»Der Perlenohrring«, © Dorothee Golz
Noch sind Semesterferien und so bleibt für mich viel Zeit, mich eingehend mit Kunst und auch Kunstgeschichte zu beschäftigen. Vor allen Dingen letzteres hat es mir in den letzten Wochen angetan, viele große Meister haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Neben Corregio, Carravagio, Frans Hals und William Turner war dies insbesondere auch Jan Vermeer, dessen Werke durch eine wundervolle Stille und Schönheit des Schlichten bestechen.
Auch wenn diese Bilder den Alltag des 17. Jahrhunderts einfingen, wirken sie 350 Jahre später unweigerlich wie Zeugnisse aus einer längst vergangenen Zeit, die uns zwar auf wundervolle Weise ausgebreitet wird, aber doch mit unserer nicht mehr viel gemein hat.
Umso überraschender war es kürzlich für mich, auf eine Künstlerin zu stoßen, die allseits bekannte Motive der Kunstgeschichte aufgreift und in unsere Zeit transferiert, den Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart schafft und dadurch auch verblüffende Effekte erzielt.
Die Rede ist von Dorothee Golz, einer vielseitigen Wiener Künstlerin, die in nicht weniger als 17 »digitalen Gemälden«, wie sie es nennt, Personen bekannter Porträts, zumeist Frauen, in Fotografien aus unserem heutigen Alltagsleben versetzt. Argwöhner könnten darin bloße Photoshop-Spielereien sehen, doch Golz‹ Arbeiten enthalten viel mehr als einschlägige Photoshop-Tutorials bieten könnten.
»Der Perlenohrring«, links oben das Original von Vermeer
Schnell wird man sich dem Tenor der Werke bewusst; am Beispiel des »Perlenohrringes« kann man dies gut erfassen: Die Vorlage von Vermeer ist — unüblich für ihn — ein reines Porträt ohne jegliche Erzählung, der Maler konzentriert sich auf den bloßen Moment. Die Schöne wendet sich um, will den Betrachter ansprechen. Die Blicke fallen sofort auf ihre Augen, auf ihren süßen Mund und den aus dem Schatten hervorstechenden Perlenohrring. Die Szene ist schlicht, aber zauberhaft.
Golz‹ Fassung dagegen transferiert Vermeers Original in die Gegenwart. Nicht als Gemälde, als Fotografie kommt uns die Ansicht daher; bereichert um eine Kulisse und Requisiten gibt sie dem Motiv mit einem Mal eine Geschichte: Wir überraschen das Mädchen mit Perlenohrring an, als sie sich und uns einen Tee eingießen will. Der Labrador döst unter dem Küchentisch, über einem Stuhl hängt ein Kleidungsstück. Das Mädchen wirkt doch bis auf den Turban mit ihren Röhrenjeans und Pumps wie jemand, den wir selbst kennen könnten. Selbst der Fotografenkoffer im Hintergrund verrät, dass dieses Foto aus dem Leben gegriffen, nicht etwa im Studio entstanden ist. Es ist eine alltägliche Szene, die wir hier sehen, nichts Gekünsteltes oder Fremdes haftet ihr an.
Dorothee Golz beweist in ihren »digitalen Gemälden«, dass sie es ebenso wie die Meister, von denen sie sich inspirieren ließ, versteht, die Bildkomposition für das Motiv arbeiten zu lassen. Das unruhige Fliesenmuster schafft zusammen mit dem Stuhl nicht nur Räumlichkeit, es bildet auch einen ausreichenden Gegenpol zur anmutigen Gestalt des Mädchens, ohne jedoch die Dynamik ihrer Bewegung zu übertünchen. Das Licht- und Schattenspiel im Gesicht des Mädchens bleibt erhalten, wird jetzt jedoch durch die Glanzlichter auf der Hängeleuchte in selber Höhe, die metallene Kanne und der Glasobjekte weiter unten flankiert. Auch der Lichteinfall bleibt derselbe, ist jedoch zugunsten des Friedens und der Anmut des Motives sanfter gewählt.
»La belle Ferronière«, © Dorothee Golz
Ähnliche Wege geht Golz auch mit »La belle Ferronière«, welches der gleichnamigen Vorlage aus dem Umkreis da Vincis nachempfunden ist. Das Original aus den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts zeigt Madame Féron, die, trotz ihrer Ehe mit einem gewissen Le Féron, als Mätresse des französischen Königs Franz I. am Hofe auftrat. Ihr Gatte jedoch war so erbost darüber, dass er sich willentlich in einem Bordell mit der Syphilis ansteckte, dadurch auch seine Frau infizierte, welche wiederum vermutlich der Grund war, warum der König syphilitisch wurde und ohne Nachkommen blieb.
Das Original, das vermutlich von einem Schüler da Vincis angefertigt wurde, zeigt die Konkubine erstaunlich züchtig: Vom Betrachter durch einen Balken (oder Balkon?) getrennt, mit den Händen im Schoß und dem züchtig angelegten Stirnband, erweckt die Porträtierte nicht den Anschein, dass es sich um eine der bekanntesten Königsgespielinnen der Geschichte handelt. Ihr Blick geht vom Betrachter weg nach oben, was die Distanz nur noch weiter erhöht. Es liegt jedoch Entschlossenheit in ihrem Blick, auch der Mund ist angespannt und so mag man rätseln wollen, was sie wohl im Schilde führe.
»La belle Ferronière«, links oben das Original
Bei Dorothee Golz jedoch erwacht Madame Féron zu neuem Leben. In Jeans und bauchfreiem Oberteil, dessen großzügiger Ausschnitt fast den Blick auf ihre Brüste freigibt, kommt sie daher, steht in aufreizender Modelpose vor uns und wirkt doch ganz anders als in der bekannten Fassung. Wieder hat Golz das meisterliche Vorbild in die Gegenwart geholt, vielleicht auch nicht so überzeugend wie im obigen Beispiel; und wieder lässt nur die Kopfbedeckung erkennen, dass es sich eigentlich um einen Typus Mensch handelt, der irgendwie aus einer anderen Epoche stammen muss. Auch hier bleibt der Blick erhalten, auch hier steht er im Mittelpunkt der Szene und erzählt eine Geschichte.
Wenn auch »La belle Ferronière« mit weniger Details als »Der Perlenohrring« auskommt und weniger Kulisse vorhanden ist, kann man doch auch hier erkennen, dass Golz nicht etwa nur den Kopf der Konkubine als Versatzstück neu arrangiert hat. So taucht das Gebälk in der Neuinterpretation an der linken Bildseite auf; das Rot des verspielten Gewandes aus dem Original findet sich bei ihr auf der Leinwand im Hintergrund wieder.
»Margarete«, © Dorothee Golz
(nach Hugo v. d. Goes: »Portinari-Triptychon«)
Dorothee Golz hat in ihrer Serie digitaler Gemälde eine ganze Anzahl bekannter Gemälde, v.a. der Renaissance, wieder neu aufleben lassen. Die Mehrzahl von ihnen zeigt Frauen, die oftmals durch ihre Kopfbedeckung an die Vorlage erinnern. Indem Golz diese kunsthistorisch bedeutsamen Frauen-Motive aufgreift, entwickelt sie auch ein Bild von der Rolle der Frau, das über die Jahrhunderte gleich geblieben ist. Sie zeigt auf, dass die sittsam und zurückhaltend wirkenden Frauen von damals im Grunde genommen mehr mit dem heutigen emanzipierten Bild der Frau zu tun haben kann, als man vielleicht annimmt.
Zwar gab Golz zu, dass sie die historischen Persönlichkeiten wie Madame Féron in ihren Werken kaum interessieren, doch sieht man umso mehr, dass sie einen zeitlos gültigen Typus Frau entwirft, der durch Selbständigkeit und Selbstbewusstein imponiert. Die Frauen in ihren Bildern agieren wie selbstverständlich und fern jeder moralischen Etikette, wie sie bis vor gar nicht langer Zeit gültig war.
Diese emanzipatorischen Elemente gehören in den digitalen Gemälden Golz‹ ebenso zum Selbstverständnis der Frau wie Nacktheit und Erotik. Da ist es auch ganz normal, wenn fromme Geistliche wie die Hl. Margareta von Antiocha beim Ankleiden den BH aufblitzen lassen.
Es kommt nicht oft vor, dass ich über aktuelle Ausstellungen in fremden Städten schreibe, was im Grunde genommen nur damit zu hat, dass ich mich nur über wenige Galerien außerhalb Berlins regelmäßig informiere. Umso erfreulicher ist es, wenn man dann einmal von einer Ausstellung einer Künstlerin erfährt, die einen eigene, gelungenene Ausdrucksweise entwickelt hat. Es mag vielleicht nicht neu sein, Klassiker der Kunstgeschichte aufzuwärmen, doch so überzeugend und frisch wie bei Dorothee Golz sieht man das selten.
Wer das Glück haben sollte, in den kommenden Wochen in Wien sein zu können, der kann sich auch gleich die großformatigen Gemälde von Dorothee Golz mit eigenen Augen anschauen. Noch bis zum 10. April stellt sie in der Galerie Charim einen Teil ihrer Werke aus.