»Work No. 551«, © Martin Creed
Wenn Kinder Bilder von idyllischen Landschaften malen, dann findet man neben strahlenden Sonnen und prächtigen Bäumen auch stets Wolken, die auf etwas verweisen, das für den kindlichen Geist so wohl einfacher zu fassen ist: der Himmel oder — allgemeiner — die Luft um uns herum. Das Problem ist schnell erkannt: Die Luft ist zwar allgegenwärtig und wie selbstverständlich da, doch fällt es schwer, ihrer gewahr zu werden.
Umso eindrücklicher sind dann jene Momente, in denen wir die Luft um uns herum wahrnehmen können. Ein Orkan etwa lässt uns ehrfürchtig und klein werden; auch der Druckausgleich in großen Höhen erzeugt bei vielen ein unangenehmes Gefühl. Frische Luft lässt uns durchatmen, kühle Luft bringt Erfrischung.
Martin Creed jedoch geht die Erfahrbarmachung der Luft von einer anderen Seite an. Seine Werkzeuge sind Kontakt, Enge und Beklemmung.
»Work No. 360«, © Martin Creed
Martin Creed hat sich durch seine künstlerische Arbeitsweise bereits einen Namen gemacht: Die Werke werden streng durchnummeriert und bereits im Titel treffend beschrieben. Für eine ganze Serie an Werken heißt das dann: »Half the air in a given space«. Bei »Work No. 551« (s.o.) wird Creed etwas konkreter:
Choose a space. Calculate the volume of the space. Using air, blow up mocca brown 40 cm balloons until they occupy half the volume of the space.
Was sich so nüchtern liest, ist aber einiges mehr. Soweit ich es recherchieren konnte, hat Creed wenigstens acht Mal Ballons gleicher Farbe mit Luft, manchmal teilweise auch mit Helium befüllen lassen und damit einen Raum angefüllt, bis die Hälfte buchstäblich eingepackt war.
»Work No. 200«, © Martin Creed
Auch, wenn ich noch nicht selbst eine dieser Installationen erleben konnte, kann man doch erahnen, wie erstaunlich die Wirkung sein muss: Zwar ist es nach wie vor Luft, die man durchschreitet, doch leistet diese ungewohnten Widerstand. Sie weicht nicht etwa einfach aus, man braucht eine Weile, um in diesem zähen Element voranzukommen.
Die Anwesenden stolpern ein wenig desorientiert und sichtlich irritiert durch den Raum. Sie müssen sich erst einen Weg bahnen, können ja kaum einen Meter weit schauen und so geht es eher wie im dichten Urwald zu als in einem Raum, der ja nur mit Luft gefüllt ist. Hier lastet sie zu allen Seiten auf den Anwesenden und hat nichts mehr mit dem unbemerkten, leichten Stoff zu tun, der uns ständig umgibt.
»Work No. 329«, © Martin Creed
Creed macht die Luft greifbar, sichtbar, schlicht erfahrbar. Er zwingt dem sonst so mitteilungslosen Element eine neue Gestalt auf und zwingt damit auch den Betrachter in eine neue Auseinandersetzung mit seiner Umwelt. Er kann sich nicht mehr frei bewegen, denn Creed nimmt ihm diese Freiheit, er ist nun gezwungen, über seine Rolle in einem nur scheinbar leeren Raum nachzudenken.
Der Anwesende muss sich erst neu im Raum verorten, schließlich hat er schlicht die Orientierung verloren. Wie gut im obigen Video zu sehen ist, dominiert Enge die Gefühlswelt. Von allen Seiten türmen sich unüberblickbare Wände auf, die überzukippen und alles unter ihnen zu begraben drohen. Beklemmung kommt auf, Bedrängnis. Und das alles nur wegen etwas Luft.
»Work No. 268«, © Martin Creed
Martin Creed bringt wirft mit seinen Balloninstallationen die Sinneserfahrungen über den Haufen, die jeder von uns mit dem Element Luft gemacht hat. Das schließt optische wie haptische Qualitäten ein, bezieht sich auf Verformbarkeit, Trägheit, Aura und Stimmung. Bei ihm erhält Luft plötzlich ein Wesen, das wir von einem solchen Stoff bisher nicht kannten.
So schafft es Creed, der Luft in seinen Arbeiten immer wieder neue Akzente zu geben. Während etwa die rosa Ballons »Work No. 329« federleicht scheinen, sieht man in den mokkabraunen Pendants in »Work No. 551« schwere, klobige Kugeln. Die schwarzen Ballons in »Work No. 268« wirken wie ein zäher Ölfilm, der kraft seiner dunkel-düsteren Ruhe schwer auf dem Raum lastet (vgl. auch Edith Dekyndts »Ground Control«) , wogegen die weißen Exemplare in »Work No. 200« wie weiche Wolken daherkommen.
Damit bring Creed auch Begrifflichkeiten in eine Form, die zumindest in der deutschen Sprache existieren: Wir sagen, die Luft sei manchmal dick, mal drückend oder schwer und bedienen uns dazu Qualitäten, die dem haptischen Sinn zuzuordnen sind. Es dürfte also nicht verwunderlich sein, warum Creed so starke Effekte erzielt.
Und doch verhalten sich die Arbeiten wie das, wie sie sind: Öffnet man die Galerietür, strömt die Luft auf die Straße und die von der Straße in den Galerieraum (s. die erste Abbildung). Lässt ein unachtsamer Besucher einen der Ballons platzen, so macht das zunächst nichts aus, schließlich entweicht die enthaltene Luft ja nicht, sie geht nur wieder in ihre gewohnte Gestalt über. Und doch, ließen die Kuratoren solche Zerstörungen zu, wären die Installationen in höchstem Maße eine Abbildung dessen, was sie sein wollen: ein unfaßbares Element von ephemerem Wesen.