Was gut ist, kommt wieder

28. März 2010 von Matthias Planitzer
"Der Perlenohrring", © Dorothee Golz Noch sind Semesterferien und so bleibt für mich viel Zeit, mich eingehend mit Kunst und auch Kunstgeschichte zu beschäftigen. Vor allen Dingen letzteres hat es mir in den letzten Wochen angetan, viele große Meister haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Neben Corregio, Carravagio, Frans Hals und William Turner war dies insbesondere auch Jan Vermeer, dessen Werke durch eine wundervolle Stille und Schönheit des Schlichten bestechen. Auch wenn diese Bilder den Alltag des 17. Jahrhunderts einfingen, wirken sie 350 Jahre später unweigerlich wie Zeugnisse aus einer längst vergangenen Zeit, die uns zwar auf wundervolle Weise ausgebreitet wird, aber doch mit unserer nicht mehr viel gemein hat. Umso überraschender war es kürzlich für mich, auf eine Künstlerin zu stoßen, die allseits bekannte Motive der Kunstgeschichte aufgreift und in unsere Zeit transferiert, den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart schafft und dadurch auch verblüffende Effekte erzielt.

Dorothee Golz: Der Perlenohrring»Der Per­len­ohr­ring«, © Doro­thee Golz

Noch sind Semes­ter­fe­ri­en und so bleibt für mich viel Zeit, mich ein­ge­hend mit Kunst und auch Kunst­ge­schich­te zu beschäf­ti­gen. Vor allen Din­gen letz­te­res hat es mir in den letz­ten Wochen ange­tan, vie­le gro­ße Meis­ter haben einen blei­ben­den Ein­druck hin­ter­las­sen. Neben Cor­re­gio, Car­ra­va­gio, Frans Hals und Wil­liam Tur­ner war dies ins­be­son­de­re auch Jan Ver­meer, des­sen Wer­ke durch eine wun­der­vol­le Stil­le und Schön­heit des Schlich­ten bestechen.

Auch wenn die­se Bil­der den All­tag des 17. Jahr­hun­derts ein­fin­gen, wir­ken sie 350 Jah­re spä­ter unwei­ger­lich wie Zeug­nis­se aus einer längst ver­gan­ge­nen Zeit, die uns zwar auf wun­der­vol­le Wei­se aus­ge­brei­tet wird, aber doch mit unse­rer nicht mehr viel gemein hat.

Umso über­ra­schen­der war es kürz­lich für mich, auf eine Künst­le­rin zu sto­ßen, die all­seits bekann­te Moti­ve der Kunst­ge­schich­te auf­greift und in unse­re Zeit trans­fe­riert, den Brü­cken­schlag zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart schafft und dadurch auch ver­blüf­fen­de Effek­te erzielt.

Die Rede ist von Doro­thee Golz, einer viel­sei­ti­gen Wie­ner Künst­le­rin, die in nicht weni­ger als 17 »digi­ta­len Gemäl­den«, wie sie es nennt, Per­so­nen bekann­ter Por­träts, zumeist Frau­en, in Foto­gra­fien aus unse­rem heu­ti­gen All­tags­le­ben ver­setzt. Arg­wöh­ner könn­ten dar­in blo­ße Pho­to­shop-Spie­le­rei­en sehen, doch Golz‹ Arbei­ten ent­hal­ten viel mehr als ein­schlä­gi­ge Pho­to­shop-Tuto­ri­als bie­ten könnten.

Dorothee Golz: Der Perlenohrring»Der Per­len­ohr­ring«, links oben das Ori­gi­nal von Vermeer

Schnell wird man sich dem Tenor der Wer­ke bewusst; am Bei­spiel des »Per­len­ohr­rin­ges« kann man dies gut erfas­sen: Die Vor­la­ge von Ver­meer ist — unüb­lich für ihn — ein rei­nes Por­trät ohne jeg­li­che Erzäh­lung, der Maler kon­zen­triert sich auf den blo­ßen Moment. Die Schö­ne wen­det sich um, will den Betrach­ter anspre­chen. Die Bli­cke fal­len sofort auf ihre Augen, auf ihren süßen Mund und den aus dem Schat­ten her­vor­ste­chen­den Per­len­ohr­ring. Die Sze­ne ist schlicht, aber zauberhaft.

Golz‹ Fas­sung dage­gen trans­fe­riert Ver­meers Ori­gi­nal in die Gegen­wart. Nicht als Gemäl­de, als Foto­gra­fie kommt uns die Ansicht daher; berei­chert um eine Kulis­se und Requi­si­ten gibt sie dem Motiv mit einem Mal eine Geschich­te: Wir über­ra­schen das Mäd­chen mit Per­len­ohr­ring an, als sie sich und uns einen Tee ein­gie­ßen will. Der Labra­dor döst unter dem Küchen­tisch, über einem Stuhl hängt ein Klei­dungs­stück. Das Mäd­chen wirkt doch bis auf den Tur­ban mit ihren Röh­ren­jeans und Pumps wie jemand, den wir selbst ken­nen könn­ten. Selbst der Foto­gra­fen­kof­fer im Hin­ter­grund ver­rät, dass die­ses Foto aus dem Leben gegrif­fen, nicht etwa im Stu­dio ent­stan­den ist. Es ist eine all­täg­li­che Sze­ne, die wir hier sehen, nichts Geküns­tel­tes oder Frem­des haf­tet ihr an.

Doro­thee Golz beweist in ihren »digi­ta­len Gemäl­den«, dass sie es eben­so wie die Meis­ter, von denen sie sich inspi­rie­ren ließ, ver­steht, die Bild­kom­po­si­ti­on für das Motiv arbei­ten zu las­sen. Das unru­hi­ge Flie­sen­mus­ter schafft zusam­men mit dem Stuhl nicht nur Räum­lich­keit, es bil­det auch einen aus­rei­chen­den Gegen­pol zur anmu­ti­gen Gestalt des Mäd­chens, ohne jedoch die Dyna­mik ihrer Bewe­gung zu über­tün­chen. Das Licht- und Schat­ten­spiel im Gesicht des Mäd­chens bleibt erhal­ten, wird jetzt jedoch durch die Glanz­lich­ter auf der Hän­ge­leuch­te in sel­ber Höhe, die metal­le­ne Kan­ne und der Glas­ob­jek­te wei­ter unten flan­kiert. Auch der Licht­ein­fall bleibt der­sel­be, ist jedoch zuguns­ten des Frie­dens und der Anmut des Moti­ves sanf­ter gewählt.

Dorothee Golz: La belle Ferronière»La bel­le Fer­ro­n­iè­re«, © Doro­thee Golz

Ähn­li­che Wege geht Golz auch mit »La bel­le Fer­ro­n­iè­re«, wel­ches der gleich­na­mi­gen Vor­la­ge aus dem Umkreis da Vin­cis nach­emp­fun­den ist. Das Ori­gi­nal aus den letz­ten Jah­ren des 15. Jahr­hun­derts zeigt Madame Féron, die, trotz ihrer Ehe mit einem gewis­sen Le Féron, als Mätres­se des fran­zö­si­schen Königs Franz I. am Hofe auf­trat. Ihr Gat­te jedoch war so erbost dar­über, dass er sich wil­lent­lich in einem Bor­dell mit der Syphi­lis ansteck­te, dadurch auch sei­ne Frau infi­zier­te, wel­che wie­der­um ver­mut­lich der Grund war, war­um der König syphi­li­tisch wur­de und ohne Nach­kom­men blieb.

Das Ori­gi­nal, das ver­mut­lich von einem Schü­ler da Vin­cis ange­fer­tigt wur­de, zeigt die Kon­ku­bi­ne erstaun­lich züch­tig: Vom Betrach­ter durch einen Bal­ken (oder Bal­kon?) getrennt, mit den Hän­den im Schoß und dem züch­tig ange­leg­ten Stirn­band, erweckt die Por­trä­tier­te nicht den Anschein, dass es sich um eine der bekann­tes­ten Königs­ge­spie­lin­nen der Geschich­te han­delt. Ihr Blick geht vom Betrach­ter weg nach oben, was die Distanz nur noch wei­ter erhöht. Es liegt jedoch Ent­schlos­sen­heit in ihrem Blick, auch der Mund ist ange­spannt und so mag man rät­seln wol­len, was sie wohl im Schil­de führe.

Dorothee Golz: La belle Ferronière»La bel­le Fer­ro­n­iè­re«, links oben das Ori­gi­nal

Bei Doro­thee Golz jedoch erwacht Madame Féron zu neu­em Leben. In Jeans und bauch­frei­em Ober­teil, des­sen groß­zü­gi­ger Aus­schnitt fast den Blick auf ihre Brüs­te frei­gibt, kommt sie daher, steht in auf­rei­zen­der Model­po­se vor uns und wirkt doch ganz anders als in der bekann­ten Fas­sung. Wie­der hat Golz das meis­ter­li­che Vor­bild in die Gegen­wart geholt, viel­leicht auch nicht so über­zeu­gend wie im obi­gen Bei­spiel; und wie­der lässt nur die Kopf­be­de­ckung erken­nen, dass es sich eigent­lich um einen Typus Mensch han­delt, der irgend­wie aus einer ande­ren Epo­che stam­men muss. Auch hier bleibt der Blick erhal­ten, auch hier steht er im Mit­tel­punkt der Sze­ne und erzählt eine Geschichte.

Wenn auch »La bel­le Fer­ro­n­iè­re« mit weni­ger Details als »Der Per­len­ohr­ring« aus­kommt und weni­ger Kulis­se vor­han­den ist, kann man doch auch hier erken­nen, dass Golz nicht etwa nur den Kopf der Kon­ku­bi­ne als Ver­satz­stück neu arran­giert hat. So taucht das Gebälk in der Neu­in­ter­pre­ta­ti­on an der lin­ken Bild­sei­te auf; das Rot des ver­spiel­ten Gewan­des aus dem Ori­gi­nal fin­det sich bei ihr auf der Lein­wand im Hin­ter­grund wieder.

Dorothee Golz: Margarete
»Mar­ga­re­te«, © Doro­thee Golz
(nach Hugo v. d. Goes: »Port­i­na­ri-Tri­pty­chon«)

Doro­thee Golz hat in ihrer Serie digi­ta­ler Gemäl­de eine  gan­ze Anzahl bekann­ter Gemäl­de, v.a. der Renais­sance, wie­der neu auf­le­ben las­sen. Die Mehr­zahl von ihnen zeigt Frau­en, die oft­mals durch ihre Kopf­be­de­ckung an die Vor­la­ge erin­nern. Indem Golz die­se kunst­his­to­risch bedeut­sa­men Frau­en-Moti­ve auf­greift, ent­wi­ckelt sie auch ein Bild von der Rol­le der Frau, das über die Jahr­hun­der­te gleich geblie­ben ist. Sie zeigt auf, dass die sitt­sam und zurück­hal­tend wir­ken­den Frau­en von damals im Grun­de genom­men mehr mit dem heu­ti­gen eman­zi­pier­ten Bild der Frau zu tun haben kann, als man viel­leicht annimmt.

Zwar gab Golz zu, dass sie die his­to­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten wie Madame Féron in ihren Wer­ken kaum inter­es­sie­ren, doch sieht man umso mehr, dass sie einen zeit­los gül­ti­gen Typus Frau ent­wirft, der durch Selb­stän­dig­keit und Selbst­be­wus­stein impo­niert. Die Frau­en in ihren Bil­dern agie­ren wie selbst­ver­ständ­lich und fern jeder mora­li­schen Eti­ket­te, wie sie bis vor gar nicht lan­ger Zeit gül­tig war.

Die­se eman­zi­pa­to­ri­schen Ele­men­te gehö­ren in den digi­ta­len Gemäl­den Golz‹ eben­so zum Selbst­ver­ständ­nis der Frau wie Nackt­heit und Ero­tik. Da ist es auch ganz nor­mal, wenn from­me Geist­li­che wie die Hl. Mar­ga­re­ta von Antio­cha beim Anklei­den den BH auf­blit­zen lassen.

 

Es kommt nicht oft vor, dass ich über aktu­el­le Aus­stel­lun­gen in frem­den Städ­ten schrei­be, was im Grun­de genom­men nur damit zu hat, dass ich mich nur über weni­ge Gale­rien außer­halb Ber­lins regel­mä­ßig infor­mie­re. Umso erfreu­li­cher ist es, wenn man dann ein­mal von einer Aus­stel­lung einer Künst­le­rin erfährt, die einen eige­ne, gelun­ge­ne­ne Aus­drucks­wei­se ent­wi­ckelt hat. Es mag viel­leicht nicht neu sein, Klas­si­ker der Kunst­ge­schich­te auf­zu­wär­men, doch so über­zeu­gend und frisch wie bei Doro­thee Golz sieht man das selten.

Wer das Glück haben soll­te, in den kom­men­den Wochen in Wien sein zu kön­nen, der kann sich auch gleich die groß­for­ma­ti­gen Gemäl­de von Doro­thee Golz mit eige­nen Augen anschau­en. Noch bis zum 10. April stellt sie in der Gale­rie Cha­rim einen Teil ihrer Wer­ke aus.