»Google Portrait Series«, © Aram Bartholl
Noch bis vor kurzem war es zeitgemäß, als publizierendes Medium das Internet als Informations- und Kommunikationsplattform Nummer eins zu wählen, auch zum Unmut der älteren Generation, die von dieser rasanten Entwicklung überholt wurde. Seit kurzer Zeit jedoch werden vermehrt Inhalte aus der virtuellen Welt wieder ins reale Leben zurückgeholt. Philipp von HUNDERTMARK hat kürzlich ein Beispiel dafür ausgegraben (und ist mit seinem Blog nach dem heimtückischen Anschlag auf die Speicher endlich wieder online!); die erste Ausgabe vom Kunst-/Illustrations-/Fotografie-Blog It’s nice that als Printversion liegt ja auch schon seit geschätzt einem Jahr in den Läden aus. Seit geraumer Zeit kann man sogar schon die zweite Ausgabe käuflich erwerben.
Ob sich dort und andernorts ein Trend abzeichnet, vermag ich nicht zu beurteilen, was ich aber bestätigen kann, ist, dass auch die Kunstwelt diese Entwicklung abbildet und Online-Inhalte für Offline-Werke entdeckt hat. Angeregt zu diesem Artikel wurde ich durch Philipps Post sowie durch die diesjährige Transmediale, die eigentlich wie gewohnt bisher an an mir vorbeiging. Bis ich dann ohne es zu ahnen Teil eines dort ausgestellten Kunstprojekts wurde.
(M)ein belangloser Tweet auf dem Tweetscreen. © Tweetscreen
Nun, eigentlich sah ich nie einen Grund, über Kunst zu schreiben, die mir nicht gefällt. Im vorliegenden Falle ist das etwas anders, denn einer meiner Tweets wurde auf dem Tweetscreen der Transmediale gezeigt. Nichts besonderes, durch die vielen Twitterlesungen ist das Prinzip ja bekannt. Was der Tweetscreen macht, ist schnell gesagt: Ein Computer liest (wahllos?) Tweets von Twitter-Usern aus Berlin aus und präsentiert diese den Besuchern des Hauses der Kulturen der Welt. Der Twitterer erhält ein Foto davon und fertig.
Die Webseite der Transmediale berichtet nicht gerade im bekannt schwärmerischen Galeristen-Ton davon, sieht man v.a. die Bereicherung um eine physische, öffentliche Note sowie den Widerhall im Netz, »um hier als Ausgangspunkt für Kommunikation zum Thema zu dienen.« Das Konzept des Tweetscreens spricht mich wenig an; klar, Tweets aus Berlin in Berlin zu verwerten, ist keine per se schlechte Idee, wenn dann aber derart irrelevante Tweets gezeigt werden, fällt es mir schwer, darin Kunst zu erkennen.
»Google Portrait«, Auftragsarbeit für Daniel Michelis, © Aram Bartholl
Da es aber bei Castor und Pollux um Kunst geht, die mir gefällt, die mich inspiriert und mich nicht mehr loslässt, bin ich froh, dass es zu diesem Thema auch Positivbeispiele gibt, allen voran die Arbeiten des in Berlin ansässigen Künstlers Aram Bartholl. Denn Bartholl widmet sich bevorzugt der Frage, inwiefern das Internet und seine Inhalte unsere altbekannte Offline-Welt beeinflussen.
Einige dieser Arbeiten gehören der Serie »Google Portrait« an, für die Bartholl jeweils die URL einer Google-Suche nach seinem Namen mittels eines sog. Matrix-Barcodes kodiert hat und diesen dann mit Edding, Tinte oder Pastellkreide auf Papier bringt, quasi ein Porträt von sich erstellt. So sind bereits Porträts für die deutsche, englische, chinesische und koreanische Google-Version entstanden (s. ganz oben), die sich deutlich voneinander unterscheiden. Nun kann man mit jedem handelsüblichen Smartphone diesen Barcode entschlüsseln lassen und die kodierte URL besuchen.
In den heutigen Zeiten, wo Google und andere Suchmaschinen zu den meisten von uns Informationen archiviert, die oftmals seit langer Zeit im Web herumgeistern, wurde so mancher Ruf durch Jugendsünden und teils wohl auch gezielte Diffamierung zerstört. Die Entwicklung geht sogar soweit, dass spezielle Crawlingseiten alle auffindbaren Informationen zu einer Person hübsch zusammenstellen und jedem zugänglich machen, eine Löschung kann dort nur selten erwirkt werden. In den USA etwa, wo anhand der social security number selbst Gehälter, Adressen, Bildung und weitere intime Details recherchiert werden können, ist man längst damit vertraut, was auch bei uns nach und nach vielen bewusst wird: Google ist identitätsbildend.
Wie könnte man dies besser auf den Punkt bringen als mit »Google Portrait«? Hinter einer kryptisch erscheinenden Information, einem Barcode wie auch einer langen URL, befindet sich das Persönlichste, was einen Menschen ausmacht. Ein Blick auf diesen Schwall an intimen Informationen genügt, um eine Person kennenzulernen, sich ein Urteil zu bilden und daraus seine (geschäftlichen) Schlüsse zu ziehen. Letztlich kann in Zeiten des allgegenwärtigen Informationsflusses so manch eine real existierende Persönlichkeit auf eine bloße URL, einen nichtssagenden Code heruntergebrochen werden.
Als ich Aram Bartholls Kunst entdeckte, wusste ich erst gar nicht, wo ich mit der Begeisterung anfangen sollte: Ein Gesamtwerk von einer derart großen Vielfältigkeit habe ich bei einem aufstrebendem Künstler wie Bartholl selten gesehen. Zuvor kannte ich schon einige ältere Arbeiten, wusste aber nicht, dass sie alle von einer Person stammten.
Aram Bartholls Werke thematisieren zwar fast alle die virtuelle Welt des Internets und ihren Einfluss auf »unsere« Realität, beleuchten doch aber sehr direkt immer wieder neue Facetten und bringen neue Beispiele für diese Interaktion beider Welten. Einen längeren Besuch auf seiner Seite wie auch auf der Homepage des von ihm mit betreuten Projekts F.A.T. (Free Art & Technology) kann ich daher uneingeschränkt empfehlen!
PS: Schau dir unbedingt auch Bartholls Projekt »China Channel« an — ein Firefox-Addon, mit dem man auch außerhalb Chinas die Zensurpolitik der chinesischen Machthaber erleben kann.
PPS: Wer mit dem Titel dieses Artikels nicht viel anfangen kann, dem sei die Wikipedia anempfohlen.