Identitätskrise

16. August 2009 von Matthias Planitzer
"Anderson Family Portraits: Widowed Father", © Greg Sand In letzter Zeit kann ich mich mehr und mehr für Fotografie begeistern, habe mir sogar eine alte Polaroid gekauft um damit ein wenig zu experimentieren. In dieser neu gewonnen Begeisterung stolpere ich dann über die Bilder eines gewissen Greg Sand und bin sofort hin und weg. Sie sprachen in einer Metaphorik, für die ich schon immer etwas übrig hatte. Greg Sands Porträts sind buchstäblich gesichtslos, entbehren selten einer gewissen Tragik und tragen zu alledem den Charme vergangener Zeiten.

Greg Sand: Anderson Family Portraits: Widowed Father»Ander­son Fami­ly Por­traits: Wido­wed Father«, © Greg Sand

In letz­ter Zeit kann ich mich mehr und mehr für Foto­gra­fie begeis­tern, habe mir sogar eine alte Pola­roid gekauft um damit ein wenig zu expe­ri­men­tie­ren. In die­ser neu gewon­nen Begeis­te­rung stol­pe­re ich dann über die Bil­der eines gewis­sen Greg Sand und bin sofort hin und weg. Sie spra­chen in einer Meta­pho­rik, für die ich schon immer etwas übrig hat­te. Greg Sands Por­träts sind buch­stäb­lich gesichts­los, ent­beh­ren sel­ten einer gewis­sen Tra­gik und tra­gen zu alle­dem den Charme ver­gan­ge­ner Zeiten.

Da ist etwa die Rei­he »Ander­son Fami­ly Por­traits«: Vier Tei­le für vier Fami­li­en­mit­glie­der — zwei Söh­ne, eine Toch­ter, der ver­wit­we­te Vater. Er hält einen Spie­gel vor sei­nem Gesicht, ein typi­sches Vani­tas­sym­bol, das die Ver­gäng­lich­keit der lee­ren Hül­le phy­si­schen Seins wie­der­gibt. Leer und hohl ist er in der Tat, ganz ohne Gesicht, über­haupt ohne Kopf. Unwirk­lich und fern, gar ent­rückt mutet er an, doch wenn er sich umdreht und man ihn durch sei­nen eige­nen Spie­gel betracht, wirkt er doch sehr trau­rig, die­ser hoh­le Mann.

Greg Sand: Family reunion»Fami­ly Reuni­on«, © Greg Sand

Ein ande­res Bild, »Fami­ly Reuni­on«, zeigt dem Namen nach ein gro­ßes Fami­li­en­tref­fen, 26 Per­so­nen, die sich vor der Kame­ra ver­sam­melt haben um die­sen Moment fest­zu­hal­ten. Ein jun­ger Mann in der ers­ten Rei­he, er mag in die Kame­ra lächeln, wäh­rend er Mühe hat, sei­nen zapp­lig-ver­spiel­ten Sohn einen Moment lang zu bän­di­gen. Wie­der sind die Gesich­ter leer, ver­ra­ten nichts über sich und die ande­ren und schau­en doch alle brav in die Kame­ra, als wür­den sie von die­sem Fami­li­en­tref­fen Zeug­nis able­gen wollen.

Greg Sand: Only child
»Only child«, © Greg Sand

Greg Sand spielt mit die­ser Meta­pher der Gesichts­lo­sig­keit und des Iden­ti­täts­ver­lusts in vie­len sei­ner foto­gra­fi­schen Wer­ken, ins­be­son­de­re in der Rei­he »Snapshots«. Mal sit­zen kopf­lo­se Figu­ren in ordent­li­cher Auf­rei­hung, ein ande­res Mal zeu­gen nur noch Schat­ten oder schumm­ri­ge Reflek­tio­nen im Was­ser von der Ans­we­sen­heit der Por­trä­tier­ten. Und wie­der ein ande­res Mal ver­blasst das »rea­le« Bild eines lachen­den Klein­kin­des wäh­rend sein Rücken im zuge­wand­ten Spie­gel wei­ter­hin »echt« bleibt.

Sand wähl­te dazu alte Fami­li­en­fo­tos — ob die sei­ner eige­nen Fami­lie, ist nicht bekannt -; ange­gilb­te Fotos, die von längst ver­gan­ge­nen Zei­ten erzäh­len, Andenken an längst ver­bli­che­ne Men­schen, deren Erin­ne­rung durch Sands Nach­be­ar­bei­tung aus­blei­chen. Greg Sand nennt dies »mys­trugg­le to recon­ci­le rea­li­ty, per­cep­ti­on, time, and death ». Dori­an Gray en ordinaire.

Sei­ne Arbei­ten, beson­ders die aus der Rei­he »Ander­son Fami­ly Por­traits«, erin­ner­ten mich jedoch zunächst an eini­ge der Gemäl­de René Magrit­tes. Ich ver­ste­he mich zwar nicht beson­ders auf sei­ne Form- und Bild­spra­che, doch die moti­vi­schen Par­al­le­len sind nicht von der Hand zu wei­sen. Wenn bei Magrit­te Vögel, Äpfel oder Blu­men­sträu­ße die Gesich­ter sei­ner Por­trä­tier­ten ver­de­cken, greift Greg Sand auf Uhren, Bal­gen­ka­me­ras oder gar ihre eige­nen Por­träts zurück. Und ähn­lich wie Magrit­te sei­ne »Lie­ben­den« ver­hüllt, von­ein­an­der trennt und wie­der eint, so tut dies Sand doch auch in der Rei­he »Liken­ess« (run­ter­scrol­len…) mit sei­nen Fami­li­en­por­träts — wenn auch nicht so behut­sam wie Magrit­te, son­dern eher bra­chi­al und mit Nachdruck.

 

Greg Sands Foto­gra­fien spre­chen, wie ich fin­de, eine sehr ein­drück­li­che und inten­si­ve Spra­che. Bis­her war die Foto­gra­fie nicht gera­de mein liebs­tes Gen­re, aber ich bin wie­der ein­mal über­rascht, was ein talen­tier­ter Künst­ler mit die­sem Medi­um errei­chen kann. Die Meta­pho­rik ist zwar nicht neu, hat aber an ihrem Reiz und ihrer Kraft nichts ver­lo­ren, viel­leicht sogar dazu gewon­nen. Da wäre es inter­es­sant, wie sie bei Magrit­te und ande­ren Meis­tern aus­ge­legt wird.

Das Bes­te kommt aber zum Schluss: Sands Foto­gra­fien sind online erwerb­bar und wie ich fin­de preis­lich doch ein gan­zes Stück unter dem Wert ange­setzt, den sie durch­aus erzie­len könn­ten. Also wer mir zu mei­nem bal­di­gen Geburts­tag eine Freu­de berei­ten möch­te, zu viel Geld hat oder sich sonst mei­ne Gunst erhei­schen will, der kann gern zugrei­fen. (»Only child« für nur $295 ist doch ein Schnäpp­chen, oder?)