Das art forum und die abc in nachbarschaftlicher Nähe
Heute war für mich wieder ein denkwürdiger Tag, der mir wieder einmal klar machte, warum mir Ausstellungen im klassischen Sinne mehr zusagen als große, hektische Messen. Diesen Kontrast konnte ich heute auf dem ICC Messegelände erleben, wo sowohl die art berlin contemporary (abc) als auch das art forum zum Presserundgang luden und zwei Ansätze der Kunstpräsentation boten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.
War die kuratierte, gemütlichere Ausstellungsform der abc noch genau nach meinem Geschmack, ging es wenig später beim art forum weiter, wo man selbst vor der offiziellen Öffnung den großen Trubel einer internationalen Messe wie dieser verspüren konnte. Ganz im Gegensatz zur abc wollte man beim art forum keine Blogger zur Pressebesichtigung einladen. Ich war trotzdem vor Ort. Den Bericht sowie ein kleines Giveaway gibt’s nach dem Klick.
3. art berlin contemporary: »light camera action«
Als erstes stand die abc auf dem Programm, die dieses Jahr die Räumlichkeiten im Marshall-Haus im Innenhof des Messegeländes bezog. Wie auch die Jahre zuvor steht die Messe unter einem Motto: Die sechzig internationalen, vornehmlich Berliner Galerien widmen sich die kommenden Tage der Rolle des Films in der Kunst und stellen ausgesuchte Arbeiten ihrer Künstler aus, die die Entwicklung der wechselseitigen Beziehung zwischen Film und Kunst explorieren wollen. »light camera action« heißt das dann in Form eines schmissigen Slogans.
Die kuratierte Ausstellung der Macher vom Gallery Weekend zeigt dabei auf, dass sich das Medium des Films nicht nur als technische Errungenschaft in den bildenden Künsten etabliert hat. So transferieren etwa Anna und Bernhard Blume in ihrer Reihe »SX-70 Polaroids« das filmische Stilmittel des Schnitts auf Polaroids, indem sie diese zerschneiden und neu zusammenfügen und dadurch gänzlich neue, verzerrte Porträts erzeugen. Ein »Hard Cut« quasi, der das Überraschungsmoment des Filmschnitts auf die Fotografie überträgt.
»To the point«, © Wolfgang Plöger (hier im Künstlerhaus Bremen)
Ebenfalls mit Schnitttechnik beschäftigte sich Wolfgang Plöger, der für sein Werk »To the point« die letzten Worte von 400 zum Tode verurteilten Häftlingen gesammelt hat. Diese wurden sofort nach ihren Worten des Abschieds hingerichtet, ihr gesamter Todesvorgang protokolliert. Plöger entnahm aus den offiziellen Akten jeweils das letzte Wort und den abschließenden Punkt und vergrößerte sie mit einem Kopiergerät. Die ca. 950 Kopien der nicht mehr zu erkennenden Wörter ordnete er auf einer blutroten Wand an projezierte darauf ein Video eines sich kaum bewegenden schwarzen Quadrats, einer animierten Folge aller Satzpunkte.
Mit dieser collageartigen Anordnung von einer überwältigenden Anzahl von Fällen Hingerichteter, die er auf die wesentliche Essenz, nämlich den Übergang vom Leben zum Tod, reduziert, erinnert auch Plögers »To the point« in seiner Technik an das verdichtende Resultat eines üblichen Spielfilms, der ja auch aus Unmengen Ausgangsmaterial das Wichtigste in sich vereint.
Teil von »Arriving in New York (Trailer for a film)«, © Isa Genzken
Andere Arbeiten, darunter von namhaften Künstlern wie Imi Knoebel, Ólafur Eliasson, Lisa Oppenheim oder Libia Castro & Ólafur Ólafsson zeigen andere Dimensionen der wechselseitigen Beeinflussung von Film und Kunst auf, wenn etwa scheinbar still stehende Fotografien sich auf einmal als Videos entpuppen, wenn Projektionen wie bei Joëlle Tuerlinckx selbst zum realen Objekt werden oder der Charme der amerikanischen Filme der 60er Jahre bei Isa Genzken als ästhetisches Vorbild für fotografische Serien erkennbar wird.
Unterm Strich bleibt ein durchweg positiver Eindruck einer sorgfältig kuratierten Ausstellung, die so ins Bild der Messelandschaft nicht passen möchte. Zwar ist ersichtlich, dass die Zusammenarbeit der sechzig namhaften Aussteller zu einer für die Qualität der Schau maßgeblich zuträglichen Synergie geführt hat, doch dürfte zumindest der einfache Messebesucher in der abc eher eine Ausstellung denn eine Messe sehen.
Das tut der abc »light camera action« jedoch keinen Abbruch, schließlich entstand hier ein vielfältiger Einblick in ein Thema, das womöglich vielen in dieser reichhaltigen Vielfalt noch nicht bekannt war. Wer glaubt, Kunst und Film hätten als einzigen Schnittpunkt die Video Art, wird auf der diesjährigen abc eines Besseren belehrt. Zwar sind 18,00 bzw. 12,00 € für einen bloßen Besuch der abc etwas happig, doch wer ohnehin zum art forum will, sollte sich die abc nicht entgehen lassen und — der Aufmerksamkeit zuliebe — vielleicht zuerst das Marshall-Haus und danach erst das art forum in den Messehallen besuchen.
Die 3. art berlin contemporary findet vom
7. bis 10. Oktober von 12:00 bis 21:00 Uhr, am Sonntag bis 19:00 Uhr statt.
Die Vernissage ist heute, am 6. Oktober von 20:00 bis 23:00 Uhr,
die Kombi-Karte für das art forum und die abc kostet 18,00 bzw. 12,00 € und berechtigt zum stundenlangen Entdecken im
Marshall-Haus in Innenbereich des Messegeländes.
Bereits bei der Preview für die Sammler war schon viel los im art forum
15. art forum berlin
Mit dem Shuttle im Golf-Caddy gelangt man komfortabel und — wie etwa in meinem Fall — mit einem kurzen Schnack mit dem frisch-frechen Fahrer über den ganzen Messezirkus zum Hauptevent des Berliner Kunstherbstes, dem art forum, das in seiner 15. Auflage in den Messehallen unter dem Funkturm gastiert. Obgleich ich als Blogger keine offizielle Akkreditierung bekam, konnte ich über den Zugang vom Messegelände aus doch an der Presseveranstaltung teilnehmen und unter den vielen Reportern und Sammlern meinen Rundgang durch die Hallen in Angriff nehmen.
Wie auf Kunstmessen so üblich sind auch im art forum die ausgestellten Werke ebenso wie die Besucher auf engstem Raum zusammengepfercht, was der Entdeckerlaune freilich wenig zuträglich ist. Zwar fanden sich heute Vormittag noch keine Messebesucher ein, doch darf prophezeit werden, dass es je nach Auslegung ein »voller Erfolg« oder ein stressvolles Gedränge werden wird. Damit ihr wisst, welche Stände empfehlenswert sind, will ich meine persönlichen Entdeckungen vorstellen.
Der Stand der Galerie Škuc, Ljubljana
Dazu gehört in jedem Falle die Galerie Škuc aus Ljubljana, die gemäß des diesjährigen Fokus auf ost-europäische Kunst einige interessante Künstler vorstellte. Die Aufmerksamkeit des Besuchers des kargen Messestandes wird sofort auf die Arbeiten des slowenischen Künstlerduos Vuk Ćosić und Matej Andraz Vogrinčič gelenkt, das mit Porträts bekannter ermordeter Frauen wie Anne Frank oder Anna Politkowskaja arbeitet und diese in fiktive Mode-und-Beauty-Magazin-Cover einbettet, mit Slogans zum Teint oder der der Kleidung der dargestellten Personen garniert.
Dabei entsteht ein Verriss auf die gewissermaßen weltfremde Boulevard- und Beautypresse, die nach dieser Lesart der vier ausgestellten Arbeiten bedeutsame Themen, nämlich politische Verfolgung und Mord, gänzlich ignoriert. Mit harschem, zynischen Ton werden hier diese beiden Seiten der Presse zusammengebracht und gegenübergestellt. Was steht im Fokus des öffentlichen Interesses? Wo schaut die Gesellschaft, deren Augen schließlich die Medien sind, hin und wofür ist sie blind?
Wem das zu einfach und platt ist, der findet bei Škuc mit der Fotoserie »Angels with dirty faces« des Kroaten Igor Grubić eine romantisch-liebevolle Widmung an die wenig beachteten Helden des Alltags, die Minenarbeiter und andere Schwerstarbeiter.
»Plywood City«, © Ujino Muneturu
Vorbei am Stand der Kunstagenten, die hier die bereits vorgestellten Taiyo Onorato und Nico Krebs präsentieren, geht es zur PSM Gallery, die mit Ujino Muneterus »Plywood City« eine Soundnstallation ausstellen, die wohl den Mitarbeitern der umliegenden Stände gehörig auf die Nerven geht. In regelmäßigen Abständen setzt die Maschine zu einem Konzert an, zu dessen Instrumentarium E‑Gitarren und Drehorgel-ähnliche Geräte gehören; alles begleitet freilich von einer passenden Lichtshow.
Der Künstler japanischer Herkunft spielt damit auf einen Tokyoter Stadtteil an, der gänzlich aus Holz erbaut, in »Plywood City« sein Pendant aus Kunsttransportkisten findet. Dessen lebhaften Charakter fängt er mit einer Geräuschkulisse aus mechanischen Lauten ein, die manch einer wohl als nervtötend empfinden würde — wie auch den Trubel in jenem Teil Tokyos, der Muneturu als Inspiration diente.
Kunstmesse durch und durch: das art forum als Ort für große Geschäfte (Plakat der kunstmafia)
Obgleich das art forum mit 110 Teilnehmern eine weitaus größere Bandbreite an Kunst als die abc bot, blieb sie für mich gesichtslos. Wie es einer Kunstmesse nunmal zu eigen ist, ging es hektisch zu, die Kunst hatte an den überfüllten Wänden kaum Platz zum Atmen und überhaupt war man mehr damit beschäftigt, seine Blicke schweifen zu lassen, als sich tatsächlich den ausgestellten Arbeiten zu widmen. Dass diese erstklassig waren, steht außer Frage, doch hätte ich mich mir wie so oft von Kunstmessen wie des art forums gewünscht, dass man auch die Zeit und Muße findet, sich dieser hinzugeben.
Kunstmessen verfolgen nunmal primär ein geschäftliches Interesse, obgleich alle Deals heute schon gemacht wurden und die Werke nun nur noch für diejenigen gezeigt werden, die zwar nicht zum Kunstkauf, doch aber zum Kunstschauen kommen. Der wahre Ansturm wird in diesen Tagen noch kommen und ich habe ernste Zweifel, wieviel die Besucher für den Eintritt von 18,00 bzw. 12,00 € tatsächlich geboten bekommen.
Dies ist keine neue Erkenntnis, noch nicht einmal eine überraschende, doch immerhin eines hat sich wieder einmal bestätigt: Kleine, aber feine Ausstellungen mit sorgfältiger Kuration sind um einiges mehr wert als vor großen Namen strotzende Kunstmessen ohne Raum für Kunstgenuss.
Wer sich dennoch dem Trubel unter dem Funkturm hingeben will, dem seien folgende Informationen anempfohlen:
Das 15. art forum berlin findet vom
7. bis 10. Oktober von 12:00 bis 19:00 Uhr,
die Vernissage heute, am 6. Oktober von 18:00 bis 21:00 Uhr statt.
Die Kombi-Karte für das art forum und die abc kostet 18,00 bzw. 12,00 € und berechtigt zum Umherflanieren in den
Messehallen 18–20, Palais am Funkturm (Eingang über Halle 19).
Zwei Baumwollbeutel sowie obiges Plakat von der Kunstmafia zu verlosen
Giveaways für euch
Neben vielen Eindrücken, Fotos und Pressematerialien, die ich von der abc und dem art forum mitgebracht habe, habe ich auch an euch gedacht und verschenke einen Baumwollbeutel von der abc und ein Plakat von der Kunstmafia (s.o.) sowie einen weiteren Beutel an diejenigen, die als erstes die Facebook-Seite von Castor & Pollux liken und dort einen Kommentar hinterlassen!
mir sind auch die blumes und die galerie psm im gedächtnis geblieben, außerdem noch ein fotowerk von hütte und der stand von arndt..
ich bin auch kein fan von messen um sich kunst anzuschauen, dort geht es doch um etwas anderes (händeschütteln, visitenkarten hinterlassen) — das konzept der abc ging für mich allerdings auch nicht auf, für eine ausstellung fehlte mir die sorgfältige kuratierung, zudem empfand ich die halle als ähnlich vollgestellt wie das art forum und konnte auch keine verbindungen oder beziehungen zwischen den nebeneinander präsentierten werken erkennen…
ich habe übrigens gehört, dass die samstage die schönsten auf dem art-forum sein sollen, denn dann bleiben die messehallen wohl fast unbesucht
Die PSM Gallery kann wohl getrost für sich verbuchen, dass ihr Stand derjenige ist, an den sich man sich Wochen und Monate später am besten erinnert. Der Arndt-Stand hat mir auch gut gefallen, jedoch eher wegen des grazilen Geduldsspieles von Ralf Ziervogel, das er in großformatigen Arbeiten auf der Rückwand des Messestandes bewiesen hat.
Die abc hat mir dagegen gut gefallen, gern wär ich länger geblieben. Das kuratorische Konzept ist, so denke ich, recht anspruchsvoll und mitunter nicht in jedem der ausgestellten Werke auf Anhieb verfolgbar. Auch wenn die Arbeiten recht isoliert voneinander waren, waren doch einige sehr eindrucksvolle Beispiele darunter (von Tuerlinckx etwa). Meine anfängliche Befürchtung war, dass man denselben Fehler wie Deutsche Guggenheim derzeit machen würde, nämlich durch das Medium Film viel zu viel Zeit von den Besuchern einzufordern. Das hat sich glücklicherweise nicht bestätigt.
Was die Samstage betrifft, kann ich nicht mitreden, die Meinung höre ich auch zum ersten mal. Ein Besuch wäre allerdings eine Überlegung wert!