten klare Hinweise der sozialen Isolierung auf. Siedlungen mit großer Ausländermehrheit und kultureller Segregation lassen sich nicht nur in der schwedischen Hauptstadt beobachten. Dieses Problem ist der schwedischen Gesellschaft wohl bekannt und sorgt immer wieder für Diskussionen in den Medien. Doch eine künstlerische Auseinandersetzung scheint (nach meinen Informationen) bisher kaum stattgefunden zu haben. Die ebenfalls eingewanderte, portugiesischstämmige Künstlerin Maria Lusitano Santos greift dieses Thema in einer bewegenden und nicht minder eindrucksvollen Videoarbeit auf und kommt zu dem Schluss, dass sich Migranten in Schweden in einem Vakuum zwischen der gesuchten und der verlassenen Heimat befinden.

Maria Lusitano: Still aus "Moving away from home"Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusi­ta­no

Auf mei­ner kürz­li­chen Rei­se nach Stock­holm besuch­te ich u.a. Moder­na Museet, wo eine gro­ße Über­sichts­aus­stel­lung die jüngs­ten und inter­es­san­tes­ten Ent­wick­lun­gen der zeit­ge­nös­si­schen schwe­di­sche Kunst auf den Grund gehen will. Die aus­ge­stell­ten Wer­ke der 54 Künst­ler fokus­sie­ren eine gro­ße Band­brei­te an The­men, doch eine Arbei­ten erreg­te mein beson­de­res Interesse.

Stock­holm scheint — wie ich wäh­rend der ver­gan­ge­nen Tage viel­fach hör­te und lern­te — eine eigen­ar­ti­ge Stadt zu sein: wun­der­schö­ne Stra­ßen­zü­ge kol­li­die­ren mit der Reser­viert­heit und Zurück­ge­zo­gen­heit der Bevöl­ke­rung. Die Stock­hol­mer sind im All­ge­mei­nen nicht nur auf sich bedacht, son­dern zudem allen Anschein nach auch in der Öffent­lich­keit recht inter­ak­ti­ons­scheu. Ins­be­son­de­re Frem­de haben es schwer, Anschluss zu fin­den und sich zu inte­grie­ren. Schwe­den blei­ben unter sich und in ihren über Jah­ren und Jahr­zehn­ten gefes­tig­ten Freun­des­krei­sen, die Zuge­zo­ge­nen not­ge­drun­ge­ner­wei­se ebenfalls.

Die­se Erfah­rung mach­te ich nur per­sön­lich, son­dern wur­de dar­in auch in Gesprä­chen mit Zuge­zo­ge­nen und den weni­gen Stock­hol­mern bestä­tigt, die ich zuvor kann­te. Den­noch ist Schwe­den ein klas­si­sches Ein­wan­de­rungs­land und weist in den Groß­städ­ten kla­re Hin­wei­se der sozia­len Iso­lie­rung auf. Sied­lun­gen mit gro­ßer Aus­län­der­mehr­heit und kul­tu­rel­ler Segre­ga­ti­on las­sen sich nicht nur in der schwe­di­schen Haupt­stadt beobachten.

Die­ses Pro­blem ist der schwe­di­schen Gesell­schaft wohl bekannt und sorgt immer wie­der für Dis­kus­sio­nen in den Medi­en. Doch eine künst­le­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung scheint (nach mei­nen Infor­ma­tio­nen) bis­her kaum statt­ge­fun­den zu haben. Die eben­falls ein­ge­wan­der­te, por­tu­gie­sisch­stäm­mi­ge Künst­le­rin Maria Lusi­ta­no San­tos greift die­ses The­ma in einer bewe­gen­den und nicht min­der ein­drucks­vol­len Video­ar­beit auf und kommt zu dem Schluss, dass sich Migran­ten in Schwe­den in einem Vaku­um zwi­schen der gesuch­ten und der ver­las­se­nen Hei­mat befinden.

Maria Lusitano: Still aus "Moving away from home"Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusi­ta­no

Schwe­den hat — wenn man den Medi­en glau­ben will — ein ech­tes Aus­län­der­pro­blem. Zwölf Pro­zent der Ein­woh­ner haben einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund, vie­le sind Ira­ker oder Ange­hö­ri­ge ande­rer ara­bi­scher Kul­tu­ren. Im Mal­mö­er Stadt­teil Rosen­gård trieb noch bis Anfang die­sen Monats ein Hecken­schüt­ze sein Unwe­sen, ermor­de­te in dem bekann­ten Aus­län­der­vier­tel einen Migran­ten, ver­letz­te­re nicht weni­ger als wei­te­re vier­zehn Per­so­nen. Der Fall ist nicht neu, in der Ver­gan­gen­heit gab es bereits eine ähn­li­che Anschlag­se­rie in Stock­holm und Uppsala.

Obgleich wohl nur die aller­we­nigs­ten Schwe­den mit dem Atten­tä­ter sym­pa­thi­sie­ren, herr­schen für Aus­län­der zumin­dest in Stock­holm nicht gera­de idea­le Bedin­gun­gen. Nicht zuletzt die Eigen­heit der Haupt­städ­ter, den Groß­teil ihres Lebens in ihren fes­ten Cli­quen zu blei­ben, kaum Inter­es­se an neu­en Kon­tak­ten zu haben, macht es Zuge­zo­ge­nen schwer, neue Kon­tak­te zu knüpfen.

Maria Lusitano: Still aus "Moving away from home"Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusi­ta­no

Maria Lusi­ta­no ist eine von ihnen. Vor drei Jah­ren zog die Por­tu­gie­sin mit ihrem Sohn nach Mal­mö. Schwe­den war für sie zuvor ein uto­pisch ver­klär­ter Ort, ein Land, das Sicher­heit und Hei­mat­ge­fühl bie­ten kann. Seit ihrer Ankunft hat sich die­ses Bild jedoch geän­dert, Lusi­ta­no erkann­te in der schwe­di­schen Rea­li­tät kaum einen Rest der Vor­stel­lun­gen, die sie einst in die­ses Land trie­ben. Eben­so wie es ihr schwer fiel, hier ihren Sta­tus als Aus­län­der zu über­win­den, geht es auch vie­len ande­ren (por­tu­gie­sisch­stäm­mi­gen) Einwanderern.

Exem­pla­risch dafür ste­hen die eben­falls por­tu­gie­si­schen Ehe­leu­te Samu­el und Ercí­lia, die 1967 ihr Glück in Mal­mö such­ten. In ihrer doku­men­ta­ri­schen Video­ar­beit »Moving away from home« lässt Lusi­ta­no ihre Schick­sals­ge­nos­sen zu Wort kom­men und gibt einen Ein­blick in die Situa­ti­on einer Ein­wan­de­rer­ge­nera­ti­on, die, geal­tert und im neu­en Leben gefes­tigt, auch nach vier­zig Jah­ren noch immer nicht ange­kom­men sind.

In »Moving away from home« zieht Maria Lusi­ta­no Par­al­le­len zwi­schen ihrer eige­nen Geschich­te und der des vor­ge­stell­ten Ehe­paa­res. Sie erzäh­len von den Schwie­rig­kei­ten, trotz Arbeit und gesi­cher­ter Lebens­grund­la­ge in einer Umge­bung Fuß zu fas­sen, die wenig Attrak­ti­ves bie­tet. Die Häu­ser­schluch­ten der Groß­sied­lun­gen und ihre küh­le Anony­mi­tät wer­den zur stum­men Kulis­se die­ser so eng mit­ein­an­der ver­bun­de­nen Geschich­ten und spie­geln die tris­te Frem­de und Iso­la­ti­on wie­der, in der die­se noma­disch leben­den Per­so­nen nach dem suchen, was sie einst in die­ses Land führte.

»Moving away from home« ist jedoch mehr als nur ein ein­fa­cher Ver­gleich. Die vor­ge­stell­ten Schick­sa­le ste­hen ledig­lich exem­pla­risch für die typi­sche Situa­ti­on eines Ein­wan­de­rers, wie Lusi­ta­no sie entwirft.

Maria Lusitano: Still aus "Moving away from home"Still aus »Moving away from home«, © Maria Lusi­ta­no

Der Film blickt jedoch auch in die Zukunft. Samu­el und Ercí­lia zie­hen zurück nach Por­tu­gal, zurück zu ihren Kin­dern und Enkeln, zurück zu ihren Freun­den, in ihre eins­ti­ge Hei­mat. Maria Lusi­ta­no dage­gen hat sich mit ihrer Rol­le als Frem­de abge­fun­den. Sie hat sich los­ge­löst von allem, was ein­mal Hei­mat war, und mit einem Leben arran­giert, das sie als moder­nes Noma­den­tum empfindet:

»We would always be in the midd­le of two places. Not more. But also in the midd­le of a lot of affections.«

Viel­leicht ist »Moving away from home« gar kei­ne Doku­men­ta­ti­on des All­tags eines Ein­wan­de­rers in Mal­mö, viel­leicht gar nicht mal der spe­zi­fisch schwe­di­schen Rea­li­tät. Vie­les kann durch­aus auch für ande­re Län­der über­all auf der Welt gel­ten. Das weiß nie­mand so genau.

Sicher ist nur, dass wir uns in einer Gesell­schaft befin­den, die an der Schwel­le von der Seß­haf­tig­keit zurück zum Noma­den­tum steht. Sei es im Kon­text der Migra­ti­on oder des Tou­ris­mus: Das Kon­zept der Hei­mat wird heut­zu­ta­ge ste­tig neu entwickelt.