»Cave in a dream«, © Onishimaki + Hyakudayuki
Tropfsteinhöhlen fand ich schon als Kind großartig: Ihre langsam gewachsenen Säulen entspringen der Ober- oder der Unterwelt, suchen einander um sich irgendwann als fragile Brücken zu vereinigen, die beiden Welten zu verbinden um ganz nebenbei die Last der unseren Welt zu tragen. Man kann ihnen quasi beim Wachsen zuschauen, wenn auch nur in verschwindend geringem Maße, und hat beim Wandeln in diesem Steinwald immerhin den Ansatz einer Vorstellung, wie lange diese grotesken Gebilde wohl schon existieren mögen.
Eine weitere Beobachtung zeigt, dass jeder Tropfen, den ein Stalaktit fallen lässt, nachdem er ihm einen Teil seiner gelösten Mineralien entzogen hat, wiederum den am Boden wachsenden Stalagmiten nährt, dessen Gestalt jedoch durch den harten Aufprall der Tropfen bedingt um einiges langsamer entsteht, zudem gedrungener und massiger erscheint. Irgendwann jedoch verschmelzen beide Tropfsteine und formen eine Säule — ein Vorgang, den man auch mittels der Kunst der Dialektik auffassen kann.
Eben dies hat das junge Architektenduo Onishimaki + Hyakudayuki getan und im Hof des Museum of Contemporary Art Tokyo eine Installation erschaffen, die jene zwei Welten in Szene setzt.
»Cave in a dream«, © Onishimaki + Hyakudayuki
Die beiden Künstler verstehen »Cave in a dream«, so der Name des Werks, als sehr ambivalente Arbeit: Eine Installation, die sowohl konkret als auch abstrakt ist, organisch als auch kühl und unbelebt. Jede der beiden Sphären hat ihren ganz eigenen Charakter, doch wo sie sich einander nähern, treten sie in Diskurs. Manche Säulenpaare sind noch im Wachstum begriffen, andere haben sich schon vereinigt. Oftmals ist das Verhältnis der beiden Partner durch Dominanz geprägt, manchmal wachsen sie sich auch gleichmäßig entgegen und finden sich in friedlicher Koexistenz.
Das Ergebnis — also die Synthese — ist also nicht in jedem Falle das gleiche, selbst wenn es sich stets auf dieselbe Grundlage — These und Antithese — stützt. Und wenn man zwischen den unterschiedlichen Perspektiven wechselt, unter diesem Gewölbe umhergeht, es von außen betrachtet, vom höher gelegenen Museumscafé aus beschaut oder sonstwie seinen Blick um die Sache kreisen lässt, wird man feststellen, dass selbst jedes einzelne Ergebnis nicht abschließend bewertet werden kann. Je nach Ansicht scheint aus Rivalität Friedfertigkeit zu werden, scheint der Unterlegene über den einst Dominanten zu triumphieren, scheint die Balance des gesamten Werkes zu kippen.
Zu welchem Schluss man also kommt — gleichgültig, solange man überhaupt eine Meinung entwickelt. Und das ist ja das schöne an der Kunst: Sie lebt vom (dialektischen) Diskurs, den jeder einzelne mit sich führt, und dem zwischen ihren Betrachtern.
Im Übrigen gibt es auf der Webseite des Museum for Contemporary Art Tokyo ein kurzes Making-Of-Video im Zeitraffer.