Zwischen Stalagtiten und Stalagmiten

22. November 2009 von Matthias Planitzer
"Cave in a dream", © Onishimaki + Hyakudayuki Tropfsteinhöhlen fand ich schon als Kind großartig: Ihre langsam gewachsenen Säulen entspringen der Ober- oder der Unterwelt, suchen einander um sich irgendwann als fragile Brücken zu vereinigen, die beiden Welten zu verbinden um ganz nebenbei die Last der unseren Welt zu tragen. Man kann ihnen quasi beim Wachsen zuschauen, wenn auch nur in verschwindend geringem Maße, und hat beim Wandeln in diesem Steinwald immerhin den Ansatz einer Vorstellung, wie lange diese grotesken Gebilde wohl schon existieren mögen. Eine weitere Beobachtung zeigt, dass jeder Tropfen, den ein Stalagtit fallen lässt, nachdem er ihm einen Teil seiner gelösten Mineralien entzogen hat, wiederum den am Boden wachsenden Stalagmiten nährt, dessen Gestalt jedoch durch den harten Aufprall der Tropfen bedingt um einiges langsamer entsteht, zudem gedrungener und massiger erscheint. Irgendwann jedoch verschmelzen beide Tropfsteine und formen eine Säule - ein Vorgang, den man auch mittels der Kunst der Dialektik auffassen kann. Eben dies hat das junge Architektenduo Onishimaki + Hyakudayuki getan und im Hof des Museum of Contemporary Art Tokyo eine Installation erschaffen, die jene zwei Welten in Szene setzt.

Onishimaki + Hyakudayuki: Cave in a dream»Cave in a dream«, © Onishi­ma­ki + Hyakudayuki

Tropf­stein­höh­len fand ich schon als Kind groß­ar­tig: Ihre lang­sam gewach­se­nen Säu­len ent­sprin­gen der Ober- oder der Unter­welt, suchen ein­an­der um sich irgend­wann als fra­gi­le Brü­cken zu ver­ei­ni­gen, die bei­den Wel­ten zu ver­bin­den um ganz neben­bei die Last der unse­ren Welt zu tra­gen. Man kann ihnen qua­si beim Wach­sen zuschau­en, wenn auch nur in ver­schwin­dend gerin­gem Maße, und hat beim Wan­deln in die­sem Stein­wald immer­hin den Ansatz einer Vor­stel­lung, wie lan­ge die­se gro­tes­ken Gebil­de wohl schon exis­tie­ren mögen.

Eine wei­te­re Beob­ach­tung zeigt, dass jeder Trop­fen, den ein Sta­lak­tit fal­len lässt, nach­dem er ihm einen Teil sei­ner gelös­ten Mine­ra­li­en ent­zo­gen hat, wie­der­um den am Boden wach­sen­den Sta­lag­mi­ten nährt, des­sen Gestalt jedoch durch den har­ten Auf­prall der Trop­fen bedingt um eini­ges lang­sa­mer ent­steht, zudem gedrun­ge­ner und mas­si­ger erscheint. Irgend­wann jedoch ver­schmel­zen bei­de Tropf­stei­ne und for­men eine Säu­le — ein Vor­gang, den man auch mit­tels der Kunst der Dia­lek­tik auf­fas­sen kann.
Eben dies hat das jun­ge Archi­tek­ten­duo Onishi­ma­ki + Hya­ku­dayu­ki getan und im Hof des Muse­um of Con­tem­po­ra­ry Art Tokyo eine Instal­la­ti­on erschaf­fen, die jene zwei Wel­ten in Sze­ne setzt.

Onishimaki + Hyakudayuki: Cave in a dream»Cave in a dream«, © Onishi­ma­ki + Hyakudayuki

Die bei­den Künst­ler ver­ste­hen »Cave in a dream«, so der Name des Werks, als sehr ambi­va­len­te Arbeit: Eine Instal­la­ti­on, die sowohl kon­kret als auch abs­trakt ist, orga­nisch als auch kühl und unbe­lebt. Jede der bei­den Sphä­ren hat ihren ganz eige­nen Cha­rak­ter, doch wo sie sich ein­an­der nähern, tre­ten sie in Dis­kurs. Man­che Säu­len­paa­re sind noch im Wachs­tum begrif­fen, ande­re haben sich schon ver­ei­nigt. Oft­mals ist das Ver­hält­nis der bei­den Part­ner durch Domi­nanz geprägt, manch­mal wach­sen sie sich auch gleich­mä­ßig ent­ge­gen und fin­den sich in fried­li­cher Koexistenz.

Das Ergeb­nis — also die Syn­the­se — ist also nicht in jedem Fal­le das glei­che, selbst wenn es sich stets auf die­sel­be Grund­la­ge — The­se und Anti­the­se — stützt. Und wenn man zwi­schen den unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven wech­selt, unter die­sem Gewöl­be umher­geht, es von außen betrach­tet, vom höher gele­ge­nen Muse­ums­ca­fé aus beschaut oder sonst­wie sei­nen Blick um die Sache krei­sen lässt, wird man fest­stel­len, dass selbst jedes ein­zel­ne Ergeb­nis nicht abschlie­ßend bewer­tet wer­den kann. Je nach Ansicht scheint aus Riva­li­tät Fried­fer­tig­keit zu wer­den, scheint der Unter­le­ge­ne über den einst Domi­nan­ten zu tri­um­phie­ren, scheint die Balan­ce des gesam­ten Wer­kes zu kippen.

 

Zu wel­chem Schluss man also kommt — gleich­gül­tig, solan­ge man über­haupt eine Mei­nung ent­wi­ckelt. Und das ist ja das schö­ne an der Kunst: Sie lebt vom (dia­lek­ti­schen) Dis­kurs, den jeder ein­zel­ne mit sich führt, und dem zwi­schen ihren Betrachtern.

Im Übri­gen gibt es auf der Web­sei­te des Muse­um for Con­tem­po­ra­ry Art Tokyo ein kur­zes Making-Of-Video im Zeitraffer.